2 Stunden an der B8 in Leverkusen-KüpperstegZur falschen Zeit am richtigen Ort
Leverkusen-Küppersteg – Ich stehe vor fünf blauen Altpapiercontainern. Hinter ihnen liegt ein eingerüstetes Haus, benachbart von ähnlichen Wohnblöcken. Auf der anderen Seite rauscht der Verkehr auf dem Europaring. Der Zufall des Dartpfeil-Wurfes hat mich an die B8 gebracht.
Es ist einsam, leer, verlassen
Wie empfinden es die Anwohner wohl hier? Stört der Lärm? Sind sie unzufrieden mit den Plänen, die nahe Autobahn hier weiter auszubauen? Allerdings scheint mich der Zufall auch zu der falschen Zeit an diesen breiten Streifen Teer gebracht haben. Jedenfalls begegne ich keiner Person ohne fahrbaren Untersatz. Wo sind denn alle an diesem Samstagmorgen? Es ist einsam, leer, verlassen. Nachts wäre es wie in einem Horrorfilm.
Zur Serie
In unserer Serie „2 Stunden...“ werfen die Autorinnen und Autoren mit einem Dartpfeil auf eine Landkarte von Leverkusen. Wo auch immer der Pfeil landet, verbringen sie zwei Stunden. Sie erkunden den Zufallsort, treffen auf fremde Menschen, erleben Ungewohntes, Schönes und Skurriles – und erzählen davon.
Ich begebe mich auf die Suche nach irgendwem, oder irgendwas. An der Abzweigung zur Kerschensteinerstraße finde ich das erste Leben: Bienen. Sie genießen die Sonne und sammeln Pollen in den Disteln, die wild am Wegesrand wachsen. Aus den Fenstern der Wohnungen dringt Gelächter. Also gibt es hier doch Menschen.
Zwischen den eingerüsteten Wohnblöcken liegt eine große Wiese. Sie wäre perfekt zum Fußballspielen, wäre dies nicht laut aufgestelltem Schild verboten. Reste der Gerüste liegen auf dem Rasen verteilt herum. Es sieht aus, als hätten die Arbeiter alles stehen und liegen gelassen und wären verschwunden. Würde nicht die Sonne scheinen, wäre es definitiv die perfekte Kulisse für einen Thriller. So handelt es sich nur ein eklatantes Sicherheitsrisiko.
Das einzige Zeichen des fortschreitenden Tages ist ein vermehrtes Verkehrsaufkommen. Irgendwann stolpere ich über eine Straße mit dem Namen „Am alten Schafstall“. Einen Schafstall kann ich zwar nicht erkennen, aber vielleicht stand hier ja mal einer. Anwohner fragen fällt leider aus. Offensichtlich sind die Leute hier ausgewachsene Langschläfer.
Also suche ich mir ein schattiges Plätzchen und ziehe das allwissende Internet zurate. Laut der Webseite der Stadt Leverkusen bekam die Straße 1905 ihren Namen. 1941 war sie im Fernsprechbuch als „Schafstall“ verzeichnet. Da es sich um eine Gewannenbezeichnung handelt, könnte hier früher also ein Stall gestanden haben.
Bei der weiteren Suche stoße ich auf eine Legende: Im 12. Jahrhundert soll im Altenberger Zisterzienserkloster ein Laienbruder namens Gezelinus von Schlehbusch gelebt haben. Den Beinamen erhielt er durch seine Bekanntheit als Hirte in Schlebuschrath.
Die Legende von Gezelinus
Der Legende nach schuf Gezelinus während einer Dürreperiode eine Quelle, indem er seinen Stab in den Boden stieß und ein Gebet sprach. Das Wasser besaß angeblich eine heilende Wirkung. Adolf I. von Berg soll den Mönchen schließlich einen Schafstall in Burge, heute Bürrig, geschenkt haben, auf dem Gezelinus lebte. Ein kurzer Blick auf die Landkarte zeigt, dass die Straße „Am alten Schafstall“ in der Nähe der Grenze zu Bürrig liegt. Manchmal kann der Zufall doch interessant sein.
Schließlich laufe ich doch noch einer freundlich gesinnten Person mit Enkelkind über den Weg. Die Frau möchte unerkannt bleiben und wohnt selber nicht in Küppersteg. Sie sei auch ganz froh drum: „Mir ist das hier mit dem ganzen Lärm von der Straße zu laut. Meine Tochter wohnt hier, aber ich könnte das nicht aushalten. Und mit den Plänen der Stadt wird das eventuell alles noch schlimmer werden.“
Nachdem wir uns verabschieden, bin ich wieder allein. An der nächsten Straßenecke höre ich Zikaden. Ein paar Schritte weiter summen Bienen im Lavendel. Sie sind mein treuen Begleiter an diesem verschlafenen Samstagmorgen.