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40 Jahre im Leverkusener BüdchenEr weiß, wer in der Waldsiedlung den Playboy kauft

Lesezeit 4 Minuten
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Mohamed Jaafar am Fenster seines Büdchens.

Leverkusen – Dieses Büdchen in der Waldsiedlung, das in diesen Tagen seit 40 Jahren existiert, war von Anfang an ein Erfolg. Obwohl der Plan von Mohamed Jaafar eigentlich ein ganz anderer gewesen war.

Aber es gab damals noch keinen zweiten Kiosk in oder an der Waldsiedlung und deshalb lief das Geschäft in Schlebusch vom ersten Tag an so gut, dass Jaafar sein Studium in Aachen nicht mehr antrat, als er einen der begehrten Studienplätze erhalten hatte. Mit dem Kiosk habe er lediglich die Wartezeit überbrücken wollen. Heute, nach 40 Jahren, weiß der Mann womöglich mehr über die Bewohnerinnen und Bewohner der Waldsiedlung als irgendein anderer.

Jaafar ist ein Kriegsflüchtling. Bis er 17 war, lebte er im Libanon, damals tobte dort ein brutaler Bürgerkrieg. Durch Bekannte landete er in Leverkusen. Jaafar: „Ich bin ein original Libanese, nicht so einer mit Clan-Familie“, darauf legt er Wert. An der Bensberger Straße Ecke Humperdinckstraße, in einem ehemaligen Textar-Büro, eröffnete er 1982 sein Büdchen.

Morgens schmierte er 250 Brötchen, die er ab sechs Uhr verkaufte. Die Bremsbacken-Arbeiter von Textar, die damals noch in der Nachbarschaft produzierten, waren die Garanten dafür, dass die Brötchen ihre Abnehmer fanden. Auch viele Angestellte aus dem Bayerwerk stoppten morgens kurz, um sich mit wichtigen Dingen zu versorgen: Zigaretten, Zeitung, was zu essen und vielleicht einen Kaffee.

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Ein Teil des Warenangebots.

1982, zu dieser Zeit gab es weder Frühstücksfernsehen noch Smartphones; eine glückliche Zeit, finden manche, mit noch nicht ganz so viel Hektik und vieles lief etwas ungeregelter. Arbeiter lasen Boulevard-Zeitungen, meist viel Rot in den Titeln, von denen gingen morgens Unmengen über den Tisch. Jaafar erweiterte das Sortiment auf kluge Weise, bestellte jede Zeitschrift, nach der die Kunden ihn fragten: „Wenn ich mal einen Titel nicht hatte – am nächsten Tag lag er im Regal“.

Das Sortiment wuchs

Das Zeitungs-Sortiment wuchs – und es schrumpfte wieder. Heute führt er 511 Titel. Und die sagen einiges über seine Kunden aus der Waldsiedlung. Vom Golf-Magazin zum Beispiel verkauft er monatlich mehrere Exemplare. Das „Sylt Magazin 2022 - 2023“ liegt aus. „Die neuen Bäder“, „Mallorcas Sterne Gastronomie“ und „Lust auf Gardasee“ ebenso. Arztgattinnen interessieren sich für Garten und Wohnungsdesign-Ideen. Nicht nur schöner golfen, reisen, wohnen, sondern auch Bildung spielt eine Rolle: Ein in Leverkusen durch seine Plastiken bekannter Künstler kaufe regelmäßig die „Art“. „Die Zeit“ geht gut, „Spiegel“ ist beliebt – und natürlich der „Leverkusener Anzeiger“.

Von der neuen Sorte Zeitschriften, die rechtsextreme Haltungen einnehmen, verkauft er nur einzelne Exemplare. Andere kaufen Sex-Heftchen, die heute viel explizitere Bilder zeigen, sie liegen verdeckt im oberen Regal, „weil Kinder hier reinkommen; ich bin nicht religiös“. Auch die gehen noch – trotz Internet.

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Magazine für die Waldsiedlung.

Natürlich kennt Jaafar auch seine regelmäßigen Spirituosen-Kunden. Neben Schnaps, Limo, Wein und Bier liegen im Kiosk Kartoffeln, Brot, Zwiebeln, Frühstücksfleisch, Suppen, Deo, Seife, Shampoo.

Das kann alles im Fall der Fälle sehr wichtig sein. Das eigentliche am Büdchen ist aber der menschliche Kontakt. Während des Interviews packt sich eine Frau ein paar Dinge in eine Tasche. „Was hast Du gekauft?“, fragt Jaafar. Sie rechnet: „Achtzehn, zwanzig, zweiundzwanzigfuffzich.“ Jaafar tippt ein, guckt Angelika Pfeuffer, die auch mal Vertretung gemacht hat, nicht in die Tasche: „Vertrauen ist wichtig!“

Im hinteren Zimmer hat Jaafar ein kleines Zimmer, ein wenig unaufgeräumt mit speckigen Sesseln, Tisch und Fernseher. Genau das Gegenteil von Design, Luxus, Schöner Wohnen. Ein kleines Büdchen-Wohnzimmer, privat, aber gute Kunden dürfen sich, wenn sie erschöpft sind, darin auch mal kurz setzen.

Kiosk Mohamed Jaafar Schlebusch Waldsiedlung

Mohamed Jaafar hat großes Vertrauen zu seinen Kundinnen und Kunden.

Der Laden läuft seit 40 Jahren prächtig, auch weil er sich immer verändert hat. Seit über einem Jahrzehnt ist der Paketdienst eine wachsende Dienstleistung. Ein weiterer Kunde kommt rein und bedient sich mal eben selbst, weil der Chef im Gespräch ist: Sven Schütz scannt ein Päckchen, das zurück zum Online-Händler geht. Er ist ein Stammkunde: Der Mann hat als Kind schon seine Lutscher hier gekauft, das ist keine 40 Jahre her.