83-jähriger Naturschützer aus Leverkusen„Der verdammte Egoismus ist zu groß“
Leverkusen – Erich Schulz, 83 Jahre alt, ist seit 51 Jahren Mitglied im Nabu Leverkusen, dessen Vorsitzender er seit 35 Jahren bis heute ist. Schulz kam für den Vogelschutz, für spannende Vorträge. Irgendwann hat er kapiert, dass da mehr ist. Nach fünf Jahrzehnten Naturschutz sagt er: „Heute schäme ich mich, die Zusammenhänge nicht früher verstanden zu haben“ und „Die kommenden Generationen werden uns verfluchen“. Wir haben mit ihm gesprochen.
Sie sind seit dem 1. Januar 1971, seit 51 Jahren, Mitglied im Naturschutzbund Deutschland, dem Nabu.
Erich Schulz: Ja, aber ich komme ursprünglich gar nicht direkt vom Umweltschutz, sondern bin da über den Vogelschutz reingerutscht. Der Nabu hieß da noch DBV: Deutscher Bund für Vogelschutz. Erst seit der Wende heißen wir Nabu. 1971 hatten wir nur den reinen Vogelschutz im Sinn. Ich wollte zum Beispiel hauptsächlich Vögel fotografieren. So bin ich zu dem damals sehr konservativen Verein gekommen. Aber wir haben irgendwann kapiert, dass das gar nicht geht, nur die Vögel ohne die ganze Umgebung, also die Umwelt, zu betrachten. Diese Erkenntnis hat ein bisschen gebraucht im DBV.
Sie haben damals in Küppersteg gewohnt. Wenn Sie sich in die Zeit Anfang der 70er Jahre zurückversetzen, wie sah es hier in Leverkusen damals aus?
Ich muss zugeben, dass ich damals im Umweltschutz noch keine Ambitionen hatte. Ich bin Mitglied geworden, weil ich die interessanten Vorträge der Gruppe sehen wollte. Das Thema Natur und Umwelt war mir fremd, wie fast allen Leuten hier. Ich hatte echt keine Ahnung.
Das legendäre grüne und rote Abwasser, das Bayer in den Rhein abgelassen hat, hat kaum jemanden gestört, Sie auch nicht?
Das hat mich schon gestört, weil das mein Rechtsgefühl gestört hat. Aber das war nicht mit dem Thema Umweltschutz verbunden. Wenn sich auf der Wiese am Haus Gänseblümchen zeigten, habe ich die gemäht, weil sie uns gestört haben. Heute schäme ich mich, die Zusammenhänge nicht früher verstanden zu haben.
Wann kam der Wandel?
Langsam. Irgendwann habe ich verstanden, dass die Natur einem Spinnennetz vergleichbar ist: Man kann schon ein paar Fäden zerstören, dann hält es noch, aber irgendwann fällt es zusammen und ich befürchte, dass das gerade passiert.
In den 80er-Jahren bildete sich das Umweltbewusstsein. 1986 seilten sich Greenpeace-Aktivisten von der Autobahnbrücke ab um gegen die Rheinverschmutzung zu protestieren.
Das hat unser Bewusstsein geschärft, dass da mit dem Rhein Dinge passieren, die so nicht sein dürfen. Ich bin selbst kein so radikaler Aktivist, auch wenn wir mal Müll vors Rathaus hingeschmissen haben um zu demonstrieren, dass wir zu viel davon produzieren. Wenn ich mal überlege, das Thema ist aktueller denn je.
Welche Themen waren früher wichtig, welche sind es heute?
Früher Vogelschutz, heute Naturschutz und natürlich Klima. Ans Klima haben wir zuerst noch nicht gedacht, das kam dann zwar schonmal bei Vorträgen, aber es war irgendwie noch sehr weit weg. Vor 30 Jahren hat mal einer gesagt, man könne den Zusammenbruch der Umwelt nur noch herauszögern. Da habe ich noch gesagt: „Ist das nicht ein bisschen übertrieben?“ Ich muss zugeben, dass meine Skepsis heute größer geworden ist, dass wir Menschen das noch schaffen. Ich bin von Natur aus kein Schwarzseher, aber was das angeht, bin ich pessimistisch geworden, weil ich das Gefühl habe, man rennt gegen eine Gummiwand.
Das klingt hoffnungslos. Und die junge Generation?
Es ist ja schön, dass die sich aufraffen für das Thema Klima. Aber ich weiß nicht, ob sie die Umsetzung schaffen können. Sie sind in ein Leben hineingeboren mit so vielen Bequemlichkeiten. Mit dem Auto fahren, war lange noch Luxus, heute ist das selbstverständlich. Ob die bei dem Protest bleiben? Ich hab da erstens meine Zweifel und selbst wenn, das kommt vielleicht zu spät um wirksam was zu erreichen, weil die Machtverhältnisse auf der Erde so sind, dass diese Themen nicht durchkommen. Siehe die letzte Klimakonferenz. Da passiert zu wenig.
Das frustriert Sie?
Ja, alle wissen jetzt doch, worum es geht, aber der verdammte Egoismus ist zu groß. Die kommenden Generationen werden uns verfluchen.
Zurück nach Leverkusen: Was brauchen wir hier?
Wir müssen die Versiegelung mehr als nur bremsen, wir müssten sogar entsiegeln, sonst ist die Stadt irgendwann nicht mehr lebenswert. Ich persönlich brauche zum Beispiel kein Eigenheim; ich hab zwar Verständnis dafür, wenn die Leute das wollen. Was mich bei den Bauprojekten stört, ist das miserable Verhältnis zwischen Ein- und Mehrfamilienhäusern. Wir müssen da mehr steuern. Und wir brauchen wieder mehr naturnahes Grün. Und damit meine ich was anderes als nur Rasen. Und diese Schottergärten verbieten.
Glauben Sie, ihr Umweltschützer wart in den vergangenen 50 Jahren zu brav?
Ein bisschen aggressiver zu sein, wäre nicht schlecht.
Sie sind pessimistisch, aber sie machen trotzdem weiter mit der Umweltarbeit.
Was bleibt uns denn sonst? Ja, ich will und ich muss. Denn es gibt noch viel Arbeit, die noch an mir hängt. Die Energie bekomme ich übrigens, indem ich mich an kleinen Dingen in der Natur erfreue, auch wenn ich mit meinen 83 Jahren die Vögel nicht mehr hören kann, die zu hoch singen. Zum Beispiel Blaumeisen. Aber es gibt ja auch selten mal zum Beispiel eine Nachtigall, das gibt mir dann sehr viel.
Das Gespräch führte Ralf Krieger.