2024 half die Agentur für Arbeit auch vielen Menschen ohne Ausbildung auf dem Weg zu einem Job. Eine Bilanz mit Agentur-Chefin Nicole Jordy.
ArbeitsloseAgentur bringt in Leverkusen 50 Prozent mehr Unqualifizierte in Ausbildung
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Das Jobcenter gegenüber dem Bahnhof Leverkusen Mitte
Copyright: Johannes Mönch
Frau Jordy, in unserem Gespräch Ende März vergangenen Jahres haben Sie gesagt, 2024 insbesondere die Arbeitslosen ohne oder mit abgebrochener Berufsausbildung in Ausbildung vermitteln zu wollen. Wie erfolgreich waren Sie dabei?
Nicole Jordy: Im Jahr 2024 ist es den Vermittlungsfachkräften der Arbeitsagentur Bergisch Gladbach sehr erfolgreich gelungen, Kundinnen und Kunden davon zu überzeugen, dass eine Bildungsmaßnahme, die zu einem anerkannten Berufsabschluss führt, eine gute Investition in die eigene berufliche Zukunft darstellt. Im Vergleich zum Vorjahr konnten in 2024 rund 30 Prozent mehr zur Aufnahme einer abschlussorientierten Qualifizierung motiviert werden.
Wie viele Männer und Frauen ohne abgeschlossene oder völlig ohne Berufsausbildung haben im Gebiet der Arbeitsagentur 2024 eine berufliche oder schulische Ausbildung begonnen?
Im Jahr 2024 haben im gesamten Bezirk 449 Menschen eine abschlussorientierte Qualifizierungsmaßnahme begonnen. Darunter fallen auch Kundinnen und Kunden, die zwar bereits über eine Ausbildung verfügen, diese aber nicht mehr am Arbeitsmarkt verwertbar ist. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Abschluss bereits längere Zeit her ist und der Kunde oder die Kundin mehrere Jahre in einer anderen Tätigkeit beschäftigt war und somit kein Bezug mehr zur ursprünglichen Ausbildung besteht.
Wie viele waren es in Leverkusen – wiederum ohne oder ohne abgeschlossene Berufsausbildung? Waren das mehr als 2023?
Von den insgesamt begonnenen abschlussorientierten Qualifizierungsmaßnahmen entfielen 154 in den Bereich der Geschäftsstelle Leverkusen. Verglichen mit den 109 abschlussorientierten Förderungen im Jahr 2023 konnten auch in Leverkusen im Jahr 2024 weit mehr Menschen zur Aufnahme einer abschlussorientierten Qualifizierung motiviert werden.
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Nicole Jordy ist die Chefin der Agentur für Arbeit in Bergisch Gladbach.
Copyright: Anton Luhr
Was lief gut in diesem Prozess? Wo gibt es Verbesserungsbedarf?
Im Jahr 2024 stand der Erfolg absolut im Vordergrund. Aufgrund der nachlassenden Konjunktur ist es aber vor allem in der zweiten Jahreshälfte schwieriger geworden, Kundinnen und Kunden nach dem Abschluss einer Qualifizierungsmaßnahme unmittelbar in eine Beschäftigung zu vermitteln, da die Einstellungsbereitschaft der Arbeitgebenden insgesamt zurückgegangen ist. Gleichwohl werden die Chancen am Arbeitsmarkt über die Qualifizierung deutlich erhöht.
Welches Fazit ziehen Sie mit Blick auf den Arbeitsmarkt in Leverkusen, Rhein-Berg und Oberberg insgesamt für 2024?
In allen drei Regionen liegt die Arbeitslosigkeit zu Anfang des Jahres auf einem höheren Niveau als Anfang 2024. Gemessen an der Stimmung der Wirtschaft ist der Anstieg der Arbeitslosigkeit jedoch geringer ausgefallen als in Krisen der vergangenen Jahre. Hier führt der Fachkräftemangel dazu, dass Unternehmen ihre Beschäftigten möglichst lange halten. Der Arbeitsmarkt befindet sich in der Transformation, wobei der Anteil der Dienstleistung im Rheinisch-Bergischen Kreis am höchsten ist. Dieser Teil des Arbeitsmarktes ist weniger konjunktursensibel. Hier besteht aber ein hohes Risiko durch den Fachkräftemangel im Sozial- und Gesundheitswesen, einschließlich der Berufe der Erzieher und Pädagogen. Zudem hat der schwache Handel in der Region zunehmend Einfluss auf dem Arbeitsmarkt und könnte langfristig Herausforderungen für die Beschäftigungslage mit sich bringen. Leverkusen hat im Vergleich zu anderen Regionen in NRW einen hohen Anteil an energieintensiven Betrieben, was die Wettbewerbsfähigkeit weiterhin belasten könnte. Der Oberbergische Kreis ist stark geprägt durch die Herausforderungen, denen sich Automobilzulieferer gegenübersehen. Diese Unternehmen sind zahlreichen Risiken ausgesetzt, während gleichzeitig der Fachkräftemangel spürbar wird. Die Region hat jedoch eine gute Ausgangslage, um Alternativen zum Verbrennungsmotor zu entwickeln. Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen die Betriebe flexibel agieren und durch gezielte Investitionen auf die Veränderungen der Branche reagieren.
Sehen Sie, angesichts der zwar langsam, aber stetig zunehmenden Zahl von Arbeitslosen, für dieses Jahr die Chance auf eine Trendwende in Ihrem Agenturgebiet?
Dezember und Januar sind in jedem Jahr die Monate mit dem höchsten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Im weiteren Jahresverlauf wird voraussichtlich die Arbeitslosigkeit wieder abnehmen, allerdings in geringerem Maße als im Mittelwert der vergangenen Jahre. Es ist davon auszugehen, dass die Zurückhaltung der Arbeitgebenden bei Personaleinstellungen vor der Bildung einer neuen Bundesregierung weiter gering bleibt. Die Abgangschancen werden daher vermutlich bis mindestens in das zweite Quartal hinein niedrig bleiben. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird sich zwar schwach, aber weiterhin auf hohem Niveau entwickeln. Der Trend des Rückgangs in der Metallindustrie und dem Aufbau in weiten Teilen der Dienstleistungen bleibt bestehen. Die Arbeitslosenzahlen werden vermutlich erst ab 2026 wieder spürbar sinken. Dies geht einher mit einem spürbaren Rückgang der Beschäftigung, dann hauptsächlich jedoch aus demografischen Gründen.
Was wird 2025 die größte Herausforderung für die Arbeitsagentur in Bergisch Gladbach?
Die größte Herausforderung wird voraussichtlich der Fachkräftemangel sein, der in vielen Sektoren weiter zunehmen könnte. Insbesondere in zukunftsorientierten Branchen wie der IT, im Pflege- und Gesundheitswesen, sowie in technischen Berufen wird es immer schwieriger, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden.
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Die Zahl der Erwerbstätigen im Bezirk der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, Entwicklung bis 2022 und Prognose ab 2025
Copyright: Florian Summerer
Hierzu kommt, dass sich der demografische Wandel durch die Alterung der Bevölkerung weiter verstärken wird, was den Arbeitsmarkt einengt. Deswegen werden wir auch in diesem Jahr viele Menschen beraten, um über eine Qualifizierung in zukunftsträchtigen Berufen deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Vor dem Hintergrund des verbreiteten Fachkräftemangels in vielen Branchen: Wie sinnvoll sind aus Ihrer Sicht Forderungen aus der Politik, Syrerinnen und Syrer in möglichst großer Zahl möglichst schnell zur Abreise in ihr Herkunftsland zu drängen?
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Deutschen hat in unserem Bezirk im Vergleich zum Vorjahr um 0,4 Prozent abgenommen, die Zahl Ausländer, die im Bezirk sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, hat zum Vorjahr dagegen um 4,1 Prozent zugenommen. Die deutschen Babyboomer verlassen in hoher Zahl den Arbeitsmarkt, was zu einem Rückgang der erwerbsfähigen Deutschen führt. Gleichzeitig steigt die Zahl der zugezogenen Ausländer und Ausländerinnen und aufgenommen Geflüchteten, die überwiegend aus jungen Menschen mit Familien bestehen. Dadurch wächst die Zahl der erwerbsfähigen Ausländer und Ausländerinnen deutlich, während die Zahl der Deutschen sinkt. Eine Entwicklung, die sich auch in den Sozialversicherungsbeiträgen im gleichen Maß widerspiegelt. Um das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland konstant zu halten, wäre eine jährliche Netto-Zuwanderung von 400.000 Menschen erforderlich.
Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Herkunftsland Ukraine sind in Leverkusen sozialversicherungspflichtig beschäftigt?
Im Juni 2024 (aktuellster Datenstand) waren in Leverkusen 298 Ukrainer und Ukrainerinnen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, das sind 120 Personen mehr – oder 67,5 Prozent – als im Vorjahr. Viele der eingereisten Personen aus der Ukraine sind Frauen mit Kindern, die teilweise keine gesicherte Kinderbetreuung haben und daher nicht in Gänze dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Weiterhin sind einige noch in Sprachkursen.
In welchen Branchen sind Ukrainerinnen und Ukrainer besonders stark vertreten?
Die Top-Fünf-Branchen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus der Ukraine sind Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, etwa in der Sicherheitsbranche, in der Gebäudereinigung, und -betreuung, im Verkehr und in der Lagerei, im Handel, im Baugewerbe und im Gesundheits- und Sozialwesen.
Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Herkunftsland Syrien sind in Leverkusen sozialversicherungspflichtig beschäftigt?
Von insgesamt 66.705 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind 494 Syrerinnen und Syrer. Das entspricht einem Anteil von 0,7 Prozent. Im Vergleich zu 2023 waren es 2024 neun mehr, ein Plus von 1,9 Prozent. Syrer und Syrerinnen sind besonders in folgenden Branchen vertreten: Verkehr und Lagerei, Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, Gesundheits- und Sozialwesen, Handel und Kfz-Reparaturbetriebe.
Arbeitsagentur äußert sich nicht zur Debatte über Arbeitspflicht
In der Debatte über eine mögliche Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger betont die Agentur für Arbeit ihre politische Neutralität. „Wir beziehen keine weitere Stellung zum Bundestagswahlkampf und einzelnen Parteiprogrammen oder Debatten“, so Agentur-Chefin Nicole Jordy. Zu den Zahlen über Bürgergeldempfänger ist aus der Behörde Folgendes zu erfahren:
Im Bezirk der Bergisch Gladbacher Agentur gibt es insgesamt 35.655 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Sie erhalten alle Bürgergeld.
6248 davon stammen aus den acht zahlenmäßig wichtigsten Herkunftsländern von Asylantragstellern: Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien. Und in dieser Gruppe stellen wiederum Syrerinnen und Syrer mehr als die Hälfte, nämlich 3245. Ukrainerinnen und Ukrainer tauchen in dieser Gruppe nicht auf, weil sie nach ihrer Flucht in EU-Staaten keinen Asylantrag stellen mussten.
Als erwerbsfähiger Leistungsberechtigter im Sinne des Sozialgesetzbuches gilt jeder, der älter als 15 Jahre und noch nicht im Rentenalter ist, hilfebedürftig und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Nicht erwerbsfähig sind demnach etwa Kinder oder Partner beziehungsweise Partnerinnen in einer Beziehung, die wegen der Kinderbetreuung oder gesundheitlicher Probleme nicht arbeiten können. Auch wer sozialversicherungspflichtig arbeitet, ist unter Umständen trotzdem leistungsberechtigt. Und auch wer studiert oder eine Ausbildung macht, kann zu dieser Gruppe gehören. (ps)