Was für ein Jahr für Bayer 04 Leverkusen: Doublesieger, zum ersten Mal in der 120-jährigen Vereinsgeschichte Deutscher Meister. Und die Fans waren mittendrin. Ein Rückblick.
Jahresrückblick zur MeisterfeierGanz Leverkusen – ein einziger großer Balkon
Es ist eine Diskussion, die reflexartig ausbricht, wenn eine andere Mannschaft als Bayern München oder Eintracht Frankfurt sich anschickt, einen großen Titel zu gewinnen? Wo ist der Balkon? Leverkusen hat in diesem Sommer gezeigt: Hier gibt es keinen Marienplatz und keinen Römer. Keinen großen Balkon, von dem man seine Trophäe dem ehrfürchtig aufschauenden Volk entgegenstrecken kann. Die ganze Stadt ist der Balkon.
Und die Fans stehen nicht unten. Sie sind mittendrin. Zum ersten Mal am 14. April 2024, 19.20 Uhr. Der Schuss von Florian Wirtz schlägt im Tor von Werder Bremen zum 5:0 ein. Die Fans, die schon nach dem 4:0 nur widerwillig das gestürmte Spielfeld wieder verlassen hatten, sind nun endgültig nicht mehr zu halten. Schiedsrichter Harm Osmers hat ein Einsehen und pfeift ab, noch bevor die 90. Spielminute erreicht ist. Vier Minuten Nachspielzeit hatte der vierte Offizielle auf seiner Tafel vorher noch verkündet. Die brauchte es nicht, um das Spielfeld der Bay-Arena komplett mit Menschen zu füllen. Menschen feiern, weinen, liegen sich in den Armen. Aber sie nehmen, wie vom Verein vorher erbeten, nichts von dem preisgekrönten Rasen mit, auf dem noch einige Spiele stattfinden müssen.
Beim zweiten Mal ist es die Meisterschale, die mittendrin ist. Nach der Übergabe durch den DFB am 18. Mai, dem letzten Spieltag der Saison, geht Kapitän Lukas Hradecky mit der Trophäe in die Nordkurve und übergibt über den Zaun hinweg, die Schale – wohlgemerkt das Original, nicht das später rumgereichte und ausgestellte Duplikat, an die Ultras. Ein einzigartiger Vertrauensbeweis. Der nicht missbraucht wurde.
Der Höhepunkt dann am 26. Mai, bei der vom Verein vorsichtig als „Coming Home“-Party angekündigten Veranstaltung. Denn dass die Fußballer um Trainer Xabi Alonso an diesem Tag vom Pokalfinale in Berlin zurückkehren würden, das war klar. Dass sie dann auch den DFB-Pokal im Gepäck haben, wurde erwartet, aber nicht ausgesprochen.
Sicher gab es auch Kritik: Vorher, als Vereinsmitglieder (und auch nur diese) stundenlang für die kostenlosen Tickets für die Stadionparty anstehen mussten. Hinterher, weil die zwar runde Bühne in der Stadionmitte doch eher Richtung VIP-Tribüne ausgerichtet war denn in Richtung Nordkurve. Und darüber, dass der Oberbürgermeister noch im Freudentaumel höchstpersönlich den Vorschlag eingebracht hatte, Xabi Alonso, Simon Rolfes, Fernando Carro und Werner Wenning zu Ehrenbürgern der Stadt zu erklären. Die dankende Absage der zu Ehrenden war ein eleganter Ausweg.
Dennoch geht der 26. Mai 2024 als die bislang größte Party in der Geschichte von Leverkusen in die Bücher ein. Hunderte kamen zum Flughafen, um die Mannschaft dort zu empfangen, Tausende zum Schloss Morsbroich, wo Spieler und Verantwortliche sich ins goldene Buch der Stadt eintrugen. Zehntausende standen entlang der Korsostrecke, auf der so manches Kind von den Schultern des Papas aus den entgegen gestreckten Pokal oder die Schale berühren durfte. Und alle tanzten schließlich im strömenden Regen, ob im Stadion oder davor. Im Wohnzimmer oder beim Gartenfest. Die ganze Stadt, ein einziger großer Balkon.