Leverkusen – Frau Slawik, Sie gehören einer jungen Generation von Politikerinnen und Politikern an, die viel in den sozialen und neuen Medien unterwegs ist. Neulich fielen genau diese Medien für mehrere Stunden aus. Wie nervös wurden Sie da?
Nyke Slawik: Gar nicht. Wir Grünen sind auch auf anderen Messengern unterwegs, weshalb die Kommunikation trotz allem weiterlief. Auf WhatsApp kommuniziere ich eigentlich nur noch mit der Familie. Es war eher witzig, da ich genau zu diesem Zeitpunkt, und zum ersten Mal nach der Wahl, ein „Ask me anything“ auf Instagram gestartet hatte, bei dem mir die Leute Fragen stellen konnten, die ich kurz beantwortete. Dahingehend herrscht ja derzeit einfach großes Interesse: Die Menschen wollen wissen, wie das jetzt so ist als Bundestagsabgeordnete. Oder mit den Sondierungsgesprächen. Ich antwortete gerade sehr fleißig – und auf einmal fiel alles aus. Das war ein bisschen schade.
Zur Person
Nyke Slawik wurde 1994 in Opladen geboren. Nach dem Abitur 2012 studierte sie Anglistik und Amerikanistik sowie Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Sie absolvierte ein Auslandssemester in England sowie ein Auslandspraktikum im Europäischen Parlament in Brüssel. 2018 wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Landtag für die Grünen-Abgeordneten Wibke Brems und Matthi Bolte.
Seit 2009 ist sie Mitglied der Grünen Jugend und seit 2013 Mitglied des Bündnis 90/Die Grünen. Von 2013 bis 2015 war Nyke Slawik im Vorstand der Grünen Jugend Düsseldorf, von 2015 bis 2017 im Landesvorstand der Grünen Jugend NRW. 2017 trat sie als Kandidatin der Grünen bei der Landtagswahl an, 2019 als Europakandidatin.
Bei der Bundestagswahl erreichte Sie in ihrem Wahlkreis Leverkusen/Köln-Mülheim mit 11,32 Prozent der Stimmen den dritten Platz hinter Karl Lauterbach (SPD, 45,6 Prozent) und Serap Güler (CDU, 20,42 Prozent) und zog über die Landesliste in den Bundestag ein.
Gemeinsam mit der Grünen-Politikerin Tessa Ganserer (44) aus Bayern ist sie die erste Transfrau, die den Sprung in den Bundestag geschafft hat. (frw)
Was alles andere als schade ist: Mit dem Einzug in den Bundestag als erste Transfrau haben Sie nun Geschichte geschrieben. Was bedeutet Ihnen das?
Ich bin wahnsinnig überwältigt von dem Echo, das diese Wahl erzeugt hat und hatte gar nicht erwartet, dass es so einen Erdrutsch an positiven Reaktionen nach sich ziehen würde. Ich habe Glückwünsche aus Polen, England, den USA erhalten. Die Meldung ist um die ganze Welt gegangen. Ich hatte Interviewanfragen von der Deutschen Welle, von türkischen Medien, von der BBC und habe überhaupt zuletzt wahnsinnig viele Interviews gegeben. Ich freue mich, dass es für viele Menschen offenbar ein positives Signal ist, dass der Bundestag jetzt diverser wird. Und dass gerade junge Leute sagen: „Hey, endlich ist da auch jemand, der uns repräsentiert.“
Und ein jemand, der was genau tun soll?
Es ist jetzt die Chance da für eine Regierung, die für einen gesellschaftlichen Aufbruch steht. Sozialliberale und sozialökologische Themen wie der Atomausstieg, Gleichstellung und Anti-Diskriminierung sind ja in den vergangenen 16 Jahren unter der CDU-Kanzlerschaft liegen geblieben. Jetzt ist die Möglichkeit da, diesen Muff loszuwerden und durchzulüften. Das stimmt mich gerade sehr hoffnungsvoll und froh.
Ihre Partei wurde tatsächlich vor allem von jungen Menschen gewählt. Das muss für Sie ein zusätzlicher Ansporn und eine gehörige Herausforderung sein, denn: Sie sind nun quasi das Sprachrohr einer ganzen Generation.
Natürlich. Gerade ich bin ja auch in meiner Wahl von der Grünen-Jugend aufgestellt und unterstützt worden. Und genau das nehme ich mit nach Berlin: Die jüngeren Leute haben sich nicht für die alten Volksparteien entschieden, sondern vor allem Grün gewählt. Sprich: Sie haben einen klaren Aufbruch gewählt – und gegen eine weitere große Koalition gestimmt. Das spricht für den großen Wunsch etwa nach mehr Klimaschutz. Bislang gab es ja immer nur diese Abwehrdebatten nach dem Motto: „Ja, aber was kostet uns denn der Klimaschutz?“, obwohl in den vergangenen Jahren gerade deswegen Millionen auf die Straße gegangen sind.
Gehen wir einen Schritt weiter, könnten wir sagen: Sie wurden von den Erwachsenen der Zukunft gewählt – und dürfen es sich somit vielleicht länger in der Regierung einrichten. Die Zukunft gehört Ihnen.
(lacht) Also es ist auf jeden Fall so, dass bei den Ampelparteien ein Generationenwechsel stattgefunden hat. Bei uns Grünen beispielsweise sind von 118 Leuten 26 Leute in den Bundestag eingezogen, die entweder noch Mitglied der Grünen Jugend sind oder in den vergangenen Jahren dort noch aktiv waren. Das bedeutet auf jeden Fall frischen Wind.
Sie mischen den Bundestag auf.
Ja. Das macht sich auch in dem Sinne bemerkbar, dass man jetzt nicht als junge Person in Berlin ankommt und sich denkt: „Ok, ich bin mal mit dabei.“ Man merkt vielmehr: Da sind viele andere junge Leute, die richtig Bock auf Veränderung haben! Es ist doch so: Letztlich ist bei dieser Bundestagswahl keine Partei mit einem Programm angetreten, das beispielsweise den Klimazielen gerecht wird. Wir Grünen waren zwar noch am nächsten dran. Aber: Wir haben von allen Seiten aus deutlich Nachholbedarf. Und ich denke, dass gerade wir – als junge Abgeordnete, die eng vernetzt sind mit gesellschaftlichen Bewegungen wie „Fridays for Future“ – Druck machen müssen, damit sich in diesen Dingen endlich etwas tut. Wir jungen Menschen in der Partei haben uns vergangene Woche jedenfalls alle einmal zusammengesetzt in Berlin. Und zu sehen, wie so viele von uns einen ganzen Raum füllen – das beflügelt mich.
Kommen wir nochmal zum Beginn zurück: Geschichte geschrieben haben Sie dennoch nicht primär wegen Ihres Alters, sondern weil Sie eben die erste Transfrau sind, die in den Bundestag eingezogen ist. Das ist eine wichtige Zäsur.
Ja. Aber was mir vor allem wichtig ist: Meine Wahl – und ebenso die von meiner Parteikollegin Tessa Ganserer, die ja den gleichen Hintergrund hat – soll nicht nur ein Zeichen der Diversität sein. Es geht nicht nur darum zu sagen: „Juchu, wir haben den Bundestag jetzt vielfältiger gemacht.“ Nein: Es geht auch darum, dass wir damit etwas Konkretes anfangen. Es geht darum, dass sich die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts endlich auch in unserer Gesetzeslage wiederfinden soll. Es geht darum, dass Transsexualität keine psychische Störung ist – was die Weltgesundheitsorganisation zwar anerkannt hat.
Aber in Deutschland werden transsexuelle Menschen eben immer noch so behandelt, werden in eine psychische Behandlung gezwungen, wenn sie ihren Namen ändern wollen. Wir haben zudem noch das Blutspendeverbot, von dem schwule und bisexuelle Männer sowie Transpersonen betroffen sind, weil sie als Risikogruppe gelten. Auch das Abstammungsrecht ist noch nicht angepasst: Der Vater eines Kindes ist immer der Ehemann. Bei einer lesbischen Beziehung muss die zweite Mutter somit stets den umständlichen Weg über ein Adoption gehen. Und: Auch bei anerkannten Transpersonen wird in die Geburtsurkunde ihrer Kinder ihr ursprüngliches biologisches Geschlecht eingetragen.
Überhaupt: Ich werde mich mit anderen gegen Homo- und Transfeindlichkeit einsetzen. Das geht bis zum Artikel drei des Grundgesetzes mit seinem Diskriminierungsschutz: Dort sind alle Gruppen aufgeführt, die in Deutschland seinerzeit von den Nationalsozialisten verfolgt wurden – außer homosexuelle Menschen und Transmenschen
Gibt es nach Ihrer Wahl in den Bundestag auch Reaktionen des Befremdens auf ihre Transsexualität? Gibt es Menschen, die damit womöglich überfordert sind?
Ja. So etwas kenne ich auf jeden Fall. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Themen wie Transsexualität sind meiner Meinung nach zwar in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber sie werden nicht von allen getragen. Meine Wahl mit meiner Identität – das hatte einerseits zwar ein sehr, sehr positives Echo. Aber es gab andererseits auch Sachen, die nicht so schön waren. Es gab heftige Diffamierungen, mit denen mir – und auch Frau Ganserer – das Frausein abgesprochen wurde und in denen es hieß: „Da sitzen jetzt als Frauen verkleidete Männer im Bundestag.“ Und das ist sehr verletzend.
Aber es ist nun einmal so: Wir Grünen haben einen Frauenanteil von knapp 60 Prozent im Bundestag. CDU und FDP hingegen schaffen nicht mal 25 Prozent. Das finde ich sehr, sehr enttäuschend. Warum bekommen es diese Parteien im 21. Jahrhundert nicht hin, ihren Frauenanteil zu erhöhen? Auch wenn wir jetzt mit Angela Merkel 16 Jahre lang eine Bundeskanzlerin hatten: Das ist eine sehr große Baustelle.
Gerade aufgrund Ihrer persönlichen Geschichte und Ihres Engagements, diese Baustelle anzupacken: Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, irgendwann nur auf das Thema Transsexualität reduziert und gewissermaßen zur reinen Attraktion zu werden?
Das ist teilweise jetzt schon so. Ich bin gefangen in diesem Zwiespalt, dass ich einerseits gesagt habe: „Ich möchte offen damit umgehen, damit ein Wandel stattfinden kann. Ich möchte ein Türöffner sein.“ Aber dass ich andererseits eben auch mit vielen anderen Themen in die Wahl und nun nach Berlin gegangen bin.
Zum Beispiel mit Leverkusener Themen.
Richtig.
Die da wären?
Da geht es zum Beispiel um den Autobahnausbau. Ich habe mir diesbezüglich vorgenommen, in den intensiven Austausch mit Karl Lauterbach zu gehen, der ja bei diesem Thema sehr lautstark aufgetreten ist und die oberirdischen Aufbauten verhindern will. Meine Hoffnung ist generell, dass die SPD hier mitgeht und Gelder für eine Verkehrswende locker macht.
Gibt es demnächst also in Berlin eine regelmäßige Leverkusener Runde?
Es würde mich sehr freuen. Ich kann sehr gut mit Karl Lauterbach, mag ihn auch sehr – und wir sind in vielen Themen sehr nah beieinander. Ich denke, dass ich gemeinsam mit ihm Einiges rausholen kann für Leverkusen. Er ist ja auch bekannt dafür, dass er oftmals einen radikaleren Kurs fordert als seine Partei. Insofern ist meine Hoffnung, dass sich eben das in den kommenden Jahren auch in der ganzen SPD verfestigt.
Und dann ist da noch Serap Güler von der CDU.
Ja, sie ist auch in den Bundestag eingezogen. Aber abgesehen davon, dass wir beide als Frauen mit einem Minderheitshintergrund in den Bundestag gekommen sind und dadurch ein positives Signal aussenden, verbindet mich nicht wirklich etwas mit ihr. Wir haben sehr, sehr konträre Ansichten. Das zeigt sich ja schon daran, dass sie sich vor der Wahl für den Ausbau der A3 ausgesprochen hat.
Sie wird also nicht zur Leverkusener Runde gehören.
(lacht) Wir werden sehen, wie die Gespräche zwischen den Parteien generell verlaufen. Aber im Gegensatz zu Karl Lauterbach gibt es zwischen ihr und mir doch viel Trennendes.
Hat sich eigentlich Erhard Schoofs von der Bürgerliste nach der Wahl schon bei Ihnen gemeldet? Er ist in Leverkusen ja jemand, der seit Jahren bei Themen wie dem Autobahnausbau am lautesten vorangeht.
(lacht) Das weiß ich nicht. Es ist möglich. Ich habe noch immer nicht alle Meldungen gesichtet, die ich nach der Wahl bekommen habe.
Wie schwer wird für Sie die Gratwanderung zwischen globalen und Leverkusener Themen in Berlin?
Das muss ich für mich noch herausfinden. Aber mein Anspruch ist es, beides zu schaffen. Und ich denke, dass mir das auch gelingen wird.
Und wie präsent werden Sie zukünftig in Leverkusen sein?
Ich werde weiterhin sehr präsent sein. Ich werde in der Geschäftsstelle der Grünen in Leverkusen ein Büro haben und will Ansprechpartnerin vor Ort sowie bei Veranstaltungen sein.
Welche Schlagzeile wollen Sie nach dem Ende der Legislaturperiode über sich lesen?
Oh, das kann ich nicht sagen. Ich muss hier erstmal ankommen und schauen, dass wir eine progressive Politik hinbekommen. Daran will ich mich messen lassen.
Fassen wir noch einmal zusammen: Sie sind jung. Sie sind eine social-media-affine Person. Und es gibt Bilder, auf denen sie eine Mütze der Punkband Feine Sahne Fischfilet tragen. Insofern: Bringt Nyke Slawik die Popkultur in den oftmals drögen Bundestag?
Ich hoffe es! (lacht) Ich muss auch zugeben, dass ich mit der klassischen Hochkultur nicht wirklich etwas anfangen kann. Ich bin Arbeiterkind. Zu Oper, klassischer Musik oder hochgestochenem Theater habe ich nie wirklich persönlichen Zugang gefunden. Zu deutscher Rockmusik schon. Ich höre zudem viel Indie oder Rap, viel mit politischen Texten. Bands, Künstlerinnen und Künstler wie eben Feine Sahne Fischfilet, KraftKlub, Schrottgrenze, Sookee, Danger Dan. Und: Ich bin großer Fan von kölscher Musik!
Was meinen Sie: Welcher Song beschreibt Ihre bisherige politische Karriere am besten?
Da gibt es viele Songs, die mich politisch mitnehmen. Ein Klassiker, dessen Text ich aber richtig fühle, ist „Deine Schuld“ von Die Ärzte. Im Song geht es darum, dass wir alle etwas ändern können, wenn wir uns einmischen und dass die Welt Veränderung braucht, wenn sie besser werden soll: „Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär’ nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ Und: „Geh’ mal wieder auf die Straße, geh’ mal wieder demonstrieren. Denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen, kann nur verlieren.“