InterviewEin Konditor lebt von Kreativität

Hans Joachim Curtius übernahm die Konditorei seines Vaters in der Waldsiedlung mit 25 Jahren und liebt seinen Beruf.
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Leverkusen – Herr Curtius, Sie müssen in der Backstube täglich naschen und haben trotzdem eine gute Figur. Was ist Ihr Geheimnis?
HANS CURTIUS: Keine Ahnung. Vielleicht, dass ich viel Sport getrieben habe mein Leben lang. Und wenn man die Möglichkeit hat, jeden Tag Süßes zu essen, dann ist das nicht mehr so interessant. Ich probiere also wirklich nur das Nötigste.
Konditoren wiegen also nicht mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung?
CURTIUS: Ich kenne einige und würde sagen: Nein, nicht mehr als in anderen Berufen.
Wissen Sie, wie viele Kalorien Ihre Torten haben?
CURTIUS: Nein, und da habe ich mir auch noch nie Gedanken drüber gemacht. Die Kunden fragen auch nicht. Wenn das Verbraucherministerium eine rote Ampel für Lebensmittel einführen würde, dann hätten alle meine Produkte einen roten Punkt, ganz klar. Aber deshalb gönnt man sich eine Torte ja auch nicht jeden Tag.
Gibt es einen Kuchen, an dem Sie sich satt gegessen haben?
CURTIUS: Das wechselt. Wenn die Pflaumenzeit langsam zu Ende geht, kann ich keine Pflaumen mehr sehen, weil ich zu viele verarbeitet habe.
Werfen Ihnen Kunden häufig vor, Sie hätten einen Traumjob?
CURTIUS: Viele denken und sagen: Ihr Arbeitsplatz ist doch ein Schlaraffenland. Aber die meisten würden den Job letztlich doch nicht machen wollen, vor allem wegen der Arbeitszeiten. Viele stellen sich den Beruf zu einfach vor. Auch Lehrlinge, die sich bewerben. Die schreiben dann in der Bewerbung: Ich habe schon immer gerne gebacken. Da möchte ich schon Bewerbungen sehen, in denen sieben oder acht Fotos sind von Kuchen und Torten, die sie gemacht haben.
Wie sind denn die Arbeitszeiten?
CURTIUS: Eigentlich ganz human, von 6 bis 14 Uhr. Das aber an sechs Tagen in der Woche.
Das nennen Sie human?
CURTIUS: Wenn Sie in einer Bäckerei arbeiten, müssen Sie noch viel früher aufstehen. Die haben aber auch wesentlich größere Probleme, Lehrlinge zu finden. Ich kann mir die Lehrlinge schon noch aus 20 Bewerbungen aussuchen.
Was macht einen guten Konditorlehrling aus?
CURTIUS: Kreativität. Das Gefühl, wie eine gute Torte aussehen muss. Man muss ja auch die Kunden beraten: Wenn die eine Geburtstagstorte für ihr Kind wollen, muss die anders aussehen als eine Torte zum ersten Schultag.
Bilden Sie mehr Männer oder Frauen aus?
CURTIUS: Früher waren es viel mehr Männer, in der letzten Zeit habe ich nur Mädchen ausgebildet. Das ist im Moment der Trend. Obwohl es körperlich schwere Arbeit ist. Man braucht Kraft zum Rühren, vor allem aber zum Reinschieben der Bleche in den Ofen. Und das Rausholen eines glühend heißen Blechs, auf dem fünf schwere Torten stehen, ist eine besondere Herausforderung.
Wann ist in einer Konditorei am meisten zu tun?
CURTIUS: Wenn die anderen feiern, müssen wir arbeiten (lacht). Also Karneval, Ostern, Weihnachten. Und samstags und sonntags ist natürlich immer viel zu tun.
Was hat sich im Laufe Ihres Berufs verändert?
CURTIUS: Früher gab es keinen Erdbeerkuchen im Winter. Heute ist das kein Problem. Aber als ich anfing, wäre niemand auf die Idee gekommen, im Winter nach Erdbeerkuchen zu fragen. Und es gab immer wieder Moden: In den 70er und 80er Jahren, da wurde alles rustikal gebacken, mit aufgeplatzten Krusten, braun und knusprig. Weil die Käufer dachten, das wäre besonders natürlich. Und damals gab es noch nicht diese Sortenvielfalt. Ich habe heute 25 Brötchensorten im Programm inklusive Croissant und Laugenstangen. Früher gab es Mohn, Sesam und normal, das war's.
Was wird heute viel weniger gekauft als früher?
CURTIUS: Sahnetorten sind sehr rückläufig. Die Leute kaufen lieber eine Erdbeertorte mit Joghurt, weil sie meinen, das wäre dann kalorienärmer. Die älteren Kunden essen am ehesten noch Sahnetorte. Die trinken auch noch das Kännchen Kaffee zum Kuchen. Die jüngere Kundschaft will Latte Macchiato. Wobei wir jetzt hier in der Waldsiedlung gerade einen Generationswechsel haben. Wir hatten noch nie so viele kleine Kinder.
Wie viele Kuchen müssen Sie backen an einem Wochenende?
CURTIUS: An einem Wochenende sind 14 Kuchen in der Theke drin, und ich mache die Theke dreimal voll. Das ist die Regel. Aber vorausahnen kann man das nie. Wenn das Wetter zu schön ist, fahren die Leute weiter raus zum Spazieren. Und wenn es den ganzen Sonntag regnet, ist das Café auch leer. Ich gucke also schon auf die Wettervorhersagen.
Welcher Kuchen dauert am längsten?
CURTIUS: Definitiv der Baumkuchen. Das muss man können mit den verschiedenen Schichten. Wenn die nicht genug durchgebacken sind, fällt ihnen der von der Walze.
Welche Pannen können einem Konditor noch passieren?
CURTIUS: Man kann den Zucker vergessen. Oder das Backpulver, und dann wundert man sich, dass der Kuchen nicht aufgeht. Der typische Lehrlingsfehler.
Täuscht der Eindruck oder gibt es gar nicht mehr so viele Konditoren?
CURTIUS: Der Eindruck täuscht nicht. Vor 15 Jahren, da gab es in unserer Innung hier in der Region noch 108 Mitglieder. Heute sind es nur noch 68. Die haben zum Teil aus Altersgründen aufgehört und keinen Nachfolger gefunden, teilweise aus finanziellen Gründen.
Aber die Leute essen doch nicht weniger Kuchen?
CURTIUS: Das ist die Konkurrenz aus der Kühltheke, die die Caféhaus-Szene kaputt macht. In Wiesdorf gibt es heute nicht ein Café mehr, das seine Kuchen noch selbst herstellt. Da gibt es Coppenrath und Wiese. Und der Kunde sieht nicht ein, für ein Stück Kuchen fast drei Euro zu zahlen, wenn er weiß, dass die ganze Torte sechs Euro im Rewe kostet. Es ist nicht mehr so wie früher.
Immer mehr Menschen haben Allergien. Können die Kuchen bei Ihnen kaufen?
CURTIUS: Meistens kann ich das nicht berücksichtigen. Ich bin schließlich Konditor und kein Arzt. Spuren von Nüssen und Mandeln können in meinen Produkten vorhanden sein, Spuren von Mehl auch. Diese Trennung kann ich nicht garantieren. Glutenfrei gibt es bei mir also nicht, das Risiko wäre mir einfach zu groß.
Werden Sie häufiger nach Rezepten gefragt?
CURTIUS: Ja.
Rücken Sie die dann auch raus?
CURTIUS: Nein, das macht ein Konditor nicht. Ich sage gerne, was drin ist, aber das Mischungsverhältnis: Nein.
Und unter Kollegen?
CURTIUS: Wenn man gut befreundet ist, dann ja.
Welche Kuchensorte darf unter keinen Umständen in ihrer Theke fehlen?
CURTIUS: Käsekuchen oder gedeckter Apfelkuchen. Und ein Schokoladenkuchen, der Klassiker für Kindergeburtstage. An Wochenenden kommen öfters mal panische Mütter, die einen misslungenen Backversuch hinter sich haben und dringend Ersatz brauchen.
Das Gespräch führte Sarah Brasack