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Philippe KratzLeverkusener Choreograf kehrt ins Erholungshaus zurück

Lesezeit 5 Minuten
Tänzer in Aktion

Choreograf und Tänzer Philippe Kratz

Seine Leidenschaft für den Tanz hat Philippe Kratz in der Ballettschule von Helena Krassa und dem Tanztheater Suheyla Ferwer entdeckt. Heute ist er international tätig und kommt zum Start-Festival ins Erholungshaus.

Wer sind Sie, Philippe Kratz?

Schwierige Frage. Da meine Arbeit meine Leidenschaft ist, muss ich damit anfangen: Ich bin Choreograf, war Tänzer und lebe seit nun 16 Jahren in Italien. Hier war ich für 13 Jahren bei der Tourneekompanie „Aterballetto“ in der Kleinstadt Reggio Emilia. Mit 16 Jahren bin ich aus Leverkusen weggezogen, war erst in Montreal an der „École supérieure de danse du Québec“ für einen Schüleraustausch. Dann bin ich nach Berlin an die staatliche Ballettschule gegangen, hab eine dreijährige Ausbildung und die Oberstufe des Gymnasiums gemacht, bevor es übers Stadttheater in Dortmund nach Italien ging. Denn ich habe die Chance bekommen, Teil des „Aterballetto“ zu werden.

Wie haben Sie in Leverkusen zum Tanz gefunden?

In Leverkusen selbst – mit drei Jahren – wollte ich tanzen, da hat mich meine Mutter bei der privaten Ballettschule von Helena Krassa angemeldet. Als ich auf das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium ging, habe ich dort immer mehr Richtung Musical und Tanztheater gemacht. Am Anfang war es ein Hobby – da habe ich das natürlich noch nicht als Beruf gesehen

Können Sie sich an Ihre erste berührende Tanzerfahrung erinnern?

Mein erstes Stück, das mich richtig berührt hat, hieß „Licht und Schatten“. Das war 1998 von Suheyla Ferwer am Freiherr. Es ging um Gruppendynamik, Diskriminierung und Ausgrenzung und auch um Liebe sowie teilweise Verrat. Das war ein sehr aufwühlendes Stück für mich, denn so habe ich auf einmal viel Raum bekommen, mich mit diesen Themen zu befassen. Mich kreativ einzubringen, etwas darzustellen und den Tanz nicht mehr einfach als Bewegung zu sehen, sondern ganz klar zu sagen: „Da kommt es her.“

Tanzszene

Szene aus "Die roten Schuhe"

Was hat Sie dazu inspiriert, das Hans Christian Andersens Märchen „Die roten Schuhe“ als Material zu wählen?

Es sollte etwas sein, was etwas Ikonenhaftes hat, womit Leute direkt etwas verbinden. Das war so ein bisschen die Aufgabe bei der Themenfindung der Direktion Cristina Bozzolini. Mit ihr habe ich schon eine sehr lange Geschichte, denn sie war auch schon meine Direktion bei „Aterballetto“. Seit dem hatte sie schon immer vor, mich einzuladen, um etwas zu erschaffen, für ihr „Nuovo Balletto di Toscana“. Und das hat jetzt geklappt. Eine Verbindung zu „Die roten Schuhe“ hatte ich aber auch schon früher, weil ich schon mal in einer Produktion mitgetanzt habe.

Wie haben Sie das Märchen auf unsere Konsumgesellschaft übertragen?

Was an „Die roten Schuhe“ sehr interessant ist, sind die Themen des Wünschens, Verlangens, Besitzes, des Scheinbaren und der Projektion – alles hochaktuell. Es geht um ein Mädchen, das die roten Schuhe bei einer Prinzessin sieht. Dann gibt es da ein Verlangen, nicht nur bei ihr, sondern bei allen. Ich glaube, das ist etwas, womit wir uns heute beschäftigen – mehr denn je. Denn es wird erwartet. Durch alle möglichen Medienkanäle wird suggeriert, dass wir dieses und jenes noch brauchen.

Was ist Ihre Idee dahinter gewesen, dass zwei Tänzerinnen zusammen die Protagonistin „K“ tanzen?

So haben wir auf der Bühne zwei Räume geschaffen: Der eine ist repräsentativ für die Wirklichkeit und der andere – auf der Hinterbühne – ist eine Scheinwelt. Sie passiert vielleicht nur im Kopf der Protagonistin. Dann kommt es zu einer Auflösung dieser Trennlinie und die Wirklichkeit und Scheinwelt vermischen sich und kommen zusammen. Vorlage ist vor allem das Originalmärchen von 1853 und zum anderen der Film von Emeric Pressburger und Michael Powell aus dem Jahre 1948. Mit der Dramaturgin Sarah Ströbele habe ich mich überwiegend mit dem alten Märchen beschäftigt. Wobei es kein erzählendes Stück geworden ist – überhaupt nicht. Wir haben uns sehr abstrakt mit den Themen „Verlangen“, „erreichen Wollen“ und „Lust“ beschäftigt.

Steckt in der Choreografie auch ein Stückchen Leverkusen drin?

Zwar möchte ich mir jetzt gar keinen Tanzstil auf die Fahne schreiben, aber bewusst angefangen hat es bei mir eben mit Ferwers Tanztheater in Leverkusen. Da arbeitet der ganze Körper. Es geht darum, was erfinde ich, wenn ich mich bewege, ohne dabei zu expressiv zu werden. Eine Zeit, die mich geprägt hat.

Was ist das für ein Tanzstil, der so entstanden ist?

Meine Bewegungen sind technisch anspruchsvoll – die fußen schon auf einer klassischen Virtuosität. Auch wenn mir das beim Kreieren nicht so bewusst ist. Aber natürlich sind da inzwischen beispielsweise auch Einflüsse aus dem Streetdance drin, aber ich glaube, das sind vor allem Auswüchse aus dem Contemporary.

Philippe Kratz in einem Spiegelsaal

Philippe Kratz lebt seit 16 Jahren in Italien.

Welche Rolle spielt die elektronische Musik von Pierfrancesco Perrone in Ihrer Choreografie?

Es geht um ästhetische Eindrücke und nicht darum, ein Märchen durchzuerzählen. Deshalb ist die Wahl auch auf eine nicht-märchenhafte Musik gefallen. Es geht um die Transposition des Stoffes in die Gegenwart, dazu gehört auch Musik der Gegenwart. Pierfrancesco Perrone hat eigens für das Stück Musikwelten geschaffen. Es ist eine zeitgenössische elektronische Musik. Für mich war das sehr wichtig, etwas Jetziges zu beschreiben und nichts nachzubauen.

Was waren Herausforderungen bei der Inszenierung dieses Stückes und was bedeutet die Produktion für Sie persönlich als Choreograf?

Es ist immer schön nach Hause zu kommen und im Erholungshaus fühle ich mich sehr wohl, durch die Förderung der „Start-Academy“ in der Vergangenheit. So ist das schon eine besondere Emotion dort für mich. Auch wissend, dass im Publikum viele sitzen, die mich schon seit Jahrzehnten kennen.

Erwarten Sie, dass das Publikum die Verbindung zu den heutigen gesellschaftlichen Erwartungen und Zwängen versteht?

Das Verlangen ist immer etwas, was im Moment entsteht mit dem Publikum zu teilen. Zu sehen, wie es regiert, ob es ankommt, ob es auf fruchtbaren Boden fällt oder ob der Samen an sich gut ist. Da ist es natürlich besonders schön, diesen Austausch mit Zuschauenden zu erleben, die einen lange kennen, die wissen, wo man herkommt oder wie man angefangen hat.


Philippe Kratzs „Die roten Schuhe“ wird am Sonntag, 2. Juni, um 19 Uhr vom Nuovo Balletto di Toscana beim „Start-Festival“ im Erholungshaus aufgeführt.

www.kultur.bayer.de