JazztageGregory Porter singt sich in Leverkusen in 2000 Herzen – Ärger im Publikum

Nächster Abend, nächster Star: Gregory Porter bei den Leverkusener Jazztagen im Forum.
Copyright: Christian Fischer
Leverkusen – Es ist 37 Minuten nach 21 Uhr am Samstagabend, als Gregory Porter die Bühne im Terrassensaal betritt. Acht Minuten vor der Zeit. Eigentlich war der unter lautem wie warmem Applaus erfolgende Auftritt dieses Ausnahmesängers, der normalerweise locker Hallen mit sieben-, achttausend Menschen füllt, für 21.45 Uhr vorgesehen. Und diese 480 Sekunden sind, so egal und unscheinbar sie auch wirken mögen, zu beachten.
Denn sie stehen ein bisschen symbolisch für das Dilemma, mit dem ein Festival wie dieses zu kämpfen hat: Ab einer gewissen Größe – und die Jazztage zu Leverkusen sind groß, sie wirken quasi weltweit – soll man es am liebsten allen der vielen Gäste recht machen. Und angesichts der Verpflichtung dieses US-Superstars und der beiden superben Support-Acts Matt Andersen und den Noise Adventures um Ex-Festivalchef Eckhard Meszelinsky wurde auch alles versucht, einen Abend von musikalischer Güte zu bescheren, bei dem man über Porter hinaus möglicherweise auch noch ein paar andere Eindrücke, Anstöße, Tipps mit nach Hause nehmen könnte.
Ärger und Motzen im Forum Leverkusen
Doch dieses Vorhaben gelingt bedauerlicherweise nur bedingt. Beziehungsweise: Es scheitert ein wenig am Ärger vieler Zuschauerinnen und Zuschauer über den nach ihrer Meinung viel zu spät angesetzten Konzertbeginn Porters. Manche von ihnen machen ihrem Unmut Luft und motzen untereinander im Saal. Andere motzen – „Das ist ein Skandal, so geht das nicht!“ – vor dem Kartenbüro im ersten Stock des Hauses.

Ein Festival, zwei Auftritte: Ex-Jazztage-Veranstalter Eckhars Meszelinsky war am Donnerstag schon im Erholungshaus auf die Bühne gegangen, nun spielte er mit seiner Band Noise Adventures auch im Forum und läutete den Porter-Abend ein.
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Ja: Die Menschen wollen ihren Superstar exklusiv und einzig. Am liebsten ohne Wartezeit und Staus vor der Tiefgarage und mit einem erstklassigen Freiblick auf die Bühne von jedem Punkt im Saal aus.
Indes: Wer je einmal regelmäßig Konzerte der etwas größeren Art besucht hat, weiß: Es ist unmöglich. Wenn es größer wird, geht es zwangsläufig darum, Abstriche zu machen. Und jeder größere Act hat seine Vorbands, Support-Künstlerinnen und -künstler, die den Abend für ihn oder sie einleiten. Insofern gilt das ungeschriebene Konzertgesetz: Augen zu und durch(halten).
Gregory Porter hat alle Spielarten drauf
Im Falle von Gregory Porter lohnt das ja auch ohne jeden Zweifel. Dieser US-Amerikaner mit seiner obligatorischen Mütze und der Statur eines in ein edles Jackett gekleideten Kleiderschranks beweist gut 100 Minuten lang quasi sekündlich, dass er zur Weltspitze des Jazz- und vor allem Soulgesangs gehört. Er hat alle Spielarten dieser Genres drauf.

Ein bisschen Country und Blues vorneweg: Matt Andersen.
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Er gibt den Menschen gleichsam eigene Songs wie Klassiker-Futter – „My girl“ etwa von der Soul-Legende Otis Redding ruft Jubeln und Jauchzen und Mitsingen und Tanzen hervor. Er streut Klassik-Anklänge ein, wenn er Beethovens „Ode an die Freude“ übers Klavier purzeln lässt und dabei schelmisch grinsend ins Publikum schaut, ehe er weiter mit dieser unendlich warmen und emotionalen Stimme des typischen lässig singenden Crooners ins nächste Stück einsteigt.
Botschaften im Gepäck
Und er hat Botschaften für alle im Gepäck. Natürlich. Soul bedeutet doch „Seele“. In „Revival Song“, den Porter im Gegensatz zu vorherigen Konzerten nicht ans Ende des Sets, sondern ziemlich weit an den Anfang setzt, betont er: „You lift me higher, out of the fire, out of the flames. I lost the feeling, but you give me meaning again.“

Der US-Soul-Sänger lieferte im ausverkauften Terrassensaal ab - und begeisterte mit „Liquid Spirit“, „My girl“ und Co. die Zuschauenden.
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Klar: Das geht raus an eine imaginäre Geliebte. Aber das darf man auch als Dank an die Menschen vor der Bühne verstehen: Ihr seid hier. Nach dieser Pandemie-Durststrecke und trotz der Schlechtigkeit dort draußen, die die Welt brennen lässt. Ihr holt mich aus dem Schlamassel raus und hebt mich empor. Danke dafür! Man möchte ihm entgegenrufen: „Gern geschehen, Mister Porter!“
Und dann dieser eine Song, „Liquid Spirit“, der Dreh- und Angelpunkt dieses Auftritts ist: Er grüßt seine Helden und Heldinnen James Brown, Ella Fitzgerald, Stevie Wonder und Co. – und beschwört nacheinander: die Musik, den Frieden, das „Wir“, den „Spirit“ eben. Und rettet damit zumindest für ein paar Minuten die Welt. Singt im ausverkauften Terrassensaal in 2000 Ohrenpaare hinein – und setzt sich in 2000 Herzen fest. Ärger hin, Ärger her. Wie gesagt: Danke, Mister Porter!