„Jerusalema-Challenge“Leverkusener Firmen machten mit - und fürchten Geldforderungen
Leverkusen – Bei vielen Musikern und Musikerinnen, die nicht gerade zur absoluten Weltklasse gehören, haben große Labels – so genannte Majors – einen eher zweifelhaften Ruf. Der Vorwurf: Sie investierten zwar Geld für die eigenen Künstlerinnen und Künstler, finanzierten die Produktion und Veröffentlichung deren Tonträger. Sie diktierten aber auch knallhart die entsprechenden Vertragskonditionen, die zuallererst einmal für die Firma lukrativ seien und nicht selten die künstlerische Freiheit einschränkten.
Menschen, die Musik nur konsumieren, die Hörerschaft, betrifft das im Normalfall nicht. Dieser Tage aber ist der Normalfall ausgesetzt. Jetzt sind auf einmal zahlreiche, ansonsten unbeteiligte Menschen beteiligt. Und der Grund dafür ist die so genannte „Jerusalema-Challenge“, die sogar bis nach Leverkusen wirkt.
Choreographien zum Ohrwurm
Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr entwickelte sich während des ersten Lockdowns der spaßige Trend, Choreographien zum Ohrwurm-Song „Jerusalema“ der südafrikanischen Musiker Master KG und Nomcebo Zikode einzustudieren, aufzunehmen und als Video ins Netz zu stellen. Neben zahlreichen Privatpersonen beteiligten sich daran auch Arbeitende öffentlicher Einrichtungen und Institutionen wie Schulen, Polizeiinspektionen, Krankenhäuser, Firmen. Sie tanzten. Hatten Spaß. Wurden bejubelt. Kurzum: Sie erzeugten einen Spaß, der so ein bisschen von der Corona-Pandemie mit all den von ihr hervorgerufenen Sorgen und Nöten ablenkte.
Und mit dabei waren auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Leverkusener Klinikums. Und die der EVL, die sogar jemanden im Kostüm des hiesigen Wasserturms als Markenzeichen und Maskottchen des Betriebes zur Musik zappeln ließen.
Warner wurde aufmerksam
Aufgrund der um sich greifenden Begeisterung und der steigenden Video-Klickzahlen im Internet wurde irgendwann jedoch auch der amerikanische Labelriese Warner auf den grassierenden Trend aufmerksam. Bei genau dem stehen schließlich die beiden „Jerusalema“-Musiker unter Vertrag. Und auf einmal flatterten den ersten an den Tanzvideos beteiligten Einrichtungen Briefe des Labels ins Haus mit der Aufforderung, doch bitteschön Geld für eine so genannte Synchronisationslizenz zu überweisen. Sprich: für die Nutzung des Songs für eigene werbliche Zwecke.
In einem offiziellen Statement Warners, veröffentlicht bei „Focus Online“, hieß es jüngst: „Wir lieben die Tatsache, dass die Fans hinter „Jerusalema“ stehen. Aber wenn Organisationen in Deutschland den Song nutzen, um sich selbst zu promoten, sollten sie sich unserer Meinung nach eine Synchronisationslizenz sichern.“ In diesen „schwierigen Zeiten“ sei es nämlich „wichtiger denn je, dass Künstler und Künstlerinnen für ihre Musik bezahlt werden, wenn sie von Dritten genutzt wird, um ihre Reputation zu steigern.“
Aufschrei und Panik
Es folgte: Ein Aufschrei in den sozialen Netzwerken. Panik bei „Jerusalema“-Tänzerinnen und -Tänzern. Und erste Institutionen, die Presseberichten zufolge offenbar schon fürs Tanzen der eigenen Belegschaft zahlten.
In Leverkusen nun ist die Situation so, dass sich zumindest bislang noch niemand von Warner gemeldet hat. Weder beim Klinikum noch bei der EVL. Das bestätigen Klinikums-Sprecherin Sandra Samper Agrelo und EVL-Sprecher Stefan Kreidewolf. Gleichwohl haben beide Institutionen die entsprechenden Videos mittlerweile aus dem Netz genommen.
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Während Stefan Kreidewolf, der seinerzeit selber mittanzte, die Sache nicht bewerten möchte und lediglich sagt, man „harre nun der Dinge, die da vielleicht kommen mögen“, betont Sandra Samper Agrelo: „Bei uns ging es nicht um Werbung für das Klinikum. Es ging darum, ein wenig Freude in den Corona-Alltag zu bringen.“ So sei der Wunsch, sich an der „Jerusalema-Challenge“ zu beteiligen, auch aus der Mitarbeiterschaft gekommen und an die Verwaltung des Hauses herangetragen worden. Nicht umgekehrt. Und daran sei nun nichts Verwerfliches.
Grenzwertiges Vorgehen
Sie könne verstehen, dass ein Label wie Warner die Interessen seiner Künstlerinnen und Künstler vertrete. „Aber ich denke, es ist dennoch ein grenzwertiges Vorgehen, weil es eben nicht um Eigeninteresse oder Promotion ging.“ Und weil die Idee dahinter gerade aufgrund der Corona-Krise eine gute gewesen sei. Sie selbst habe übrigens nicht mitgetanzt, sagt Sandra Samper Agrelo, wohl aber das Video mitgedreht, das am Ende gut 52 000 Mal angeklickt worden war.
Als übertrieben sieht die Aktion Warners Fabian Stiens an. Indes: Der Konzertveranstalter und Organisator der Leverkusener Jazztage wundert sich nicht über das Gebaren des Majors: Bei Warner werde alles von der Zentrale in den USA aus geregelt. Da seien Befindlichkeiten wie ein Ausbruch aus dem Corona-Alltag letztlich unwichtig. Es gehe ums Geschäft. Für ihn seien derlei Regelungen Alltag als Veranstalter. Als Beispiel nennt er die Jazztage 2020: Die Konzerte übertrug Fabian Stiens im vergangenen November gemeinsam mit dem WDR im Internet, da wegen der Pandemie keine Zuschauer zugelassen waren.
Harte Verhandlungen
„Wir haben sie alle kostenlos übertragen und für eine gewisse Zeit auch frei zugänglich im Internet angeboten.“ Und das habe im Vorfeld bei Künstlern wie Max Mutzke und Nils Wülker – beide stehen bei Warner unter Vertrag – auch zu harten Verhandlungen geführt. Denn in den Verträgen der Musiker seien natürlich auch die Übertragungsrechte im Internet konsequent geregelt. Gerade, wenn es um frei zugängliche Streams gehe.
Sicher sei: Den jeweiligen Künstlerinnen und Künstlern könne man aus solchen Vorgängen – auch im Falle der „Jerusalema-Challenge“ – keinen Vorwurf stricken. „Die wollen meistens alles mitmachen. Deren Managements auch. Es ist letztlich das Label, das eigene Vorstellungen hat.“