NobelpreisWarum Bayer bereit ist, Milliarden in diese Gentechnik zu investieren
Leverkusen – 2012 entwickelte Jennifer Doudna Crispr/Cas – eine völlig neuartige Technologie zur Editierung von Genomen, die es erlaubt, mit höchster Präzision DNA auf molekularer Ebene zu bearbeiten. Acht Jahre später erhielt die US-Amerikanerin dafür den Chemie-Nobelpreis. Nun kooperiert der Leverkusener Bayer-Konzern mit Doudnas Unternehmen.
Die Crispr/Cas-Genschere kann zu neuen wissenschaftlichen Entdeckungen führen, zu besseren Nutzpflanzen und zu neuen Waffen im Kampf gegen Krebs und genetische Krankheiten“, begründete das Nobelpreis-Komitee 2020 die Auszeichnung Jennifer Doudnas und der Mitentdeckerin Emmanuelle Charpentier.
Strenge Richtlinie
Wie mit einem feinen Skalpell wird ein bestimmter biologischer Abwehrprozess dafür genutzt, einen DNA-Strang an einer gewünschten Stelle zu zerschneiden. An der Schnittstelle können dann einzelne Moleküle neu eingesetzt werden, zum Beispiel um seltene Gendefekte gezielt auszuschalten oder um Pflanzeneigenschaften zu verändern. Die Anwendung ist einfach und kostengünstig wie keine Gentechnologie zuvor.
Pathetisch klingt nun die Selbstbeschreibung von Mammoth Biosciences, dem 2017 in Kalifornien gegründeten Unternehmen Doudnas: „Mit der Entdeckung und Herstellung neuer Crispr-Systeme erschließt das Unternehmen das volle Potenzial seiner Plattform, um den Code des Lebens lesen und schreiben zu können.“ Was das US-Start-up damit tatsächlich sagen will: Alles, was eine DNA besitzt, können und wollen wir optimieren.
Vergleich mit Marie Curies Entdeckung der Radioaktivität
Beim Bayer-Konzern rennt Mammoth damit offene Türen ein. Der Ex-Grünen-Politiker und heutige Cheflobbyist bei Bayer, Matthias Berninger, schrieb im Business-Netzwerk Linkedin: „Diese Methode hat eine ganze Generation von Wissenschaftlern dazu inspiriert, noch präzisere Geneditierungstechnologien zu entwickeln, welche die Life Sciences revolutionieren.“ Berninger verglich Doudnas Auszeichnung mit jener Marie Curies für die Entdeckung der Radioaktivität.
Vor allem außerhalb Europas gehören Gen-optimierte Produkte in der Medizin und Landwirtschaft zu Bayers Stützpfeilern. In Europa sind vor allem für die Agrarsparten die Hürden hoch. 2018 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Pflanzen, die mit Crispr/Cas-Verfahren erzeugt wurden, als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) bewertet werden müssen. GVOs unterliegen einer strengen Richtlinie des Europäischen Parlaments, die bereits im Jahr 2001 beschlossen wurde.
Bayer nannte die Einordnung als GVO einen „schweren Schlag für den Forschungsstandort Europa“. Die Befürchtungen: Die hohen Auflagen der GVO-Richtlinie könnten europäische Innovationen in der Landwirtschaft zum Erliegen bringen. Kritiker führen an, dass Folgen der DNA-Veränderungen nicht so leicht vorherzusagen sind wie von den Befürwortern angenommen.
Seit der Entscheidung kämpfen Crispr-Befürworter für eine politische Umkehr – und können Erfolge vorweisen. So wurde im April 2021 von der Europäischen Kommission in einer Studie festgestellt: Der 2001 festgelegte Rechtsrahmen ist für neue gentechnische Verfahren nicht zweckmäßig. Mittlerweile ist ein neuer Rechtsrahmen auf dem Weg, 2023 soll feststehen, wie Crispr/Cas und andere neue Züchtungsverfahren leichter genutzt werden können.
Erste Therapien für Lebererkrankungen
Die Kooperation zwischen Bayer und Mammoth zielt derweil nicht auf landwirtschaftlichen Nutzen ab. Die Leverkusener wollen die Genscheren von Mammoth nutzen, um Therapien für genetische Erkrankungen mit hohem medizinischen Bedarf zu entwickeln. Erste Therapien werden für Lebererkrankungen entworfen. „Die Zusammenarbeit mit den herausragenden Wissenschaftlern von Mammoth Biosciences ist ein Grundpfeiler unserer Strategie zur Verbesserung des Lebens von Patienten, die heute noch schwer zu behandeln sind“, sagte Bayers Pharma-Chef Stefan Oelrich.
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Der Dax-Konzern lässt sich den Zugriff viel Geld kosten: Zunächst fließen 40 Millionen US-Dollar an Mammoth, nach Erreichen bestimmter Meilensteine kann insgesamt mehr als eine Milliarde US-Dollar folgen. Darüber hinaus bezahlt Bayer auch die entsprechende Forschung und Lizenzgebühren bis zu einem „niedrigen zweistelligen Prozentbereich auf den Nettoumsatz“ an die US-Amerikaner.
Hoffnung auf medizinische Durchbrüche bei Bayer
Bayers Investitionen beweisen einmal mehr, wie groß die Hoffnungen auf medizinische Durchbrüche und gewaltige Erträge im Konzern sind. Zell- und Gentherapien seien „der nächsten Evolutionsschritt in der Arzneimittelherstellung“, so Bayer: „Durch Adressierung der Grundursache einer Erkrankung haben derartige Arzneimittel das Potenzial, Erkrankungen mit einer einmaligen Behandlung zu therapieren.“