Der 395 Tage währende Arbeitskampf bei der Wupsi-Tochter HBB ist der wohl längste Ausstand der Bundesrepublik.
10. März 2004Als die Busfahrer in Leverkusen mehr als ein Jahr lang streikten
Es war vor genau 20 Jahren, am 10. März 2004, als die ersten vier Beschäftigten des Herweg-Busbetriebs ihren Job verloren. Seit Jahresbeginn hatten sie gestreikt – und sie hatten nur Arbeitsverträge für ein Jahr. Es war die erste Zuspitzung in einem epischen Arbeitskampf, der am Ende 395 Tage währte, die Belegschaft im Wupsi-Konzern phasenweise ebenso entzweite wie Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre und erst befriedet wurde, nachdem zum Beispiel die Leverkusener SPD eine Kehrtwende vollführt und sich doch noch auf die Arbeitnehmerseite geschlagen hatte.
Wenige Jahre zuvor hatte die Wupsi HBB gekauft. Mit einem klaren Ziel: Kosten senken. Denn die Fahrer bei der Privatfirma HBB verdienten viel weniger Geld als ihre Kollegen bei der städtischen Wupsi: rund ein Drittel. Die HBB-Übernahme sollte das Allheilmittel sein, um das kommunale – freilich ohnehin vergleichsweise niedrige – Defizit zu senken: Wenn bei der Muttergesellschaft Wupsi jemand ging, wurde er durch einen Beschäftigen bei HBB ersetzt. Die Mutter schrumpfte, die Tochter wuchs. Eine Idee, die Gewerkschafter auf die Barrikaden trieb. Was folgte, war der wohl immer noch längste Streik in der Geschichte der Bundesrepublik.
Es geht weniger ums Geld als ums Prinzip
Wie kam es dazu? Anders als in den Auseinandersetzungen dieser Tage ging es ums Prinzip, um einen Tarifvertrag. Der regelt schließlich nicht nur die Entlohnung, sondern die Grundzüge des Arbeitsverhältnisses.
Vom ersten Tag, das ist der 9. Januar 2004, wird mit härtesten Bandagen gekämpft. Für den Wupsi-Vorstand mit Gerd Wasser und dem heutigen Chef Marc Kretkowski steht Anfang 2004 das gesamte Reformmodell auf dem Spiel, letztlich sogar ihr Unternehmen: Im Frühjahr vor 20 Jahren macht die CDU-Fraktion des Rheinisch-Bergischen Kreises richtig Druck. Sie schmiedet Verkaufspläne, weil sie den Zuschussbedarf des Verkehrsbetriebs, der je zur Hälfte der Stadt Leverkusen und dem Kreis gehört, zu hoch findet.
In dieser Klemme trifft der Vorstand auf Gewerkschafter, für die es ebenfalls ums Ganze geht. Um jeden Preis wollen sie verhindern, dass dieses Dumping-Geschäftsmodell weitere Kreise zieht. Es ist auch die Zeit der „Geister-Organisationen“, wie der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (GöD). Die hat damals bei HBB kein einziges Mitglied, aber einen äußerst Arbeitgeber-freundlichen Tarifvertrag. Er liegt rund ein Drittel unter dem, was Busfahrer im öffentlichen Dienst bekommen.
Verdi-Chef Bsirske kommt zwei Mal nach Leverkusen
Deshalb geht Verdi mit Verve vor. Und verliert phasenweise den Rückhalt, mindestens des damaligen HBB-Betriebsratschefs Helmut Burkhardt. Der sieht sich von der Verdi-Funktionärin Gabriele Schmidt extrem unter Druck gesetzt, während seine Kolleginnen und Kollegen in einem provisorischen Unterstand am Wupsi-Betriebshof in der Fixheide immer mehr leiden unter dem Dauerstreik. Am 15. Juli 2004 wird nochmals klar, wie hoch die Sache hängt bei Verdi: Der Bundesvorsitzende Frank Bsirske kommt nach Leverkusen mit dem Ziel, die Streikfront zu stärken. Das gelingt, aber in der Sache hat Bsirske keinen Erfolg. Ein Gespräch am 1. September mit der Wupsi-Führung bleibt ergebnislos.
Die Streikenden bleiben trotzdem standhaft, rund 50 Leute harren immer weiter in der Borsigstraße aus. Bis zum Sommer 2004 müssen sie an sieben Tagen in der Woche in zwei Schichten die Stellung halten, später nur noch an fünf Tagen. Sonst gibt es kein Streikgeld von der Gewerkschaft. Dabei lässt der Effekt immer weiter nach: Die Wupsi-Chefs lagern mehr und mehr Verbindungen zu privaten Busunternehmen aus.
Zu Beginn hatte der Ausstand noch alles durcheinander gebracht, weil Fahrerinnen und Fahrer der Wupsi aus Solidarität mitstreikten. Das war ihnen aber schon am 12. Februar 2004 vom Landesarbeitsgericht in Düsseldorf untersagt worden. Sechs Tage davor hatten die Gesellschafter von HBB dessen Chef Marc Kretkowski freie Hand für Entlassungen gegeben, sofern streikende Fahrer nur befristete Verträge haben. Diese Karte spielt der heutige Geschäftsführer des gesamten Wupsi-Konzerns auch umgehend aus, was den Konflikt weiter anheizt.
Gesichtswahrende Geheimverhandlungen
Damit niemand sein Gesicht verliert, werden aus formellen Tarifverhandlungen irgendwann Sondierungsgespräche, in denen die inzwischen zur Verdi-Landesbezirksleiterin aufgestiegenen Schmidt und Kretkowski sich treffen. Um Geld geht es da nur noch am Rande. Nur noch darum, dass der Haustarifvertrag mit der „richtigen“ Gewerkschaft abgeschlossen wird, also Verdi statt GöD.
Am Ende kommt es tatsächlich dazu. Machbar ist das für die Arbeitgeberseite vor allem, weil das Gehaltsplus nur rund vier Prozent beträgt, wirtschaftlich also als absolut machbar angesehen wird. Genau diese Offerte hatte Marc Kretkowski schon am 5. März 2004 gemacht, allerdings ohne den Tarifvertrag mit Verdi.
Das Wupsi-Defizit ist längst kein Thema mehr
Was bleibt von diesem Ringen, das vor zwei Jahrzehnten die Stadt und die gesamte Nahverkehrsbranche in Atem hielt, ist ein Kompromiss: Die schleichende Senkung der Arbeitskosten geht weiter, aber die mächtige Dienstleistungsgewerkschaft hat den Fuß in der Tür bei der Wupsi. Über deren – im Vergleich nach wie vor überschaubares – Defizit redet längst niemand mehr.
Stadt Leverkusen und Rheinisch-Bergischer Kreis sehen die Tochterfirma längst als Schlüssel für die Verkehrswende. Fahrrad-Leihsystem, Ruftaxi, Autos und immer mehr Linien in immer dichterem Takt sind gefordert. Wupsi-Chef Kretkowski hat längst kein Kostenproblem mehr, sondern Probleme, all die Leistungen auch zuverlässig zu erbringen in einem schrumpfenden Arbeitsmarkt.
Und die einst gefürchtete private Konkurrenz? Ist längst aus dem Feld geschlagen. Hüttebräucker und Wiedenhoff sind vom Markt der Linienbus-Betreiber verschwunden. Die Wupsi hat übernommen.