„Digital Twin“ entführt das Publikum im großen Saal des Forums auf eine faszinierende Reise zwischen der digitalen und physischen Welt.
„Digital Twin“Drohnenballett tanzt in Leverkusen zwischen virtueller und realer Welt
Ein bedrohliches Surren bricht durch die Dunkelheit und wird lauter, wie ein sich nähernder Bienenschwarm. Dann blitzt etwas grell weiß auf – es ist eine von 18 computergesteuerten leuchtenden Drohnen, die auf der Bühne in Startposition stehen und nun nach und nach emporsteigen. Auf jedes gehauchte „Oh, love“ in dem sonst melancholisch reduzierten Pianostück fliegt der Drohnenschwarm weiter in Formation, bis sich ein mächtiger wellenförmiger Kreis um die beiden Tanzenden in grün fluoreszierenden Anzügen gebildet hat. „Arms“ ist nur eine von vier Choreografien von David Middendorp, die die niederländischen Compagnie „Another Kind of Blue“ zeigt. „Digital Twin“ ist nicht nur ein Tanzstück, sondern eine tänzerische Expedition.
Digitale und physische Welt verschmelzen im Forum dank moderner Bewegungserfassungstechnologie. Dafür tragen die Tanzenden Kostüme mit an allen Körperteilen verteilten Markern, die von Sensoren rund um den Tanzbereich auf der Bühne erkannt werden. So kann der Computer einen „Digital Twin“ berechnen, auf den dann zum Beispiel die Drohnen reagieren können, wenn sie haarscharf um die Beine der im Handstand stehenden Tanzenden kreisen, ohne mit diesen zu kollidieren. Oder andersherum: So können die Tanzenden die Drohnen mit ihren Bewegungen anziehen und abstoßen. „Ein Machtgefühl“, erklärt ein Compagnie-Mitglied, „man gewöhnt sich schnell daran, von Drohnen umgeben zu sein, der Schwarm wird zu einem Tanzpartner.“
Digital Twin: Tanz trifft Technologie
Ob der Tanz als große Kreatur aus 18 Drohnen weitergesponnen wird oder in den anderen Choreografien mit anderen Medientechniken: Middendorp erforscht so die Grenzen zwischen dem Virtuellen und dem Realen und wirft dabei Fragen auf, die auch unseren zunehmend digital geprägten Alltag durchdringen. Haben wir überhaupt noch die Kontrolle über unseren „Digital Twin“? In „Metahuman“ tanzen die „Digital Twins“ in Form von riesigen, projizierten Animationen von Abbildern der Tanzenden im Hintergrund, während „Missing“ mithilfe einer rollenden Bildschirmwand unterschiedliche Perspektiven auf die Beziehung zwischen Mensch und digitalem Zwilling eröffnet.
Dann wird die Perspektive nochmal gewechselt und das Bild aus der virtuellen Welt wird aus den Augen einer Tänzerin ausgegeben. Auf der Bühne sieht man sie mit einem Partner tanzen, bei den digitalen Zwillingen glitschen währenddessen die Hände bei Hebungen ineinander und die eingescannten Körper wirken miteinander gar nicht mehr so menschlich. Die Tänzerin streift sich den Markeranzug ab und bringt so ihren „Digital Twin“, Glied für Glied, zum Erliegen.
„Frequency 3“ regt zum Nachdenken über die Grenzen menschlicher Einflussnahme auf digitale Realitäten an, wenn die Performenden auf den Bühnenboden projizierte Muster verändern, als wenn sie aus Sand wären. In „Digital Twin“ finden so viele verschiedene Medientechniken im Effekt ineinandergreifend Anwendung, dass es gelingt, nicht eine Projektion auf einer Leinwand zu sehen, sondern das Konzept von einem digitalen Zwilling auf der Bühne holistisch zum Leben zu erwecken.