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BriefkastenfirmenGrüne befürchten Steuerhinterziehung in Leverkusen

Lesezeit 4 Minuten
44 Firmensitze, eine Adresse: Der Gewerbesteuerhebesatz 250 erzeugt in Leverkusen Briefkastenfirmen.

44 Firmensitze, eine Adresse: Der Gewerbesteuerhebesatz 250 erzeugt in Leverkusen Briefkastenfirmen.

Das Geschäft mit Schein-Firmensitzen blüht in Leverkusen dank niedriger Gewerbesteuer.

Es sind Anzeigen, wie diese, die den Leverkusener Grünen unangenehm aufgestoßen sind: „Ihr virtuelles Büro mieten in Leverkusen. Beste Infrastrukturbedingungen durch den Gewerbesteuer-Hebesatz sorgen für hohe Einsparungen.“ Eine Monheimer Firma bietet auf Kleinanzeigen.de ganz unverblümt für eine monatliche Miete von 189 Euro ein Büro in einem Haus am Moosweg in Manfort an. Für die Miete bekommt man angeblich einen Quadratmeter Bürofläche.

Wie auf diesem Quadratmeter ein höhenverstellbarer Schreibtisch stehen kann, bleibt ein Rätsel, aber den braucht es ja auch nicht, denn das sind Schein-Firmensitze. Im Büro, in dem angeblich 44 Firmen ihre Sitze haben, ist am späten Montagmittag, 22. Juli, tote Hose, nicht mal das Auge der Überwachungskamera bewegt sich.

Auf Wunsch buchbar ist ein Scan-Service mit digitaler Weiterleitung der Geschäftspost. Wer es braucht, bekommt einen Telefonanschluss (+29,99 Euro) mit Leverkusener Vorwahl. Man könnte das eine Briefkastenfirma nennen, mit dem Ziel, Gewerbesteuern zu sparen, die am Firmensitz zu entrichten ist.

Leverkusen: Arbeitsplätze entstehen so nicht

Seit Leverkusen 2020 seinen Hebesatz von 500 auf 250 Punkte gesenkt hat (Bundesdurchschnitt: 435 Prozent laut DIHK), verlegen mehr und mehr Firmen ihre Sitze nach Leverkusen, aber oft ohne, dass die Produktion oder ein echtes Büro in die Stadt verlegt wurde, Arbeitsplätze entstehen durch diese Fake-Firmensitze auch nicht.

Für globale Unternehmen ist ein solches Steuersparmodell mit einem Sitz in einem Steuerparadies nicht ungewöhnlich, aber es geht eben auch im Kleinen. Gegen diese lokalen Auswüchse wollen die Leverkusener Grünen mit einer Anfrage ein erstes Zeichen setzen: Sie wollen wissen, welche Vorkehrungen die Verwaltung gegen sogenannte „Briefkastenfirmen“ trifft. Zur Begründung schreiben die Grünen: „In Monheim gab es Ende Mai eine Razzia der Steuerfahndung bei einer Firma, die möglicherweise nur auf dem Papier mit ihrer Geschäftsleitung in Monheim ansässig war. Sollte der Vorwurf zutreffen, geht es um Steuerhinterziehung im Millionenbereich.“

Grüne: Briefkastenfirmen nehmen in Leverkusen zu

Hintergrund der Razzia sei ein Vorhaben im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen in NRW, dass bei einem solchen Verdacht auf Steuerhinterziehung die tatsächlichen Standorte von Betrieben gesucht werden sollen. Auch in Leverkusen nähmen Firmengründungen zu, die wirkten, als seien sie lediglich Briefkastenfirmen, schreiben die Grünen.

Der Gewerbesteuerhebesatz von 250 Prozent zieht in Leverkusen Briefkastenfirmen an. Dieses unbelebte Büro beherbergt 29 Firmensitze.

Der Gewerbesteuerhebesatz von 250 Prozent zieht in Leverkusen Briefkastenfirmen an. Dieses unbelebte Büro beherbergt 29 Firmensitze.

Der finanzpolitische Sprecher Stefan Baake kennt selbst einen solchen Briefkasten in seiner Nachbarschaft in Opladen, mit 29 Firmen auf dem Schild. Da sei sogar ein Restaurant aus dem Süddeutschen in Leverkusen gemeldet, sagt Baake: „Das ist absurd. Ich bin überzeugt, dass da Steuerstraftaten geschehen“. Und er hat eine Befürchtung: „Das könnte für Mitarbeiter der Verwaltung nicht ungefährlich sein, wenn sie die Augen vor eventuellen Steuerstraftaten verschließen. Sie machen sich dann mitschuldig.“ Auch das Büro an der Wilhelmstraße ist unbesetzt.

Gewerbesteuerhebesatz 250 erzeugt in Leverkusen Briefkastenfirmen. "Viruelles Büro" genannt. Foto: Ralf Krieger

Gewerbesteuerhebesatz 250 erzeugt in Leverkusen Briefkastenfirmen. 'Viruelles Büro' genannt. Foto: Ralf Krieger

Inzwischen gibt es in der Stadt mehrere Adressen, an denen sich die Firmensitze knubbeln: an der Wilhelmstraße, der Gerhard-Hauptmann-Straße, in der Fuchskuhl, am Moosweg oder in Hitdorf an der Lohrstraße. Dort hat man gar ein weiß verklinkertes Einfamilienhaus umgewidmet. Letztes Jahr waren dort laut Briefkastenschild 29 Firmen angesiedelt.

Archivbild aus Hitdorf, Lohrstraße 81. Über 20 Briefkastenfirmen waren dort 2023 in einem leeren Einfamilienhaus „ansässig“.

Archivbild aus Hitdorf, Lohrstraße 81. Über 20 Briefkastenfirmen waren dort 2023 in einem leeren Einfamilienhaus „ansässig“.

„Wir Grüne haben die Senkung des Hebesatzes damals mitgemacht, um die Industrie in der Stadt zu halten“, sagt Baake, jetzt müsse etwas gegen die Auswüchse gemacht werden.

Vor der Senkung litt Leverkusen unter der – aus der damaligen Sicht unfairen – Praxis der Stadt Monheim, die die Gewerbesteuer schon viel früher auf 250 Punkte gesenkt hatten. Es ist nie öffentlich darüber gesprochen worden, aber mit der Leverkusener Senkung soll Bayer dazu bewegt worden sein, seine gewinnbringende Patentabteilung aus Monheim zurück nach Leverkusen zu holen. Wegen des Steuergeheimnisses hatte Markus Märtens, der damalige Kämmerer und heutige WFL-Chef (Wirtschaftsförderung Leverkusen), jede Auskunft verweigert.

Häufig sind es Firmen aus Nachbarstädten mit höheren Hebesätzen, die in Leverkusen nur einen Briefkasten aufhängen, wie in Hitdorf. Oder sie lassen von einem Dienstleister gar nur ein Firmenschild ins Fenster hängen, wie in Opladen. In einem überschaubar großen Gebäude an der Fuchskuhl haben sich nach der Gewerbesteuerhebesatz-Senkung unzählige Firmen niedergelassen.

„Wir haben das nicht für Briefkastenfirmen gemacht, sondern um die Industrie zu halten“, hatte der heutige Kämmerer Michael Molitor vor zwei Jahren bei einem CDU-Parteitag gesagt. Wie auch immer, geändert hat er an der Praxis nichts: Zurzeit profitiert Leverkusen davon, dass anderen Kommunen die Steuern verloren gehen.