AboAbonnieren

Holocaust-Überlebender in Leverkusen„Das Gute wird gewinnen, aber es ist nicht selbstverständlich“

Lesezeit 5 Minuten
Politiklehrer Daniel Kuklinski (l.) hatte die Veranstaltung mit Herbert Rubinstein organisiert.

Politiklehrer Daniel Kuklinski (l.) hatte die Veranstaltung mit Herbert Rubinstein organisiert.

Der Holocaustüberlebende Herbert Rubinstein zu Gast im Geschwister-Scholl-Berufskolleg in Leverkusen.

Er ist eine Erscheinung. Sein Lächeln ist ausgeglichen, wirkt so beständig. Das Lächeln eines Menschen, der so viel Leid erlebt und trotz alledem die Hoffnung und den Blick für das Gute nie verloren hat. Herbert Rubinstein wurde 1936 in Czernowitz in der heutigen Ukraine geboren. Er ist jüdisch und hat die Grausamkeiten gegen Juden im Zweiten Weltkrieg als Kind miterlebt: Er verlor seinen Vater, lebte im Ghetto, entging der Deportation in ein Konzentrationslager nur durch eine glückliche Fügung.

Von seiner Geschichte möchte er den Schülerinnen und Schülern des Geschwister-Scholl-Berufskollegs (GSBK) am Mittwochmittag erzählen. Dabei stammt die Initiative für diese außergewöhnliche Unterrichtsstunde aus den Reihen der Studierenden selbst. „Ich wurde von einem Schüler angesprochen, der mir sagte, man müsse das Thema Holocaust im Unterricht noch einmal ansprechen, viele Schüler wüssten nicht so viel darüber und man müsse das Thema praktisch gestalten“, berichtet Politiklehrer Daniel Kuklinski, der die Veranstaltung organisierte.

90 Minuten lang durften die Schülerinnen und Schüler Herbert Rubinstein ihre Fragen stellen.

90 Minuten lang durften die Schülerinnen und Schüler Herbert Rubinstein ihre Fragen stellen.

Über die „Claims Conference“, eine internationale Organisation, die sich für die Erinnerung an den Holocaust und den Schutz der Überlebenden einsetzt, konnte Kuklinski Kontakt mit Herbert Rubinstein aufnehmen. Cornelia Maimon Levi von der Pressestelle der „Claims Conference“ betont, dass sich die Organisation vor allem damit beschäftige, für Gerechtigkeit zu sorgen und dabei einen starken Fokus auf materielle Entschädigungen für die Betroffenen lege. Denn: „Was verloren wurde an seelischem Schmerz, das kann nicht mehr zurückgeholt werden“, so Levi.

Erinnerung und Kenntnis über die Geschichte sei der Organisation ein Anliegen. „Ohne, dass man die Geschichte kennt, hat man keine Zukunft“, appelliert Levi an die Schülerinnen und Schüler. Dazu melden sich nach ihren einleitenden Worten auch zwei Schülervertreterinnen zu Wort und richten sich an ihre Mitschülerinnen und Mitschüler: „Seid euch dessen bewusst, dass wir für soziale Gerechtigkeit verantwortlich sind. Wir formen jetzt die Zukunft! Wir können wählen!“

Die Menschenfeindlichkeit ist für uns greifbar – Antisemitismus ist Menschenfeindlichkeit.
Herbert Rubinstein, Holocaustüberlebender

Anschließend beginnt Herbert Rubinstein, seine Geschichte zu erzählen. Dabei führt er bedacht in das Thema ein und erklärt den Jugendlichen und jungen Erwachsenen erst einmal, warum er während des Gesprächs eine Kippa trägt. „Wenn wir lehren und lernen, bedecken wir den Kopf mit der Kippa, denn wenn wir das mit bloßem Kopf machen, besteht die Möglichkeit, dass wir vieles verkehrt machen und dass wir hochmütig werden“, sagt Rubinstein. Für ihn sei die Kippa auch ein Zeichen der Freiheit. Wenn er die Kippa in Deutschland trage, bemerke er allerdings immer noch viel Widerstand.

Diesen „Widerstand“ erfahre er alltäglich. „Die Menschenfeindlichkeit ist für uns greifbar – Antisemitismus ist Menschenfeindlichkeit“, sagt der 89-Jährige. Er mache sich Sorgen um die Gesellschaft, um das Allgemeinwohl. „Wenn wir sehen, was täglich auf den Straßen passiert, dann fragen wir uns schon: In welcher Republik leben wir heute?“, so Rubinstein. Dabei will er laut eigener Aussage vor allem eine Botschaft zu den Menschen tragen: „nie mehr wieder diese furchtbaren, schrecklichen Taten, die Menschen anderen Menschen angetan haben.“

Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir geweint und geschrien haben.
Herbert Rubinstein, Holocaustüberlebender

Besonders ein Tag habe sich in seinem Gedächtnis eingebrannt: „Das war der letzte Tag, an dem ich meinen Vater lebendig gesehen habe“, erzählt er. Und weiter: „Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir geweint und geschrien haben. Wenn Mütter weinen, weinen auch ihre Kinder.“ Im Alter von fünf Jahren brachten die Deutschen Rubinstein in ein Ghetto. „Was ist ein Ghetto?“, wollen die Schülerinnen und Schüler des GSBK von ihm wissen.

Rubinstein erklärt, dass ein Ghetto ein abgeteilter Bereich der Stadt, ein erzwungener Bereich, sei. „Es ist wie eine Art Freiluftgefängnis, wo man Menschen hineinbringt, um sie erst mal zusammenzuhaben, sie dann zu misshandeln. Es ist ein Ort des Grauens, für mich ist ein Ghetto ein Gefängnis“, erzählt der Rheinländer. Von dem Ghetto aus habe man die Juden in Viehwaggons zu Konzentrationslagern deportiert.

„Die Menschen in den Viehwaggons wurden in den Tod geschickt“, erinnert sich Rubinstein. Seine Mutter und er konnten nur durch einen Glücksfall aus dem Viehwaggon entkommen: Bertha Rubinstein hatte gefälschte polnische Papiere, die Mutter und Sohn das Leben retteten. „Durch die gefälschten Papiere konnten wir erst mal ins Ghetto zurück, weil wir ungeklärte Fälle waren“, berichtet Herbert Rubinstein. Von da seien sie geflohen.

Überlebender gibt Hoffnung nicht auf

Rubinstein erzählt den Schülerinnen und Schülern aber auch von seiner Hoffnung, die er nicht aufgegeben habe. In dieser schwierigen Zeit habe er auch Hilfe von vielen nicht-jüdischen Menschen erfahren. „Wir haben gemerkt: Es war nicht nur alles schlecht, es gab Menschen, die geholfen haben. Die Hoffnung war da, dass wir überleben würden“, sagt er. Aus dieser Zeit nehme er vor allem eine Lektion mit, die er den Menschen gerne mitgeben würde: „Das Gute wird gewinnen, aber es ist nicht selbstverständlich. Man muss immer etwas dafür tun und wenn wir das Gute im Leben ausklammern, dann hat das Leben keinen Sinn.“

Insbesondere diese Einstellung begeistert die Schülerinnen und Schüler an Herbert Rubinstein. „Es berührt, dass er nie die Hoffnung verloren hat, selbst unter diesen Umständen. Das ist auch eine Lektion für uns heute, weil wir auch manchmal denken, alles ist aussichtslos“, finden Maya Bauer, Anna Ewert und Jelena Tuzlak, die eine Ausbildung zur Erzieherin machen.

Das, was heute passiert, drängt mich dazu, zu warnen.
Herbert Rubinstein, Holocaustüberlebender

Die Studierenden interessiert vor allem auch Herbert Rubinsteins Blick auf die aktuelle politische Situation. „Das, was heute passiert, drängt mich dazu, zu warnen“, sagt Rubinstein, ohne Angst machen zu wollen, denn er sagt auch: „Für mich ist das Glas noch dreiviertel voll.“ Jetzt gehe es darum, die Demokratie zu wahren. „Das, was wir erreicht haben – lassen wir uns das nicht nehmen, nicht von der AfD, nicht von den Rechten, nicht von den Linken“, appelliert Rubinstein.

Besonders kritisch sehe er den Hass in der Gesellschaft, gerade auch in der Politik. „Wenn die Politiker sich so anfeinden, dann hat man nichts gelernt. Wir sind eine Gesellschaft, die viel erreichen kann, aber dafür brauchen wir das Miteinander“, so Rubinstein. Die Schülerinnen und Schüler wollen es jedoch noch genauer wissen und fragen den Zeitzeugen ganz konkret: Welche Partei wählen Sie? Rubinstein lacht und antwortet: „Ich würde die Farbe weiß wählen, aber die gibt es nicht.“