Christian Linker ist einer der engagiertesten Autoren aus Leverkusen. Seine Romane befassen sich oftmals mit politischen und gesellschaftlichen Themen.
Leverkusener Autor Christian Linker im Gespräch„Es gibt keine Kunst, die ohne Haltung ist“
Herr Linker, Sie sind wahrscheinlich der umtriebigste unter den Leverkusener Autoren: Binnen weniger Monate sind gleich zwei Jugendromane aus Ihrer Feder erschienen. Beide behandeln passenderweise auf verschiedene Art das hoch aktuelle Thema Klimawandel.
Christian Linker: Ja. Es ist manchmal ein wenig Zufall, wie die Veröffentlichungstermine in den Verlagen gesetzt werden. Das eine, „Boy From Mars“, ist im Oktober gekommen. Das andere, „Climate Action“ kürzlich, im Januar. Beide sprechen zwar unterschiedliche Zielgruppen an …
Das eine Buch ist Science Fiction, das andere, wenn man so will, ausschließlich Fiction …
Genau. Aber es hat zeitlich auf jeden Fall gepasst.
Hervorzuheben ist dabei vor allem „Climate Action“. Denn dieses Buch hat eine Besonderheit: Es bietet verschiedene Handlungsstränge. Und die Leserinnen und Leser können durch entsprechende Anweisungen und Weiterblättern immer wieder selbst entscheiden, welchem sie folgen wollen und welchem nicht.
So ist es. Und die Idee dazu ist gar nicht mir gekommen. Sondern der Verlag hat mich gefragt, ob ich ein so genanntes Entscheidungsbuch zum Thema Klima-Aktivismus schreiben möchte. Das ist jetzt drei Jahre her. Die Idee ruhte zwischendurch zwar ein wenig. Aber dann kam das Klima-Thema ja unter anderen durch die Aktionen der Letzten Generation wieder auf, wir sprachen nochmal – und ich setzte mich dran. Diese Literaturform kannte ich bislang noch gar nicht. Beziehungsweise: Mir war sowas nur bekannt aus der Fantasy oder von Escape-Room-Geschichten in Buchform. Entsprechend skeptisch war ich auch anfangs. Aber letztlich fand ich die Idee doch innovativ – und es hat mich ziemlich schnell gecatcht.
Was hat Sie „gecatcht“?
Es macht einfach Bock, ein Buch nicht nur linear zu schreiben, sondern mit alternativen Enden. Denn: Es fällt mir selbst oftmals schwer, ein Buch mit nur einem Ende zu schreiben. Im Falle von „Climate Action“ konnte ich nun erstmals mehrere Varianten im Kopf durchgehen und verwenden.
Haben Sie eigentlich selbst Erfahrungen mit Klima-Aktiven?
Ich war seinerzeit in Lützerath bei einer großen Demo. Ich hatte das Bedürfnis gehabt, etwas zu tun. Dabei zu sein. Und: Ich kenne aus meinem weiteren Umfeld Menschen, die sich unterschiedlich stark einsetzen für den Klimaschutz. Unter anderem auch zwei junge Frauen, die damals, als im Hambacher Forst protestiert wurde, die Schule abgebrochen haben und auf die Bäume gezogen sind, weil für sie klar war: „Schule, Zukunft – schön und gut. Aber wenn das hier alles in die Binsen geht – wozu soll ich dann noch Abitur machen?“ Dieses Kompromisslose ist zwar nicht unbedingt so meins. Trotzdem ist es faszinierend, solchen Menschen zu begegnen.
Derzeit sind Sie mit „Climate Action“ in Schulen zu Besuch.
Ja, denn gerade das Besuchen in Schulen macht es noch interessanter. Vergangene Woche war ich beispielsweise in einer Schule in Brandenburg – und da habe ich gemerkt, wie unterschiedlich Kinder und Jugendliche von zuhause aus im Hinblick auf gewisse Themen geprägt sind. Da gab es auch Schülerinnen und Schüler, die überzeugt sind: Den Klimawandel gibt es gar nicht. Und da sind wir wieder bei diesem Roman als Entscheidungsbuch: Auf der einen Seite behandelt dieser Roman klar das Thema Radikalisierung. Auf der anderen Seite – und das halte ich gerade für seine Stärke – gibt es eben diese verschiedenen Handlungsstränge, durch die man sich in verschiedene Perspektiven hineinversetzen kann. Das ist wichtig. Das ist etwas, was explizit Literatur leisten kann.
Inwiefern?
Nun: Ich bin zwar sicher, dass Bücher nicht die Welt retten. Ganz bestimmt nicht. Aber: Sie können einen Beitrag leisten, Perspektiven zu wechseln, und somit eine vernünftige Debatte innerhalb einer Gesellschaft – oder eben innerhalb einer Schulklasse – anregen. Schließlich ist die Möglichkeit, für den Moment den Blickwinkel von jemand anderem einzunehmen, erst die Voraussetzung dafür, überhaupt ins Gespräch zu kommen, wenn es um gegensätzliche Positionen geht. Natürlich: Das klappt alles mal mehr, mal weniger gut. Und 90 Minuten in der Schule sind vielleicht auch nicht das Allheilmittel. Aber: Es kann ein guter erster Schritt sein.
Manchmal fällt es aber schwer, sich in die Position eines Gegenübers hineinzuversetzen. Etwa dann, wenn diese vollkommen abseitig von der eigenen Überzeugung ist.
Das stimmt. Wobei ich als Autor in dem Moment, in dem ich Charaktere erfinde, eben auch überlege: Wo kommt diese und jene Meinung denn eigentlich her? Natürlich habe ich keine große Lust, mich in, sagen wir, AfD-Anhänger hineinzuversetzen. Aber mich interessiert, wie sie überhaupt so geworden sind. Nicht um das irgendwie zu rechtfertigen. Sondern aus reiner Neugier. Das ist so nach der Art: „Ich finde es absolut nicht gut, wie du die Welt siehst. Aber ich kann akzeptieren, dass du irgendwo eine tiefe Kränkung in deiner Vergangenheit erlebt hast. Und ich würde dir wünschen, dass du damit anders umgehen könntest, anstatt – Frei nach einem Song der Band Die Ärzte – deinen Selbsthass nur auf andere zu projizieren. Vielleicht gibt es noch andere Wege.“
Zum Thema Rechtsruck, das Sie gerade angeschnitten haben, gibt es von Ihnen auch schon ein Buch.
Ja. „Der Schuss“ von 2017. Und ich merke tatsächlich, dass genau das gerade auch wieder verstärkt nachgefragt wird. Bei Lesungen. Und auch die Verkaufszahlen gehen nochmal hoch – was eine durchaus zweischneidige Angelegenheit für mich ist. Denn: Ich profitiere sozusagen von der Situation, die gerade herrscht und die nicht gut ist. Aber auf der anderen Seite ist es aber auch gut, wenn es eben solche Bücher gibt, die gerade jungen Menschen als Gesprächseinstieg in dieses Thema dienen können.
Absolut. Und Sie sind jemand, der dafür prädestiniert scheint, denn: Ihre Bücher enthalten fast immer eine solche Botschaft. Man könnte auch sagen: Sie gehen über reines Abenteuer hinaus. Woran liegt das?
Weil es am Ende immer um Dinge geht, die mich persönlich bewegen. Ein Beispiel: Auch wenn im Oktober ein neuer Jugendroman von mir kommt und dieser ein Fantasy-Buch ist – ein Genre, in dem ich noch nie zuvor geschrieben habe – ist auch der relativ politisch geworden. Geplant war das nicht. Es passiert mir eben.
In einer anderen Sparte der Kunst, der Musik, wird Künstlerinnen und Künstlern, die sich in ihren Songs eindeutig positionieren, gerne mal entgegnet, sie sollten doch bitteschön die Politik aus der Musik raushalten, die habe darin nichts verloren. Wie ist das bei Ihnen als Autor?
Wenn bei einem Rockkonzert 2000 Leute auf einem Haufen sind, dann ist das niemals nicht politisch. Dann gibt es immer eine Haltung. Selbst wenn jemand sagt: „Scheißegal! Interessiert mich alles nicht!“ ist auch das eine Haltung. Insofern gibt es keine Kunst, die ohne Haltung ist. Alles geschieht doch aus einer inneren Haltung heraus. Das gehört einfach dazu.
Sind Sie in Autorenkreisen manchmal derjenige, der als erster politische Inhalte einbringt?
Wenn ich mit mehreren Autorinnen und Autoren zusammensitze und alle haben unterschiedliche Schwerpunkte, dann bin ich schon oft derjenige, der die politischen oder die Gesellschaftsthemen mit einbringt. Aber: Letzten Endes muss es in Büchern auch einfach gute Unterhaltung geben. Ein Buch kann noch so gut gemeint sein oder eine noch so wichtige Message haben – wenn es langweilig ist, ist es, salopp gesagt, scheiße. Ein Buch muss in erster Linie eine gute Geschichte erzählen. Und die muss spannend sein, sonst will niemand das Buch lesen. Insofern bin ich dafür, das alles nicht so stark zu trennen. Das erinnert dann nämlich zu sehr an die vor allem deutsche Unart, Musik in E- und U-Musik, in ernsthafte und Unterhaltungsmusik, zu trennen. Letztlich gefällt mir etwas. Oder es gefällt mir nicht.
Ihr neues Projekt: Sie sitzen in der Jury eines Schreibwettbewerbes für junge Menschen zum Thema Demokratie. Was hat es damit auf sich?
Das ist eine Idee, die ich beim Verband der Schriftstellerinnen und Schriftsteller eingebracht habe. Dort bin ich für die Regionalgruppe Köln und Leverkusen im Vorstand und wir haben uns in diesem Rahmen gefragt, ob wir nicht etwas im Vorfeld der Europawahl in diesem Jahr initiieren könnten – und zwar keine Veranstaltungen an sich, denn: Zu denen kommen ohnehin immer dieselben Leute. Diejenigen eben, die man ohnehin nicht nochmal darin bestärken muss, dass sie auf der richtigen Seite stehen. Vielmehr war und ist die Idee: Alle haben doch etwas zu sagen – nicht nur wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Also machen wir doch mal Platz und ermutigen speziell junge Leute, selber zu erzählen, was ihnen wichtig ist.
Gerade jetzt. In einer Zeit, in der dieser ganze Populismus von Narrativen lebt wie: „Wir sind das Volk, eine korrupte Elite unterdrückt uns – und die wahre Meinung kommt nicht durch.“ Das verfängt ja immer mehr bei den Menschen. Und es reicht hier eben nicht, zu sagen: Das ist Blödsinn! Nein. Politik lebt auch von Emotionen. Vor allem Geschichten bedienen Emotionen. Und gerade bei jungem Menschen entstehen diese Geschichten und Emotionen durch Schüleraustausche, interreligiöse Projekte, Begegnungen. Sprich: Durch Erlebnisse, die sie merken lassen: Die Anderen sind gar nicht so anders.
Und wenn sie anders sind, dann ist es doch gerade schön, diese Vielfalt zu erleben. Genau das kann eine sehr gute Story sein. Eine, mit der junge Menschen den Verschwörungsnarrativen von Populisten etwas entgegensetzen. Positive Geschichten, die von Demokratie, von Freiheit, von Menschenrechten handeln. Dazu dient dieser Schreibwettbewerb. Er ist entsprechend niederschwellig gehalten: Wir gehen über Schulen, Bibliotheken, Jugendeinrichtungen und sonstige Multiplikatoren. Orte eben, an denen sich junge Leute aufhalten und an denen sie sich einfach hinsetzen und das aufschreiben können, was ihnen durch den Kopf geht. Es ist doch so: Schreiben kann wirklich jeder!
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