Psychotherapie in Corona-ZeitenDer geschützte Raum fehlt
- In der Krise entwickeln viele Menschen Ängste, bestehende Probleme verstärken sich
- Therapiemöglichkeiten wären daher besonders wichtig, doch Ansätze ohne persönlichen Kontakt sind problematisch
- Leverkusener Experten erklären, warum - und wie sie damit umgehen
Leverkusen – Die Therapeutin erscheint in einem kleinen Rechteck auf dem Schreibtisch, Kommunikation in 2 D. Verzögert kommt der Ton, der Patient kann nur leise sprechen, weil im Raum nebenan seine Frau sitzt. Er will nicht, dass sie zuhört. Gerade, als er an einen Punkt kommt, der ihm emotional sehr nahe geht, bricht die Leitung zusammen. So könnte es passieren, wenn eine Psychotherapie über Videotelefonie stattfindet. Natürlich ist das ein negatives Beispiel; doch es wird deutlich, wie schwierig es ist, Therapien medial vermittelt durchzuführen.
Unangenehmes Schweigen
Seitdem durch die Corona-Pandemie Therapien nicht mehr ohne Weiteres von Angesicht zu Angesicht und in direktem Kontakt stattfinden können, versuchen viele Therapeuten, per Video oder Telefon zu helfen. Doch Gestik und Mimik sind schwieriger zu lesen, Schweigen unangenehmer auszuhalten, der Patient wird nicht im geschützten Raum des Therapeuten empfangen und muss stattdessen das Innere seiner Wohnung vorzeigen.
LVR-Klinik bietet Hilfe an
Menschen mit psychischen Vorerkrankungen stellt die Krise vor besonders große Herausforderungen: Tagesstruktur geht verloren, finanzielle oder berufliche Unsicherheiten entstehen. Es sei wichtig, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, sagt Thomas Dielentheis von der LVR-Klinik Langenfeld, die auch für Leverkusen, Leichlingen und Burscheid zuständig ist: „Das kann die Lieblingsserie, ein neues Buch, Spaziergänge, Sport oder das Telefonieren mit Angehörigen sein.“
Wer eine Depression oder Suizidgedanken entwickle, solle sofort professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Alle psychiatrischen Ambulanzen, Tageskliniken und stationären Bereiche in Langenfeld haben geöffnet. „Das Pflegepersonal ist in Hygiene- und Abstandsregelungen geübt“, sagt Dielentheis.
Zu Beginn der Krise meldeten sich weniger Patienten. „Inzwischen sind es deutlich mehr.“ Hilfesuchende sollten bei einer Verschlimmerung der Symptomatik nicht zögern. Das Ansteckungsrisiko mit Corona sei aufgrund des Hygienekonzeptes nicht höher als außerhalb der Klinik. Während einer starken psychischen Belastung oder Erkrankung alleine zu Hause zu bleiben, können zu Krisen führen, betont der Facharzt .
http://www.klinik-langenfeld.lvr.de
Nichtsdestotrotz ist das Telefonieren mit Bild zumindest ein Ersatz, nicht zuletzt wird auch die Existenz des Therapeuten durch eine Fortsetzung der Therapie auf diesem Wege gesichert. Gleich zu Beginn der Krise im März brach das Geschäft der Psychotherapie und Beratung massiv ein. „Ich stand vor einem Trümmerhaufen und war erst wie paralysiert“, erzählt Jürgen Schneid. Der Schlebuscher berät Behörden, Non-Profit-Dienstleister und Privatpersonen. Normalerweise führt er die Beratung auch durch Aufstellung der Teilnehmer im Raum durch. Dadurch sollen Beziehungen und Zusammenhänge deutlich gemacht werden. Doch wie kann dieses Prinzip umgesetzt werden, wenn die meisten plötzlich nicht mehr in Gruppen zusammenkommen und im Homeoffice arbeiten?
Beratung in der Sporthalle
Etwas mehr als die Hälfte von Schneids Beratungsgruppen sind inzwischen wiedergekommen. „Wir brauchen die Hilfe dringend, können Sie trotzdem kommen?“ Mit solchen Bitten und neuen Problemen, die in der Krise aufkommen, wenden sie sich nun an ihn. Zwischen Panik und Leichtfertigkeit aufseiten der Hilfesuchenden habe er schon alles erlebt, erzählt er. Doch die Qualität und Intensität der Beratung nehme durch die neuen Umstände ab. Mit Masken könne man in diesem Bereich kaum arbeiten. Aber die Beratung findet statt: Sie wird in Turnhallen verlegt; in Ratssälen und auch in Schneids eigenem Saal kann die Arbeit nun wieder aufgenommen werden. Der telefonische Kontakt nehme zu, Bedarf bestehe in der Branche.
Hilfesuchende Kinder
Auch Erziehungshelfer seien zunächst im Zuge der Krise aufgefordert worden, die Beratung telefonisch fortzuführen. Mittlerweile machten sie Hausbesuche. Dort würden hilfesuchende Kinder auf sie warten, denen häufig nicht beigebracht worden sei, den entscheidenden Abstand zu halten. Viele Sozialarbeiter hätten selbst Angst vor Ansteckung und suchten wiederum Beratung und Supervision, so Schneid. „Es besteht bleibende Ungewissheit über die Zukunft des Themas“, sagt Schneid. „Wir haben noch überhaupt keine Routine.“
Depression verstärkt sich
Die Schwierigkeiten gelten auch für Pflegeeinrichtungen, Kliniken und jegliche andere psychosoziale Beratung. In einem Reader der Bundespsychotherapeutenkammer sind Erfahrungsberichte gesammelt: Therapeuten, Ärzte und Sozialarbeiter berichten davon, dass Patienten mit existenziellen Ängsten beschäftigt seien. Depressive Menschen würden „häufig unter der verordneten Isolierung und Einsamkeit“ leiden, heißt es beim Verband.
Dritte Person im Raum?
Ein Opladener Psychotherapeut und -analytiker hat sich, wie manch andere, dagegen entschieden, die Therapien per Videotelefonie fortzusetzen. Mit dem gebotenen Sicherheitsabstand kommen die Patienten weiterhin in seine Praxis; er öffnet die Türen und sitzt nun nicht mehr direkt am Kopfende des Sofas, auf das sich der Patient in der Analyse legt. „Ich denke nicht, dass das Bildtelefonat dazu geeignet ist, Psychotherapie abzubilden. Ich habe diese Form der Therapie nicht gelernt und frage mich, ob die Therapeuten, die dies anbieten, darin gelehrt sind“, schildert er. „Woher weiß ich, ob jemand Drittes im Raum ist? Ob der Ehemann nebenan sitzt, der vielleicht Teil des Problems meiner Patientin ist?“ Therapeut und Patienten sollten auch in einem Raum sein, damit er Halt geben könne. Bis zu 50 Prozent der Patienten wollten nicht mehr in die Praxis kommen, und in diesen Fällen sei die Kontaktmöglichkeit durch Telefon oder Video natürlich positiv. Möglichkeiten der Online- und Selbsttherapie für den Umgang mit Corona bietet das Onlineprogramm „Selfapy“ . Die Beratung hat einmonatige Laufzeit, zur Zeit sogar kostenfrei. Das Leverkusener Bündnis gegen Depressionen hat eine Übersicht mit aktuellen Hilfsangeboten zusammengestellt. http://www.deutsche-depressionshilfe.de
Telefonische Beratung des Sozialpsychiatrischen Zentrums: 0214/833322