AboAbonnieren

Häusliche Gewalt und Corona„Die Frauen werden im Zweifel permanent kontrolliert“

Lesezeit 4 Minuten
le-frauenberatungsstelle (2)

Das Team der Frauenberatungsstelle, Christiane Meinekat (l.) und Judith Stohr.

Leverkusen – Es seien viele Fehlinformationen im Umlauf, sagt Tanja Purucker, Mitarbeiterin im Frauenhaus Leverkusen: dass die Frauenhäuser wegen Corona niemanden mehr aufnähmen, geschlossen seien. „Die Aufnahme läuft wie sonst auch. Außerdem sind wir telefonisch erreichbar“, stellt Purucker klar. Bisher steigen die Zahlen zu häuslicher Gewalt nicht merklich, trotz Corona-Pandemie. Die Frauenberatungsstelle Leverkusen, das Frauenhaus, die Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt und das Frauenbüro der Stadt hatten in einer gemeinsamen Pressemitteilung vor einer Zuspitzung gewarnt.

Andrea Frewer von der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt erklärt, wieso Statistik und Realität aber nicht übereinstimmen. „Das passiert zeitversetzt. Viele melden sich erst später. Oder sie haben sonst auf dem Weg zur Arbeit angerufen. Die Kontrolle ist jetzt viel deutlicher“, sagt sie. Übergriffe passieren vor allem da, wo Frauen sich sicher fühlen. Persönlichen Nahraum nennt Frewer das. Corona zwingt die Frauen zum Rückzug in diesen Nahraum – die eigene Wohnung.

Häusliche Kontrolle erschwert Frauen Zugang zu Hilfsangeboten

Im Frauenhaus sind momentan verhältnismäßig viele Plätze frei. Eine Situation, die die Einrichtung sonst nicht kennt. Allein im letzten Jahr mussten 137 Frauen abgewiesen werden. „Es gibt bei Weitem nicht genug Plätze. Wir vermitteln die Frauen dann weiter und finden gemeinsam eine Lösung“, sagt Purucker. Der Zulauf sei gerade weniger, aber immer noch sehr hoch. Dass Plätze frei sind, lasse keineswegs auf einen Rückgang von Gewalt schließen – im Gegenteil.

Das könnte Sie auch interessieren:

Purucker ist beunruhigt. „Die Frauen werden im Zweifel gerade permanent kontrolliert. Sie haben keine Möglichkeit, in Ruhe zu telefonieren“, sagt sie. Die Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt sei extrem hoch. Dass diese angesichts der aktuell belastenden Umstände – existenzielle Sorgen, die gemeinsame Isolation auf engem Raum, welche schwierige Beziehungen zusätzlich belasten – zurückgehen, sei unrealistisch.

Einrichtungen sind weiterhin telefonisch erreichbar

Wenn es in der eigenen Wohnung zu Gewalt kommt, greift das Team der Frauenberatungsstelle Leverkusen ein. Als Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt vermitteln sie Betroffene an Einrichtungen und Therapeuten und klären sie über ihre Rechte auf. Den Frauen nicht in die Augen sehen zu können, erschwert Christiane Meinekat von der Frauenberatungsstelle derzeit ihre Arbeit. Der Sozialpädagogin bleibt nur das Telefon um einzuschätzen, welche Hilfe eine Anruferin braucht

„Manchmal hört man es an der Stimme, dann weiß ich, wo ich nachhaken muss. Beratungssituationen sind unruhiger, zum Beispiel wenn Kinder im Hintergrund sind. Das alles macht es schwieriger“, sagt Meinekat. Mehr als 630 Betroffene hat das Team im letzten Jahr beraten. Etwa die Hälfte von ihnen wegen häuslicher Gewalt. Die Frauenberatungsstelle hilft aber auch bei Trennung und Scheidung.

Frauen bricht das soziale Netz weg

Die Anzahl der Frauen, die sich bei ihnen melde, habe sich durch Corona bisher nicht erhöht, so Meinekat. 24 telefonische Beratungen führte das Team in der vorletzten Woche durch. Die Sozialpädagogin erklärt den ausbleibenden Anstieg ähnlich wie Andrea Frewer und Tanja Purucker. In der Isolation sind die Zeitfenster, in denen die Frauen sich melden können, noch kleiner als sonst. Was während der Corona-Zeit in den eigenen vier Wänden passiert, werde sich erst nach der Pandemie zeigen, so ihre Einschätzung.Den Frauen breche gerade das soziale Netz weg, das sonst Schutz bietet.

„Aufmerksame Lehrer, das Treffen mit den Freundinnen, wo man Dinge ansprechen kann. Auch die Flucht zu den Eltern ist gerade nicht möglich, weil diese zur Risikogruppe gehören. Die Frauen wollen sich trennen, halten aber gerade durch“, sagt die Sozialpädagogin. Auch aus ganz praktischen Gründen. Eine neue Wohnung zu finden ist gerade noch schwieriger als sonst. Meinekat und ihre Kollegin erklären den Frauen, dass es Gesetze gibt, die sie schützen.

Gewaltschutzgesetz: Männer müssen Wohnung verlassen

Nach dem Gewaltschutzgesetz sind es nicht die Frauen, die im Fall von häuslicher Gewalt gehen müssen. „Die Frauen können die Polizei rufen. Dann werden die Männer für zehn Tage der Wohnung verwiesen“, sagt Meinekat. Die Frist kann von einem Gericht verlängert werden.

„Es gibt die Beratungsangebote weiterhin. Betroffene können anrufen und einen Termin vereinbaren“, stellt Andrea Frewer von der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt klar. Die Frauen seien gerade auf jede Unterstützung angewiesen, sagt Tanja Purucker. Freunde, Nachbarn und Zivilgesellschaft sind gefragt, achtsam zu sein.