Mit „Kalter weißer Mann“ begeistert die Volksbühne Bergisch Neukirchen jetzt mit pointierter Sprachkomik und herrlich absurden Debatten.
„Kalter weißer Mann“Genderstern wird auf der Volksbühne Bergisch Neukirchen zur Zündschnur

Wenn der Genderstern zur Zündschnur wird: Das Ensemble von „Kalter weißer Mann“ zündet ein sprachgewaltiges Trauerspiel voller Pointen und Absurditäten.
Copyright: Timon Brombach
Er pfeift. Ganz entspannt. Die Melodie ist unmissverständlich: „So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Dabei ist es ein Tag der Trauer. Oder doch eher ein Tag des offenen Schlagabtauschs? Mit dem ersten Auftritt von Horst Bohne (Ramon Berges) beginnt im Saal Norhausen eine Komödie, die es in sich hat – und zwar so richtig. Erstmals in diesem Saal. Was als Betriebsbeerdigung des 94-jährigen Textilfabrikanten Gernot Steinfels beginnt, entpuppt sich schnell als wortgewaltiges Feuerwerk über Sprache, Macht und Identität. Kaum ist Bohne auf der Bühne, platzt das Online-Marketing-Team mit gut gelauntem Aktionismus in die Szenerie. Die Trauerfeier müsse schließlich auch „instagrammable“ sein. Warum also nicht Glitzerspray auf die Urne?
Der Vorschlag bleibt nicht der letzte seiner Art – denn spätestens als über die Formulierung auf dem Trauerkranz gestritten wird, „Die Mitarbeiter“ – „und die Mitarbeiterinnen?“ – ist klar: Diese Beisetzung wird kein stilles Gedenken, sondern eine sprachpolitische Schlacht mit offenem Visier. Mit rasanter Dialogführung und einem Ensemble, das sichtlich Freude daran hat, die Spirale aus Missverständnissen, Eitelkeiten und ideologischen Fronten immer weiterzudrehen, nimmt die Inszenierung von Dana Fischer und Karl-Heinz Leweke schnell Fahrt auf. Und sie bleibt auf Tempo. Dass Sprache Macht ist, wissen wir längst. Doch selten wurde das so amüsant wie entlarvend auf die Bühne gebracht wie hier. Die Gender-Debatte ist nur der Aufhänger für ein sich zunehmend verselbstständigendes Durcheinander, das immer absurder wird – und dabei umso wahrer.
Volksbühne Bergisch Neukirchen: Sprachwitz mit Tiefgang
„Ein Sekretär ist für mich ein Möbelstück“, erklärt Rieke Schneider, gespielt von Sonja Zaremba, mit entwaffnender Selbstgewissheit. „Sie heißen ja auch nicht Frau Schneiderin“, schallt es von Bohne zurück. Dann steht die Familiengeschichte von Herrn Bohne zur Diskussion: „Was waren Ihre Vorfahren, Herr Bohne?“ Es wird klar: Die Sache ist längst keine mehr. Es geht ums Prinzip. Oder besser: um das Festklammern an alten Gewissheiten und das verkrampfte Ringen um neue.
Das Team auf der Bühne – darunter auch Anna Feldhoff, Niclas Färber, Clara Fischer und Martin Gelbert – spielt sich die Pointen mit hoher Treffsicherheit zu. Jede Figur ist ein Typus, doch nie bloß Klischee. Gerade weil sie einander so wenig zuhören, wird das Stück zum Spiegelbild einer Gesellschaft, in der alle reden, aber kaum einer wirklich versteht. Besonders besticht das eineinhalbstündige Spiel mit Pausen und Blicken: Inmitten der schärfsten Dialoge entstehen immer wieder Momente der Stille, in denen das Publikum den Atem anhält – nur um im nächsten Moment erneut in befreiendes Gelächter auszubrechen.
Dass man sich im Zuschauerraum bei der einen Figur ertappt fühlt – und kurz darauf bei der Gegenseite mitlachen muss –, ist kein Zufall. Jacobs und Netenjakob, deren Handschrift aus „Stromberg“ oder „Mord mit Aussicht“ bekannt ist, gelingt hier ein seltener Spagat: Sie lachen mit ihren Figuren, nicht über sie. Und sie nehmen alle ernst – auch die Irrungen und Abgründe. Am Ende verlässt man das Theater nicht mit einer eindeutigen Meinung, aber mit dem wunderbaren Gefühl, inmitten aller Gegensätze Menschliches entdeckt zu haben. Und ja – vielleicht auch ein bisschen mehr Verständnis für den „alten weißen Mann“. Oder die Dame mit dem Glitzerspray.
Spieltermine und Tickets
Die Komödie „Kalter weißer Mann“ ist an folgenden Terminen zu sehen: im Saal Norhausen (Von-Ketteler-Straße 30) am 26. und 27. April sowie am 17. und 18. Mai 2025, im Megafon Burscheid (Höhestraße 72) am 24. und 25. Mai 2025 – jeweils um 17 Uhr. Tickets gibt es online für 12 Euro und ermäßigt 9 Euro online.