Der Bundesgesundheitsminister und Leverkusener Abgeordnete hatte sich zuletzt mit niedergelassenen Ärzten getroffen.
„Redet mit uns“Was ein Leverkusener Ärzte-Vertreter von Karl Lauterbachs Plänen hält
Nobert Mülleneisen laviert nicht herum, er ist ein Mann für klare Worte. Das bewies er nicht nur auf dem Neujahrsempfang der Leverkusener Ärzte und Psychotherapeuten vor wenigen Tagen auf Schloss Morsbroich, sondern auch im Gespräch mit dem „Leverkusener Anzeiger“. „Ich bin nun 68 Jahre alt und darf aus Erfahrung sagen: Mit jedem Gesetz zum Bürokratieabbau wurde es komplizierter und nicht einfacher.“
Er habe, seit er sich 1996 als Arzt niedergelassen habe, so viele Gesundheitsminister erlebt. Und egal, welcher Partei sie angehörten – „den richtigen Gesundheitsminister muss man noch backen“. Dabei, sagt Mülleneisen konkret auf die Pläne des derzeitigen Bundesministers und Leverkusener Abgeordneten Karl Lauterbach angesprochen, sei dieser grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Aber Mülleneisen wünscht sich, wie viele andere Ärzte auch, mehr einbezogen zu werden, wenn es um seinen Berufsstand geht.
Norbert Mülleneisen ist Vorsitzender des Regionalen Praxisnetzes Leverkusen, dazu Beisitzer im Vorstand der Leverkusener Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Er betreibt ein Asthma- und Allergiezentrum als Gemeinschaftspraxis in Leverkusen.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte sich vor wenigen Tagen mit Vertretern der Ärzteschaft und Krankenkassen getroffen. Noch im Januar will der Sozialdemokrat ein Gesetz vorlegen, mit dem er Praxen „entökonomisieren“ wolle. Unter anderem soll die sogenannte Budgetierung wegfallen. Das bedeutet, dass die Bezahlung für die Behandlung von gesetzlich Versicherten nicht mehr durch die Kassen nach oben begrenzt ist.
Das soll verhindern, dass Ärzte ihr Budget noch vor Monatsende ausgeschöpft haben und deshalb für weitere Patienten nicht mehr bezahlt werden. Lauterbach plant ebenfalls, dass Hausärzte nur noch einmal im Jahr eine sogenannte Versorgungspauschale beim ersten Besuch in der Praxis abrechnen können. Die Ärzte sollen also die Pauschale bekommen, egal, wie oft die Patienten danach noch kommen. So will der Bundesgesundheitsminister Arztbesuche verhindern, nur damit die Pauschale bezahlt wird. Bisher mussten die Menschen dafür nämlich einmal im Quartal kommen.
„Ich freue mich natürlich über die Entbudgetisierung“, kommentiert Mülleneisen. So richtig überzeugt ihn das allerdings nicht, weil er meint, dass nicht alle Ärzte davon etwas hätten. Vor allem die nicht, die ihr Monatsbudget nicht voll ausschöpfen würden.
Der Arzt ist grundsätzlich skeptisch, was Reformen in seiner Branche angeht: „Ankündigungen sind meistens nicht das, was hinterher passiert.“ Und er holt weiter aus: „Alle, die guten Willens sind bei solchen Reformen, haben aber noch nicht in einer Praxis gesessen“, sagt er und schränkt selbst ein: „Klar, das ist ein billiger Vorwurf. Ein Politiker ist ein Politiker, ein Arzt ist ein Arzt.“ Aber gerade deshalb fordert er, dass sein Berufsstand mehr in solche Prozesse einbezogen werde. „Redet mit uns, nehmt uns mit!“
Als Beispiel nennt er die Digitalisierung der Medizin. „Eine grundsätzlich sinnvolle Entwicklung“, findet er. Aber so wie es jetzt laufe, funktioniere es nicht. Und das habe nichts damit zu tun, dass er oder seine Kollegen gegen die Digitalisierung seien. Mülleneisen gibt einige Beispiele: Es sei ein großer Aufwand, in seiner Gemeinschaftspraxis Medikamente für Patienten seiner Kollegen zu verschreiben, wenn die nicht da seien. Es gebe Leistungen, die nicht an die Software angebunden seien, „Wir haben 20 Softwareanbieter“, sagt er. In Luxemburg, das habe er sich angeschaut, gebe es zwei. „Wir sind keine Computerexperten, sondern haben Medizin studiert“, sagt er. Er habe eine Kollegin, die eine 520-Euro-Kraft nur für die IT eingestellt habe.
Ein weiteres großes Problem für die niedergelassenen Ärzte laut Mülleneisen: die „überbordende Bürokratie“. Niedergelassene Ärzte müssten elektronische Arztbriefe versenden. Kliniken dagegen nicht. Deren Briefe kämen meist handschriftlich und müssten in den Praxen mühsam eingescannt werden. Und weiter: „Krankenkassen sind gezwungen, auf wirtschaftlicher Verordnung zu bestehen“, hatte er in seiner Rede auf dem Jahresempfang vor den Kollegen gesagt. „Aber warum muss ich als Lungenarzt in einem aufwändigen Briefwechsel erklären, warum eine schwer Lungekranke ein bestimmtes Inhalationsgerät benötigt? Diese Zeit wird meinen Patientinnen und Patienten gestohlen.“ Er sei „Facharzt für gehobenen Schriftverkehr“ sagt er im Gespräch.