Die 44. Leverkusener Jazztage sind eröffnet. Der Singer-Songwriter Philipp Poisel lässt es im Forum emotional werden und zeigt, warum er als Musiker ein Gesamtkunstwerk ist.
Leverkusener JazztageEine Festival-Eröffnung der Herzen mit Philipp Poisel
Dass er einen kleinen Narren an dieser absonderlichen Stadt gefressen hat, wird während der zwei Stunden, die Philipp Poisel auf der Bühne des Forums steht, mehr als deutlich: Er, der Meister der Melancholie, der massenweise in Liedform gepressten Tragik und der Tränen-Texte, ruft zigmal „Leverkusen“. Mit Ausrufezeichen. Und fröhlich und gut gelaunt. Und: Er tanzt. Tanzt den Jazztage-Tanz, während die knapp 1000 Zuschauerinnen und Zuschauer vor ihm stehen und mitsingen. Zeile für Zeile. Und manche Songs sogar fast ganz alleine, weil er – Philip Poisel – so ergriffen ist von der Inbrunst, die ihm da entgegenschlägt bei einem Festival, das sich doch eigentlich dem Jazz verschrieben hat, das aber auch Musikern wie ihm, den Singer-Songwritern unserer Zeit, ein Forum bietet. Und das auch noch in der Pole Position. Am ersten Abend.
Sinn für Romantik und Drama
Die Eröffnung gerät dank des Schwaben dann auch zu einer Öffnung der Herzen und der Gefühle. Man muss das nicht mögen. Es hat nichts zu tun mit Gitarren-Gegniedel und maximaler Schlagzeug-Bearbeitung und dem grummelnd vor sich hin treibenden Bass, mit hektischem Saxofon-Gepuste und Tonkaskaden auf dem Klavier. Eben: mit Jazz. Aber dafür kommen hier und heute die Menschen mit einem Sinn für Romantik und Drama in Text und Musik voll auf ihre Kosten. Und das ist ja auch was. Nicht zuletzt, weil sich jeder und jede irgendwie hineinversetzen kann, in das, was Philipp Poisel da singt – untermalt von einer famosen und druckvoll aufspielenden Band.
„Ich will ein Roman für dich sein und keine kurze Geschichte.“ „Ich will, dass das für immer bleibt!“ „Ich will nur, dass du weißt: Ich hab‘ dich immer noch lieb!“ Und natürlich: „Weil du die Liebe meines Lebens bist!“ Das sind Sätze, die einem doch dann in den Sinn kommen, wenn das eigene Leben am emotionalsten, am besten, am glücklichsten, am spürbarsten ist. Sowas nimmt alle mit. Damit können alle etwas anfangen. Da fühlt sich jeder irgendwie zu Hause und sehr wohl, weil es so menschelt.
U2-Gedächtnis-Sounds
Zudem ist dieser Philipp Poisel ja auch von seiner ganzen Erscheinung als Sänger eine Attraktion für sich. Er besetzt die Traurigkeits-Nische des Herzen-Rührers konsequent bis verbissen. Und er nennt einen Singsang sein Eigen, der einzigartig ist, weil’s im steten Wechsel mal hoch geht und mal tief runter. Weil es piepsig wird und weil gejauchzt wird. Und weil Philipp Poisel ganze Silben am Ende einfach so verschluckt – wie einer, dessen Stimme tränenerstickt verendet, sobald es ganz ernst wird und ans Eingemachte geht. Kurzum: Besser kann man Gefühle nicht vertonen.
Und wenn es dazu von der Band auch noch U2-Gedächtnis-Sounds gibt – Glockengitarren wie bei The Edge, „Woowoowoo“-Chöre wie von Bono – dann wird eine Show wie diese tatsächlich zum Gesamtkunstwerk. Und mit Kunstwerken ist das ja immer so eine Sache: Ihre Wirkung ist relativ. Die einen feiern sie. Die anderen sagen: Bloß nicht! Aber genau dieser Diskurs macht sie dann auch relevant. Ergo: Ein Musikfestival, das sich um ein umkämpftes und rauf- wie runterdiskutiertes Genre dreht, könnte wesentlich unpassender eingeleitet werden als mit einem Diskurs-Künstler wie Philipp Poisel.
Dass am zweiten Abend mit Beth Hart ein fast schon angehender Superstar des Bluesrock auf die Forum-Bühne kommt und die Jazztage weiter durchs erste Wochenende treibt, ist ebenso passend und Aufsehen erregend. Indes: Leider scheint die Amerikanerin schon ein wenig zu viel auf Superstar gepolt zu sein, denn: Ihr Management legte den Medien einen jedem Gedanken von Pressefreiheit widersprechenden Knebel-Fotovertrag vor – deshalb haben wir uns gegen eine Berichterstattung entschieden. Aber: Philipp Poisel war ja da. Er hat die Jazztage auf die Spur gebracht – und die Vorfreude auf mehr in den kommenden zwei Wochen dieses großen Festivals geweckt.