MaterialfehlerLeverkusener Brücke droht jahrelanger Stillstand und Kostenexplosion
- Die dringend benötigte neue Leverkusener Brücke befindet sich bereits im Bau. Doch jetzt droht jahrelanger Stillstand – wegen eines Streits um die Stahlqualität.
- Straßen NRW sieht bei 22 Stahlbauteilen aus China gravierende Mängel. Der Baukonzern weist die Vorwürfe zurück.
- Käme es zur Verzögerung, wäre das ein Drama – nicht nur, weil die alte Brücke asbestverseucht und marode ist.
- Lesen Sie hier alle Hintergründe des Streits.
Köln/Leverkusen – Als das Frachtschiff Casimir aus Rotterdam mit zwei 27 Meter langen Stahlbauteilen im Bauch am 8. April den Niehler Hafen in Köln erreicht, ist bereits klar: Diese Stahlbrücken aus China werden wohl niemals für die neue Leverkusener Rheinbrücke Verwendung finden. Nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ steht das gesamte Großprojekt auf der Kippe. Das Land erwägt, die Verträge mit dem österreichischen Baukonzern Porr AG für den 363 Millionen Euro teuren Neubau zu kündigen.
Tüv bemängelt Überwachung
Grund ist ein heftiger Streit um die Qualität der bereits gefertigten Bauteile, von denen 22 schon in Europa angekommen sind. Vier liegen im Niehler Hafen, weitere 18 in Rotterdam. Insgesamt werden für die erste Brückenhälfte 40 Stahlbauteile gebraucht.Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ liegen Auszüge aus Protokollen des Tüv Rheinland vor, der die Fertigung in China kontrolliert hat. Die Unterlagen beziehen sich auf die Zeit von Juli bis November 2019. Das Urteil der Tüv-Prüfer fällt eindeutig aus: Die Überwachung der von der Porr AG in China beauftragten Firma China Railway Shanhaiguan Bridge Group (CRSBG) war „völlig unzureichend“ und sei entsprechend bemängelt worden. Dabei geht es nicht um die Qualität des Stahls, sondern um die Verarbeitung, die deutschen Standards nicht entspreche.
Auf Anfrage bestätigt der Landesbetrieb Straßen NRW, der für den Neubau der Brücke verantwortlich ist, „dass die Stahlbauteile für den ersten Neubauteil gravierende Mängel aufweisen. Wir bitten um Verständnis, dass aufgrund der aktuell laufenden Gespräche mit Porr derzeit keine weiteren Informationen möglich sind“, heißt es.
Porr AG: Pingelige Herangehensweise
In der Führungsetage des österreichischen Baukonzerns Porr, der die europaweite Ausschreibung gewonnen hatte, stößt das Verhalten des Landesbetriebs auf völliges Unverständnis. Die Produktion der Stahlbauteile durch CRSBG sei kontinuierlich überwacht worden. „Wir haben 20 eigene Leute hingeschickt“, sagt Rechtsanwalt Ralf Leinemann, der den Baukonzern juristisch vertritt.
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Der Tüv Rheinland sei mit ungefähr zehn Mitarbeitern in China gewesen. Straßen NRW habe eine Ingenieurgemeinschaft beauftragt, die eigene Qualitätskontrollen vorgenommen hätten. „Es hat während der Produktion immer wieder Kritteleien gegeben“, räumt Leinemann ein. Das Arbeitsklima mit den chinesischen Partnern habe sich durch eine „pingelige Herangehensweise“ bei den Kontrollen verschlechtert.
Man habe aber alle Probleme ausräumen können. Straßen NRW habe die Freigabe für die Verschiffung der 22 Stahlteile erteilt, die für den Bau der ersten Brückenhälfte benötigt werden. Insgesamt werden für die Konstruktion der beiden Brückenteile 80 Bauteile gebraucht.
Nachkontrollen in Rotterdam
Nach der Ankunft der bis zu 27 Meter langen Stahlteile im Hafen von Rotterdam habe der Landesbetrieb erneute Kontrollen durchführen lassen. Dabei kam man aus Sicht von Porr völlig überraschend zu dem Ergebnis, „dass die Bauteile, deren Fehlstellen noch in China beseitigt waren, plötzlich viel zu gravierende Mängel hätten“, so Leinemann. „Straßen NRW verlangt plötzlich, dass alle Teile neu gebaut werden.“ Zehn Wochen lang habe der Landesbetrieb mit Röntgengeräten und Ultraschall im Hafen von Rotterdam die Bauteile akribisch abgesucht, so Leinemann weiter.
Inzwischen tobt ein Gutachterstreit. Porr hat eine Expertise eines renommierten Ingenieurbüros für Werkstofftechnik und Werkstoff-Anwendung in Aachen anfertigen lassen, dessen Ergebnis nach Angaben des Unternehmens eindeutig ist. Die Qualität und die Verarbeitung des Stahls entsprächen europäischem Niveau. Vorgefundene Kratzstellen, Schweißspuren und vereinzelte Poren in den Schweißnähten seien im üblichen Rahmen und könnten ohne Probleme ausgebessert werden.
Ein Gutachten, das der Landesbetrieb Straßen NRW bei einem Institut für Schweißtechnik in Darmstadt in Auftrag gegeben hat, kommt offenbar zu einem anderen Ergebnis. „Wir haben Straßen NRW vorgeschlagen, gemeinsam einen unabhängigen Experten als Gutachter zu beauftragen“, sagt Leinemann. Das sei abgelehnt worden. Derzeit herrsche Funkstille. Straßen NRW habe der Porr AG untersagt, die vier Stahlbauteile im Hafen Köln-Niehl an Land zu bringen. Porr befürchtet eine weitere Bauverzögerung von mindestens zwei Jahren und zusätzliche Kosten „im dreistelligen Millionenbereich“, wenn man sich nicht einigt und der Vertrag gekündigt wird.
Das Unternehmen hat nach Angaben von Rechtsanwalt Leinemann überdies angeboten, die beiden ersten Bauteile in China neu zu fertigen. „Das wäre zeitneutral möglich, über die Kosten kann später verhandelt werden.“ Auch das sei von Straßen NRW abgelehnt worden. „Für uns ist die Radikalität der Forderungen nicht nachvollziehbar.“
Oder vielleicht doch? Die Zusammenarbeit mit der Porr AG stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Der Baukonzern hat nach seinen Angaben bei Beginn der Arbeiten kein freies Baufeld vorgefunden. Dass die Kampfmittelsondierungen durch den Bauherrn nicht abgeschlossen waren, hatte Porr-Vorstandschef Karl-Heinz Strauss dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits im Dezember 2019 bestätigt. Straßen NRW habe die Hausaufgaben nicht gemacht. Das sei der Grund, warum der erste Neubauteil nicht wie geplant Ende 2021, sondern ein Jahr später fertig werde.
Mit Asbest und PCB belastet
Inzwischen haben neue Untersuchungen festgestellt, dass der Abbruch der alten Brücke, der nach dem Neubau des ersten Brückenteils beginnen soll, viel komplizierter wird als bisher geplant. Der Abbruch ist Teil des Gesamtauftrages. Die alte Brücke weist „massive Asbest-Fundstellen auf“, sagt Rechtsanwalt Leinemann. Die gesamte Außenbeschichtung sei überdies PCB haltig. „Das kostet noch einmal zwei Jahre oder mehr an Bauzeit.“ Porr habe dem Landesbetrieb ein Zeit sparendes Abbruchkonzept vorgelegt, aber bisher werde an einer langwierigeren Methode festgehalten. „Porr möchte das Projekt retten. Wir reden stattdessen aber nur über den chinesischen Stahl statt über eine möglichst kurze Bauzeit in Anbetracht der neuen Schadstoffe“, sagt Leinemann. „Porr hat umfassende Erfahrung mit großen Infrastruktur-Projekten und ausnahmslos renommierte Partner in diesem Projekt.“Hat Straßen NRW in Sachen China-Stahl so heftig reagiert, um von eigenen Ausschreibungsproblemen abzulenken? Schließlich ist es wahrscheinlich, dass das Bauwerk wohl erst zwei bis drei Jahre später als geplant fertig wird.
250 Millionen Euro mehr gefordert
Nach Informationen unserer Zeitung hatte die Porr AG ihr Abbruchkonzept zwischenzeitlich mit einer Nachtragsforderung im Dezember 2019 verknüpft. Danach würde sich das Projekt um 250 Millionen auf 613 Millionen Euro verteuern und sich die Bauzeit um viereinhalb Jahre verlängern.
In einem Schreiben an das NRW-Verkehrsministerium vom 3. April hat Porr-Vorstandschef Karl-Heinz Strauss diesen Nachtrag zurückgezogen. „Ich bin mir ganz sicher, dass wir in diesem Punkt eine partnerschaftliche und einvernehmliche Lösung erreichen können, wenn beide Seiten es wollen. Selbstverständlich ist es auch unser größtes Interesse, dass wir nach Wegen suchen, um die Bauzeit zu optimieren und die Verkehrsfreigabe der Brücke so rasch als möglich zu erreichen.“ Er bitte um einen Termin nach den Osterferien, „um eine sinnvolle Lösung zu erzielen.“
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte die damalige Direktorin von Straßen NRW, Elfriede Sauerwein-Braksiek, im Februar um ein Gespräch gebeten. Am 6. März antwortete die Straßenbau-Managerin per E-Mail: „Gerne spreche ich mit Ihnen über die Rheinbrücke Leverkusen und unser Projekt A-bei-LEV. Wenn es etwas Neues gibt, komme ich direkt auf Sie zu.“ Seit 1. April leitet sie die Niederlassung Westfalen der neuen Bundesautobahngesellschaft.