TextarDie Geschichte beginnt in Schottland

Die Herstellung von Bremsbelägen ist nicht nur Männersache, zeigt ein Blick in die Montagehalle.
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Leverkusen – Verkäufe, Zusammenschlüsse, eine Pleite – und Weltmarktführer. Die Geschichte von Textar ist vor allem in den Jahren seit 2000 turbulent geworden. Den 100. Geburtstag feiert das Unternehmen dagegen relativ dezent. Womöglich auch, weil am Anfang nur eine Handelsvertretung steht und keine eigene Produktion. Die kommt erst zwei Jahrzehnte später. Dabei ist seit dem Verkauf an den japanischen Bremsbelaghersteller Nisshinbo endlich Ruhe eingekehrt an der Fixheider Straße. Das anstrengende Jahrzehnt im Besitz von Finanzinvestoren ist glücklich zu Ende gegangen (siehe „Finanzinvestoren, Steuererlass“).
Am 29. Juli 1913 legt Paul Bauernfeind dem Kölner Amtsgericht einen Antrag auf Eintragung ins Handelsregister vor. Bauernfeind ist Geschäftsführer der Scandinavian Belting Ltd., die ihre Ursprünge im schottischen Dundee hat und mit gewebten Riemen für Antriebe und Förderbänder nun den deutschen Markt erobern will. In Deutschland wird einige Zeit später Textar draus, das steht übrigens für Textile Asbest- und Riemen-GmbH – daran wird sich kaum einer erinnern, der mit den Bremsbelägen unterwegs ist. Die werden seit 1934 in Leverkusen hergestellt. Die Hallen stehen zunächst in Schlebusch, in der Waldsiedlung. Dafür müssen seinerzeit das Straßenbahndepot und der Sportplatz des SV Schlebusch weichen.
August 2000 Die Textar-Muttergesellschaft BBA Friction wird für umgerechnet 776 Millionen Euro vom Finanzinvestor Montagu übernommen, hinter dem die Bank HSBC (Hong Kong and Shanghai Banking Corporation) steht und firmiert seitdem unter TMD Friction, wobei TMD für die Produktlinien Textar, Mintex und Don steht.
September 2001 TMD übernimmt den Zulieferer Rütgers mit Hauptsitz in Essen und 2000 Beschäftigten weltweit. Die Hälfte von ihnen arbeitet in Deutschland.
November 2006 Nachdem Montagu seine TMD-Firmenanteile an ein Konsortium aus Hedge-Fonds überschrieben hat, wird offenbar, dass sowohl der Bund als auch die Stadt den Deal steuerfrei gestellt haben. Theoretisch wären Gewerbe- und Körperschaftssteuer angefallen – jeweils 100 Millionen Euro. Nachdem Gutachter gegenüber den Steuerbehörden dargelegt hatten, dass Abgaben in dieser Höhe die mit 782 Millionen Euro Schulden belastete Firma überfordern würden, verzichtet auch der Leverkusener Finanzausschuss auf die Steuerzahlung, um die Jobs nicht zu gefährden. Nicht viel später wird klar, dass TMD Friction in Leverkusen bis zu 400 Jobs streichen will.
Dezember 2008 TMD Friction ist zahlungsunfähig. Ein Jahr vorher lag der Konzernumsatz noch bei 690 Millionen Euro. Offenbar konnte das Unternehmen aber die Zinslast nicht mehr schultern, die ihm von den Hedge-Fonds aufgebürdet worden war.
April 2009 Der Finanzinvestor Pamplona – ein Londoner Fonds mit russischen Wurzeln – übernimmt Know-how, Maschinen und die meisten Mitarbeiter von TMD Friction. Die übrigen Firmenteile werden von Insolvenzverwalter Frank Kebekus abgewickelt. Unterdessen rollt vor dem Arbeitsgericht eine Klagewelle gegen Entlassungen im Zuge der Pleite an. Die Firma hat in der Insolvenz 700 von 4500 Jobs weltweit verloren, 260 davon in der Fixheide.
Dezember 2010 TMD Friction stockt seinen 49-Prozent-Anteil an dem Rennsport-Spezialisten bt Bremsen auf 100 Prozent auf.
April 2011 Die Bilanz für 2010 weist eine Umsatzsteigerung von 530 auf 637 Millionen Euro aus. Das Vorsteuer-Ergebnis steigt von 27 auf 71 Millionen Euro. Die Gewinnmarge verdoppelt sich immerhin auf mehr als zehn Prozent. Kurz darauf erwirbt TMD Dynotherm, einen südafrikanischen Reibbelaghersteller. Die kleine Firma ist im Industriegeschäft, dem Schienen- und Nutzfahrzeugsektor tätig.
September 2011 TMD Friction und der japanische Bremsenhersteller Nisshinbo schließen sich zusammen. Das Unternehmen hat damit nach mehr als einem Jahrzehnt in den Händen von Finanzinvestoren wieder einen industriellen Eigentümer.
April 2013 Die TMD Friction meldet für das Geschäftsjahr 2012 einen Umsatz von 634 Millionen Euro (tk)
Heute sieht man davon nichts mehr: In den 1980er Jahren verlegt die Firma zunächst ihre Produktion in die Fixheide, 2001 folgen Verwaltung und das Bremsenforschungszentrum. Im Lauf des Umzugs in die Fixheide wird erheblich modernisiert. 50 Millionen Euro fließen in neue Gebäude und Anlagen. 1998 muss man sich erstmals an einen neuen Namen gewöhnen: Textar geht in der ursprünglichen Muttergesellschaft BBA Friction auf.
Zwei Jahre später kommt dann die nächste Umfirmierung. Nun heißt es TMD Friction, das T steht für Textar. Viel bedeutender ist allerdings, was dahinter steht: Die Londoner Muttergesellschaft hat nämlich ihre komplette Bremsbelagsparte an einen Finanzinvestor verkauft. Hinter Montagu steht das Bankhaus HSBC, das zunächst auch recht erfolgreich zu wirtschaften scheint. Doch 2003 gibt es einen ersten Stellenabbau, 2006 folgen weitere, tiefe Einschnitte, zwei Jahre später die Pleite. 2009 kommen die nächsten Finanzinvestoren, 2011 die Japaner.