Es war oft schwer, aber am Ende hat die Gier nach dem Leben und Glück die Aussteigerin gerettet. Das zeigen Lesung und Diskussion im Saal der Bielertkirche.
Zeugen JehovasSophie Jones’ Lesung ist ein Highlight der Leverkusener Buchwoche
Ganz am Ende dieser Lesung, die mehr gewesen ist als nur eine Lesung, sagt Sophie Jones einen Satz, der typisch für sie steht und all das, was ihr bisher widerfuhr, verbal spiegelt: „Ich bin ein Mensch, der sich nicht gerne sagen lässt, was er tun oder lassen soll.“
Natürlich: Die Leipzigerin lächelt dabei. Aber es ist ein Lächeln zwischen humorvoll und herrlich fies, das sich über das Gesicht der Autorin zieht. Ohne es – sprich: ohne ihr Faible fürs Aufbegehren und die absolute Selbstbestimmung – würde sie an diesem Abend nicht hier sitzen. Und Leverkusen wäre eine der sicherlich spannendsten und unterhaltsamsten Veranstaltungen dieser Buchwoche „Lev liest“ entgangen.
Für sie ist es ganz klar eine Sekte
Sophie Jones, das wissen diejenigen, die ihr Buch „Erlöse mich von dem Bösen“ gelesen haben, war als Kind und Jugendliche Mitglied der Zeugen Jehovas. Einer, wie sie heutzutage betont, Sekte, in der das Individuum, zumal wenn es eine Frau ist, wenig und die Gemeinschaft maximal zählt. Vor etwa zehn Jahren stieg sie aus. Allein. Weil sie es so wollte und bereit war, alle Konsequenzen zu tragen, bis hin zur Ächtung der früheren Bekannten und Freunde. Zu ihrer Mutter, die blieb, hat sie keinen Kontakt mehr.
Mehr noch: Alles seitdem – ein Studium der Bibliothekswissenschaft, gar eine Wahl zur Miss Sachsen, vor allem aber das Zu-Papier-Bringen und die Veröffentlichung eines Bestsellers über ihr altes Leben – hat sie sich selbst erarbeitet und bisweilen erkämpft. Und genau diese Zielstrebigkeit, diese Euphorie des Lebens des eigenen Lebens bringt Sophie Jones an diesem bemerkenswerten und mitunter erschütternden Abend aus ihrem Buch vortragend und mit Veranstalter Tobias Falke diskutierend ehrlich und intensiv rüber.
Auch der Gastgeber ist ein Aussteiger
Falke ist selbst ein Aussteiger. Kennt sich aus. Was dazu führt, dass das Zwiegespräch im evangelischen Gemeindehaus an der Bielertstraße in Opladen zu einem in vielen Momenten großartigen Austausch und, ebenso so salopp wie von den beiden ab und an gesprochen, Hin-und-Herpfeffern von Erlebnissen wird. Manche davon sind schockierend und offenbaren die tiefe Unmenschlichkeit, die sektenähnlichen Strukturen innewohnt und die auf psychischer Erpressung basieren. Manchmal sogar zu Suizidgedanken führen – auch bei Sophie Jones.
Aber letztlich gelingt es der jungen Schriftstellerin, die sich heute um Aussteigerinnen und Aussteiger ebenso wie um missbrauchte Kinder kümmert, stets, die Lebensfreude, die Gier und Suche nach Glück und dem Oben-Halten des eigenen Kopfes in den Fokus zu rücken. Unbedingt. Emotional. Zutiefst menschlich. Sowas nennt man inspirierend. Und sowas ist ein später Glanzmoment am letzten Tag von „Lev liest“.