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„Man sollte euch alle verbrennen“Wie Erdogan-Kritiker in NRW bedroht werden

Lesezeit 6 Minuten

Erdogan-Anhänger randalierten vor diesem Jugendtreff der Gülen-Bewegung in Gelsenkirchen-Hassel.

Köln – Das sei wie bei einem Schneeball-System gewesen. „Die Anfeindungen wurden mehr und mehr, bis die Beschimpfungen und Bedrohungen so heftig waren, dass ich die Polizei einschalten musste“ sagt Hasan Tuncer, Ratsherr aus Mülheim an der Ruhr. Auf seiner Facebook-Seite hatte der 26-jährige Politikstudent vor kurzem den Putsch in der Türkei verurteilt, aber anschließend auch Kritik an Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan geäußert.

Nachdem der Beitrag vielfach gelobt und geteilt wurde, kamen die ersten Verunglimpfungen. „Man werde vorbeikommen und mich zusammenschlagen“, habe es beispielsweise geheißen. „Oder man habe mich jetzt beim türkischen Außenministerium gemeldet und bei der nächsten Türkei-Reise würde ich deshalb sicher viel Spaß haben.“ Auch gegen den alevitischen Glauben des Politikstudenten wurde gehetzt.

„Man sollte euch alle verbrennen, wie damals in Sivas“, wurde gedroht. Eine Anspielung auf einen Brandanschlag, begangen durch einen religiös motivierten und aufgepeitschten Mob, bei dem am 2. Juli 1993 in der zentralanatolischen Stadt Sivas 37 Besucher eines alevitischen Festivals zu Tode kamen.

Kinder aus Angst von der Schule abgemeldet

Türkischstämmige Menschen in NRW, die Kritik an Erdogan oder der von ihm initiierten Verhaftungswelle äußern, wurden in den vergangenen Wochen immer wieder bedroht und beschimpft. In mindestens 14 Fällen kam es auch zu Sachbeschädigungen oder zu leichten körperlichen Auseinandersetzungen, wie einem Bericht der Landesregierung zu entnehmen ist.

Und die Anfeindungen zeigen Wirkung: Am Kölner Dialog-Schulzentrum, das der Bewegung des türkischen Predigers Fetullah Gülen nahesteht, wurden in den vergangenen Wochen fast zehn Prozent der 565 Schüler abgemeldet. Die Eltern hätten Angst, weil Erdogan den Prediger als Drahtzieher des Putschversuches in der Türkei beschuldigte und dessen Anhänger verfolgen lässt, so ein Sprecher der Schule.

Aber nicht nur Gülen-Sympathisanten werden verbal attackiert, auch Kurden, Aleviten und Armenier wurden in den vergangenen Wochen Opfer von Anfeindungen. „Die Unterstützung für Erdogans AKP ist gerade in NRW höher als in der Türkei, weil es hier eine starke konservative Strömung gibt“, sagt Haci-Halil Uslucan, Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien. „NRW und speziell Köln als Sitz zahlreicher großer politischer und religiöser Verbände spiegeln zudem das Spannungsverhältnis zwischen den einzelnen türkischstämmigen Gruppierungen in besonderer Weise wider.“ Viele Erdogan-Anhänger hätten das Gefühl, dass Deutschland und der Westen der Türkei es nicht gönne, eine Großmacht zu sein. „Bei manchen führt das zu einer Überidentifikation mit einem starken Führer Erdogan“, erklärt Uslucan.

„Denunziations-Hotline“ gezielt in türkischer Community verbreitet

Adnan Kelek (Name geändert) ist Mitglied des Gülen-nahen Vereins „Harmonie e.V.“ in Gelsenkirchen. Nach dem gescheiterten Putschversuch haben Erdogan-Anhänger eine Scheibe des Vereinshauses eingeschlagen. Vor zwei Wochen habe die türkische Polizei seine Mutter in seinem Heimatdorf nahe der Schwarzmeerküste aufgesucht und verhört, so Kelek. „Vier Stunden haben sie meine Mutter über mich ausgefragt und unter Druck gesetzt“, sagt der türkischstämmige Deutsche. „Sie haben ihr deutlich gesagt, dass ich Ärger bekommen würde, sollte ich es wagen, in die Türkei einzureisen.“

Erdogan-Anhänger randalierten vor diesem Jugendtreff der Gülen-Bewegung in Gelsenkirchen-Hassel.

Unklar ist, wer den zweifachen Familienvater angeschwärzt hat. Es könnte ein Erdogan-Sympathisant aus der Nachbarschaft oder sogar der Verwandtschaft gewesen sein, vermutet Kelek. Ebenso sei es möglich, dass jemand aus dem Gelsenkirchener Bekanntenkreis die „Denunziations-Hotline“ angerufen habe. Die Nummer wurde gezielt in der türkischen Community verbreitet.

Foto und Handynummer im Internet veröffentlicht

Die „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“ (UETD), die deutsche Lobby-Organisation der türkischen Regierungspartei AKP und Veranstalter der Pro-Erdogan-Demo in Köln, hat stets bestritten, an diesen Kampagnen beteiligt gewesen zu sein. Im Fall von Hasan Tuncer jedoch gibt es nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ auch ein UETD-Funktionär die Drohungen zumindest befördert hat.

Die Internetseite „News Special 24“ hat Foto und Handynummer von Tuncer in einem Blog veröffentlicht. Darunter finden sich Kommentare, wie „Hassan Tuncer, du Vollpfosten“, „lerne endlich, wieder ein richtiger Türke zu sein“ und „in Berlin hätte man dich garantiert schon überall amputiert“.

Laut Impressum steht hinter dem Auftritt der „freie Journalist“ Jerra Dupont aus Düsseldorf. Der Name ist nur ein Pseudonym. Hinter Jerra Dupont verbirgt sich Celal Tasci, Vorsitzender Medien und PR des UETD-Ortsvereins Mülheim an der Ruhr. In einem Beitrag auf der Facebookseite von „News Special 24“ bezeichnet Dupont den Grünen-Parteichef Cem Özdemir als „Terror-Freund“, in einem Kommentar darunter ruft ein Nutzer zum Krieg der Türkei gegen Deutschland auf.

Zum Boykott gegen türkischen Gemüsehändler aufgerufen

Auch auf der Facebookseite „AK Parti – Mülheim an der Ruhr“ ist Tasci alias Jerra Dupont sehr aktiv. Auf dem Profil wurde im Juli zum Boykott gegen einen türkischen Gemüsehändler aufgerufen, den Hasan Tuncer in einem Beitrag über die Armenien-Resolution erwähnt hatte. Tuncer ist überzeugt: „Unter den Pöblern und Drohern waren zahlreiche UETD-Anhänger.“ Die hätten die Erdogan-Rhetorik oft sogar „eins zu eins“ übernommen. „Ich sei ein Vaterlandsverräter oder mein Blut sei unrein, wurde da beispielsweise getönt.“

Tasci sagt, das Pseudonym habe er gewählt, weil er kritische Beiträge schreibe und sich selbst vor Anfeindungen schützen wolle. „Herr Tuncer hetzt gegen die UETD und die Ditib ohne fundierte Argumente. Dafür wird er in naher Zukunft eine Unterlassungsklage erhalten“, kündigt er an. Den gewaltverherrlichenden Nutzer-Kommentar habe er nicht gelesen, beteuert Tasci. „Ich werde ihn selbstverständlich löschen.“

Die UETD jedoch distanziert sich von den Aussagen ihres Mitglieds. „Ich kenne Herrn Tasci nicht persönlich“, sagt UETD-Pressesprecher Fatih Zingal. „Was er als Privatperson im Internet postet, hat mit der UETD nichts zu tun. Aber natürlich richtet so etwas Schaden an. Das Veröffentlichen von persönlichen Daten im Internet ist nicht in Ordnung. Wir werden das überprüfen und mit ihm darüber sprechen.“

„Ich lasse mich nicht einschüchtern“

Es wäre nicht das erste Mal, dass Zingal Mitglieder aus den eigenen Reihen zur Räson rufen müsste. Am 16. Juli, unmittelbar nach dem Putschversuch, twitterte der Essener UETD-Vorsitzende an zwei Mitglieder der Gülen-Bewegung „Hizmet“: „Ihr Ehrlosen – Euer Tod wird nicht einfach sein. Wie könnt Ihr es wagen, auf die Straße zu gehen.“ Der Tweet wurde kurze Zeit später gelöscht.

Trotz der Bedrohungen fühle er sich wohl in Deutschland, sagt Hasan Tuncer. Im Sommer 1995 ist er im Alter von sechs Jahren mit seinen Eltern aus Anatolien gekommen. „Verhältnisse wie derzeit in der Türkei darf es in Nordrhein-Westfalen niemals geben“, sagt er.

Ob er wegen der Drohungen jetzt Angst habe? Zunächst habe er die Pöbeleien nicht ernst genommen, sagt der fraktionslose Stadtverordnete. Als aber immer mehr Angehörige und Freunde gesagt hätten, er müsse auf sich aufpassen, solle nachts nicht mehr raus oder einige Gegenden zumindest meiden, sei er „schon ins Grübeln“ gekommen. „Da wird einem mulmig“, sagt Tuncer: „Aber Angst führt nur zu mehr Angst, das bringt nichts, ich lasse mich nicht einschüchtern.“