Mechernich statt KlettenbergparkDie Odyssee von Familie Reisinger bis in die Eifel
- Weil die Kölner Miet- und Kaufpreise unerschwinglich sind, ziehen immer mehr Familien aufs Land.
- So wie Familie Reisinger, die es vom Beethovenpark in Köln in die Eifel zog. Einfacher wird ihr Leben dadurch nicht.
- Ortsbesuch in Mechernich, einem boomenden Eifelstädtchen. Ein neuer Teil unserer Serie „Rheinland 2030“
Köln – Als das zweite Kind sich ankündigte, wollte Familie Reisinger am liebsten am Beethovenpark in Köln bleiben. Sie wohnten auf 85 Quadratmetern in der Kempfelder Straße, alte Arbeitersiedlung, sehr ruhig, sehr beschaulich, ein Dorf in der Großstadt, einen Steinwurf entfernt von Park und vom Hermeskeiler Platz. Als sie sahen, was die kleinen Reihenhäuser in der Nachbarschaft kosten sollten, 650 000 Euro das günstigste (120 Quadratmeter, ohne Garten, renovierungsbedürftig), 1,2 Millionen das Teuerste, guckten sie schnell weiter.
Am liebsten wollten sie in Sülz bleiben, mieten, kaufen, egal – Sülz war seit mehr als einem Jahrzehnt ihr Veedel – die Hürther Schule, an der Henno Reisinger arbeitet, zehn Kilometer entfernt, viele der Arbeitgeber, für die Alex Reisinger tätig ist, mit dem Rad erreichbar, Freunde und die FC-Stammkneipe um die Ecke. Eine 120-Quadratmeter-Wohnung in Sülz, mit den Einkommen einer freien Sporttherapeutin und eines Lehrers, „das war natürlich utopisch“.
Also begann das, was viele Familien kennen: eine Odyssee. Die Familie guckte sich Häuser in Sürth, Raderberg, Rösrath, Brühl, Hürth und Weilerswist an – zum Teil schön, selten unter 400 000 Euro. „Zieht in die Eifel, haben wir doch auch gemacht, ist super!“, sagte eines Tages eine Freundin. „Träum weiter!“, antwortete Alex. „Das war für mich absolut nicht vorstellbar.“
An einem warmen Septembertag empfangen die inzwischen fünf Reisingers in ihrem neuen Haus – 250 Quadratmeter Wohnfläche, 930 Quadratmeter Grundstück, große Fenster mit Blick auf Felder, Wald und eine alte Burg – ein Traum. In Sülz hätten sie für den Preis ihres Hauses eine sanierungsbedürftige 60-Quadratmeter-Wohnung kaufen können – das Haus steht in Mechernich-Kommern, am Tor zur Eifel.
Mechernich ist eine Stadt mit 28 000 Einwohnern, aufgeteilt in 40 Ortsteile. Noch vor 30 Jahren gingen die Statistiker davon aus, dass die Kleinstadt schrumpft. Eingetreten ist das Gegenteil: Mechernich ist stetig gewachsen. Als die Stadt vor gut zehn Jahren einige der 40 Ortsteile Einwohner verloren, arbeitete man einen Stadtentwicklungsplan mit neuen Baugebieten aus. Zwar wehrten sich wie überall manche dagegen – der Stadt half der Plan indes, zukunftsfähig zu bleiben. „Allein im vergangenen halben Jahr haben wir 180 Einwohner dazugewonnen“, sagt Stadtplaner Thomas Schiefer. Im Jahr 2017 sind in Mechernich 205 Ein- und Zweifamilienhäuser gekauft worden, 36 Prozent mehr als im Vorjahr. Neubauten und bestehende Gebäude. Knapp die Hälfte der neuen Bewohner seien Zuzügler, viele davon Kölner Familien. Bis 2030 könnten in Mechernich 30 000 Menschen leben.
Boom hat viele Gründe
Der unerwartete Boom des Eifelstädtchens hat viele Gründe. Die Preisexplosion auf dem Wohnungsmarkt hat sich ins Umland der Großstädte verlagert – aus dem aktuellen F+B-Wohnindex geht hervor, dass die Kaufpreise in Kommunen rund um Köln stärker steigen als in der Stadt selbst. Das haben auch die Reisingers erfahren. Und wenn die Preise im Speckgürtel so hoch liegen, dass eine Durchschnittsfamilie erhebliche Risiken eingehen müsste, um den Kredit abzustottern, liegt der Gedanke nahe, einen Blick über den Speckgürtel zu wagen.
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Mechernich hat drei Autobahnanschlüsse, die Regionalbahn braucht 54 Minuten bis zum Hauptbahnhof, es gibt ausreichend Kindergärten, Grundschulen, Altenheime, ein Gymnasium, ein Krankenhaus, mehr als 200 Vereine und sehr viel Natur – das ist attraktiv. Außerdem sind in Kommern Bäcker, Kindergarten, Grundschule und die wichtigsten Einkaufsmöglichkeiten zu Fuß oder mit dem Rad zu erreichen. „Ohne den Autobahnanschluss wäre Kommern wohl nicht infrage gekommen“, sagt Henno Reisinger. So braucht er für die 40 Kilometer zur Berufsschule in Alt-Hürth 32 Minuten, „aus dem Rechtsrheinischen oder aus Nippes wäre ich länger unterwegs“.
Die Pendelei ist nicht billig – auf mindestens 16 000 Kilometer kommt er im Jahr. Wenn seine Frau Alex wieder anfängt zu arbeiten – aktuell ist sie nach der Geburt des dritten Kindes in Elternzeit – wird auch sie mit dem Auto zur Arbeit fahren; einer ihrer Auftraggeber ist in Kerpen, in der Eifel hat sie sich schon einen kleinen Kundenstamm aufgebaut. Auch die Fahrten zum Einkaufen sind in vielen Teilen Mechernichs kaum ohne Auto zu bewältigen – es ist das hier das Fortbewegungsmittel schlechthin. Das sieht man an großen Garagen vor den Eigenheimen, riesigen Parkplätzen vor dem Bahnhof und den Discountern im Gewerbegebiet. Die Eifel erinnert hier an Vorstädte in den USA. „Wir werden auf Dauer zwei Autos brauchen“, sagt Henno. „Aber wir müssen die Kosten gar nicht gegenrechnen. Selbst für eine große Wohnung in Köln hätten wird das Doppelte unserer Kreditrate zahlen müssen.“
Und das, obwohl die „Grundstückspreise in Mechernich in den vergangenen Jahren davongaloppiert sind“, wie Stadtplaner Schiefer sagt. Statt 90 Euro kostet ein Quadratmeter Bauland inzwischen bis zu 170 Euro. Zum Vergleich: In guten Rösrather oder Pulheimer Lagen kostet der Quadratmeter 500 Euro aufwärts, in Sürth schon 900. „Da zuckt der Kölner bei 170 Euro nicht mal mit der Wimper.“
Die Reisingers wünschen sich für ihre neue Heimat vor allem bessere Radwege – um ihre Kinder mit E-Bike, Kindersitz und Anhänger zur Kita zu bringen, müssen sie eine viel befahrene Landstraße nutzen. Ein Ausbau des Radwegenetzes sei unrealistisch, sagt der Stadtplaner. „Hier wird auch in den nächsten 20 Jahren das Auto dominieren.“
Wenn Mobilität langfristig teurer wird, könnten gut angebundene Eifel-Orte wie Mechernich, Zülpich, Bad Münstereifel oder Euskirchen an Attraktivität verlieren. Schiefer bleibt gelassen. „Wir wissen doch nicht, welche Rolle Mobilität in 40 Jahren für die Arbeitswelt spielen wird.“
Die Reisingers fühlen sich in Mechernich vorläufig mobil genug – die FC-Kneipe in Kommern ist zu Fuß erreichbar, die Kita mit dem Rad, der Bäcker und die Einkaufsmöglichkeiten zu Fuß oder mit dem Rad „und der Kölner holt seinen Kasten Bier ja auch nicht mit dem Rad“, sagt Schiefer. Die Reisingers schon. Die Familie ist gekommen, um zu bleiben. Dass sie in Kommern den nächsten Jahren die Bekanntschaft mit einigen Kölnern machen wird, ist noch sicherer als die Rückkehr des FC in die Erste Liga.