Rhein-SchauDiese Dichter verfielen in ihren Werken dem Rhein

Das Luftbild zeigt den Loreleyfelsen bei St. Goar (Rheinland-Pfalz) inmitten des Unesco-Weltkulturerbegebiets Mittelrheintal.
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„Als sie aus dem Walde auf einen hervorragenden Felsen heraustraten, sahen sie auf einmal aus wunderreicher Ferne, von alten Burgen und ewigen Wäldern kommend, den Strom vergangener Zeiten und unvergänglicher Begeisterung, den königlichen Rhein. Leontin sah lange still in Gedanken in die grüne Kühle hinunter, dann fing er sich schnell an auszukleiden. Einige Fischer fuhren auf dem Rheine vorüber und sangen ihr Morgenlied, die Sonne ging eben prächtig auf, da sprang er mit ausgebreiteten Armen in die kühlen Flammen hinab. Friedrich folgte seinem Beispiele, und beide rüstige Schwimmer rangen sich lange jubelnd mit den vom Morgenglanze trunkenen, eisigen Wogen.“

Joseph von Eichendorff
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Diese Stelle aus Eichendorffs Jugendroman „Ahnung und Gegenwart“ (1812) zitiert den romantischen „Mythos Rhein“ mit exemplarischer Vollständigkeit. Das Bad in seinen heiligen Fluten wird zur zweiten Taufe, die die modernen Helden gegen die Fährnisse des Lebens wappnet. Worin aber besteht der Mythos, und warum erfasst er nicht Donau oder Elbe?
Zunächst unspezifische Formulierungen
Eichendorffs Beschwörungstopoi sind zunächst unspezifisch genug: „Wunderreiche Ferne“, „alte Burgen“, „ewige Wälder“, „vergangene Zeiten“. Mit dem Rhein verbindet sich offensichtlich – wie später bei Wagner im „Rheingold“ – Uranfängliches, Uraltes, Urzeitliches. Etwas konkreter ist lediglich der Hinweis auf die „alten Burgen“.
Tatsächlich waren die vielen „malerischen“ Burgruinen auf den Hängen des engen Mittelrheintals zwischen Mainz und Bonn wesentliche „Promotoren“ der Rheinromantik des 19. Jahrhunderts. Wie man sich überhaupt als den Rhein der Literatur weithin nicht den Ober- oder Niederrhein, sondern eben den Mittelrhein vorzustellen hat. Besagte Burgen verweisen auf das Mittelalter, das für die Romantik weniger eine konkrete historische Epoche war als vielmehr eine „goldene“ Zeit, in der sich das, was später krisenhaft auseinandertrat und entzweit wurde, noch in paradiesischer Einheit befand – in einem geschichtslosen Garten Eden.
Ein Reflex romantischer Naturphilosophie
Bemerkenswert ist in diesem Kontext folgender als Sachaussage völlig abstruser Satz in Eichendorffs Roman: „[...] es war, als sei die Natur hier rüstiger und lebendiger vor Erinnerung im Angesichte des Rheins und der alten Zeit.“ Verständlich ist das nur als Reflex romantischer Naturphilosophie (Schelling), der zufolge die Natur Geist ist und der Geist sich als Geschichte entäußert – eben nicht nur als Menschen-, sondern auch als Naturgeschichte.
Der Rhein in der Entwicklung der Literatur
Der Rhein und die ihn bergende Natur als verschlüsselte Hieroglyphe einer wundersamen Vorzeit – diese Vorstellung musste sich erst entwickeln, dem 18. Jahrhundert war sie fremd. „Ich freute mich, den herrlichen Rhein wiederzusehn, und ergetzte mich an der Überraschung derer, die dieses Schauspiel noch nicht genossen hatten“, vermerkt Goethe nüchtern über seine 1774er Rheinreise im 14. Buch von „Dichtung und Wahrheit“.

Johann Wolfgang von Goethe
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Und Georg Forster ergeht sich in seinem 1790er Reisebericht „Ansichten vom Niederrhein“ in geologischen Mutmaßungen über die Entstehung des Mittelrheintals, in Beobachtungen zur Armut der Talbewohner, findet manches imposant und kommt zu einem nüchternen Resümee: „Einige Stellen sind wild genug, um eine finstre Phantasie mit Orkusbildern zu nähren, und selbst die Lage der Städtchen, die eingeengt sind zwischen den senkrechten Wänden des Schiefergebirges und dem Bette des furchtbaren Flusses [...] ist melancholisch und schauderhaft.“
Dichtung und Erlebnisbericht
Größer könnte der Abstand zu Eichendorff – und es liegen nur 20 Jahre zwischen den Texten – nicht sein. Er lässt sich auch nicht kleinreden mit dem Hinweis, dass es sich im einen Fall um Dichtung und im anderen um einen Erlebnisbericht handelt. Keine Frage: Um 1800 erfährt der „öffentliche“ Rhein jenen tiefgreifenden Auffassungswandel, den Friedrich Schlegels Gedicht „Am Rheine“ programmatisch anzeigt (der Autor lebte von 1804 bis 1808 in Köln). Einen Wandel, dessen Ergebnisse auch wir Heutige beerben, wenn wir im Sommer von Köln oder Düsseldorf aus eine Schiffstour nach Koblenz oder Bingen unternehmen. Er wird von irgendeinem großen Fluss zum rebenbekränzten „Vater Rhein“.
Der Loreley-Mythos
Befeuert wurde dieser Paradigmenwechsel durch einen weiteren Mythos, der sich mit der anhebenden Rhein-Faszination aufs Engste verwob: mit dem – übrigens ziemlich gruseligen – Loreley-Mythos, der, längst ehe ihn Heine in seine heute noch bekannteste Form goss („Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“), von den Dichtern der Romantik ausgebeutet worden war. Von Eichendorff, Brentano und vielen anderen. Der Loreley-Felsen, auf dem die den Fischern Verderben bringende Jungfrau ihr langes Haar strählt – er steht bekanntlich ebenfalls im Mittelrheintal – bei Sankt Goarshausen.

Heinricht Heine
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Literarische Unterstützung aus Italien und Frankreich
Indes war die seinerzeitige „Aufwertung“ des Rheins keine rein deutsche Angelegenheit: Wohlhabende Reisende aus Italien und England, die ihre Berichte verfassten, trugen genauso dazu bei, dass der Strom nicht nur von einer Durchgangsstation zum touristischen Hauptziel avancierte, sondern auch literarisch veredelt werden konnte. Es war kein Geringerer als Lord Byron, der den Rhein mit seiner Verserzählung „Childe Harold’s Pilgrimage“ von 1818 in England populär machte.
Reiseführer, Bildbände, Krimis, Romane ...
Über den Rhein – immerhin gilt der Fluss in Teilen als Weltkulturerbe – gibt es natürlich nicht nur hochmögende Literatur, sondern auch viel Profanes. Opulente Bildbände und Kalender, vor allem aber Reiseführer prägen das Angebot – für Wanderer, für Radfahrer, für Burgenfreunde, für Kanuten, – und für Feinschmecker.
Auch diese Bücher tragen den Rhein im Titel oder spielen am Rhein – eine unvollständige Auswahl quer durch den Garten:
- Die Rheinmärchen, von Clemens von Brentano (Holzinger)
- Mord mit Rheinblick, Krimi von Edgar Franzmann (Emons)
- Das Gift der Engel, Oliver Buslau (Emons), ein Krimi rund um den Rhein, einen Mord, Musik Bonn und Beethoven.
- Die Prophetin vom Rhein von Vielschreiberin Brigitte Riebe ist ein dicker Historienschmöker, der im zwölften Jahrhundert spielt. (bce)
Politischer Rhein
Schließlich hat der romantische Mythos Rhein auch mit Politik zu tun: Zwischen 1795 und 1815 war er die Ostgrenze des revolutionären Frankreich – weshalb sich an ihm die Emotionen und Ressentiments der sich formierenden deutschen Nationalbewegung entzünden konnten. Der Rhein wurde darüber zum „deutschen Strom“, „Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“, wie es Ernst Moritz Arndt während der Befreiungskriege gegen Napoleon schrieb. „Seid gegrüßt ihr Rebenhügel,/ sei gegrüßt du frommer Rhein,/ Unter deutschem Adlerflügel,/ Reife wieder deutscher Wein“, dichtet Brentano in seinem „Kriegsrundgesang“ mit dem Titel „Rheinübergang“, der das traditionelle Reben- mit dem Nationalmotiv geschickt verschränkt.
In Liedern wie Max Schneckenburgers „Wacht am Rhein“ oder Nikolaus Beckers „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“, entstanden 1840 während der Rheinkrise zwischen Frankreich und dem Deutschen Bund, setzt sich die aus mehreren Quellen gespeiste Rheinbegeisterung der Romantik dann in nationalistischer Verengung fort. Eichendorffs „königlicher Rhein“ ist zum Wehrfluss der gepanzerten Germania geworden.