Agger-Stauwerke in EngelskirchenNaturschützer kämpfen für den freien Flusslauf
- An der Agger in Engelskirchen wird aus Wasserkraft Energie gewonnen. Eigentlich ist das sehr umweltfreundlich.
- Das sehen Naturschützer gerade für das Flüsschen im Bergischen Land allerdings ganz anders.
- Sie fordern, das die Wehre, die das Aggerwasser stauen, abgebaut werden, damit der Fluss frei fließen kann. Der Eigentümer der Wasserkraftwerke beharrt dagegen auf der Umweltfreundlichkeit seiner Anlagen.
Engelskirchen – Seit Jahren ist Friedrich Meyer auf einer Mission: Er möchte, dass die Agger in Engelskirchen wieder zu einem frei fließenden naturnahen Gewässer wird, ganz im Sinne der Artenvielfalt. Deshalb sind ihm die sechs Wasserkraftwerke dort auch ein Dorn im Auge, die seit Jahrzehnten Strom liefern.
Ein Naturschützer gegen regenerative Energie – das ist ein Widerspruch, den Meyer, der „Wassernetz-NRW Flussgebietskoordinator für die Agger“ ist, entkräften kann: Selbstverständlich, erklärt er, sei er für den Ausbau regenerativer Energie – „aber nicht an der Agger, weil sie dort mehr schadet als nutzt“ .
Er hält die Anlagen für komplett marode und verweist auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Köln, das den Betrieb der Wasserkraftanlage Ohl-Grünscheid im September gestoppt hat – um „konkrete und nahe liegende Schäden für erhebliche Sachwerte und möglicherweise für Leib und Leben von Menschen abzuwenden“.
Münchner Holding will Kraftwerke behalten
Die Agger nicht mehr stauen, sondern frei fließen lassen? Das ist ganz und gar nicht im Sinne der Auer Holding GmbH in München, der die meisten der Kraftwerke an der Agger gehört. Dort denkt man nicht ans Aufgeben der Anlagen – ganz im Gegenteil.
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„Unser Geschäftsbereich Wasserkraft umfasst insgesamt 18 Kraftwerke in fünf Bundesländern“, heißt es auf Anfrage aus München, man sei eines der größten privaten Wasserkraftunternehmen in Deutschland. Die Zeichen stünden eher auf Expansion: „An der Agger nehmen wir mit der Anlage Osberghausen im Juni 2020 ein weiteres Kraftwerk in Betrieb“, teilt Auer mit, „in die Kraftwerke Ohl-Grünscheid und Ehreshoven I und II investieren wir in den nächsten zwei Jahren zirka sechs Millionen Euro.“
Neben dem Austausch des Segmentschützes am Wehr Ohl-Grünscheid würden die Investitionen den Austausch jeweils eines Maschinensatzes (Turbine und Generator) und der kompletten Steuerung der Anlagen umfassen. „Mit diesen Maßnahmen sind Wirkungsgradverbesserungen und eine signifikante Erhöhung des Regelarbeitsvermögens verbunden.“
Aktivisten hoffen auf neue EU-Strategie
Zudem betont Auer: „Wir leisten damit einen relevanten Beitrag für die Erhaltung wertvoller kultureller und industrieller Substanz und durch die Sekundärbiotope der Stauseen für die Bewahrung von wertvollem Lebensraum für Vögel, Fische und Kleinlebewesen.“
Vor allem Letzteres sieht Meyer komplett anders und ist darin einig mit Paul Kröfges, Sprecher des Landesarbeitskreises Wasser des BUND und Vertreter der Naturschutzverbände im Aggerverband. An der Agger, in Sichtweite des flussabwärts gelegenen Kraftwerks Ohl-Grünscheid, gleich gegenüber der Stelle, an der ein Hangrutsch den Wanderstreifzug „Vogelweg“ zerschnitten hat, staute sich früher das Wasser.
Seit das Stauwehr in Ohl-Grünscheid außer Betrieb ist und der Fluss wieder frei fließt, hat sich die Agger quasi selbst renaturiert. „Das hier ist eine Flusslandschaft wie aus dem Bilderbuch“, sagt Kröfges. Er schwärmt mit Meyer von der Flussökologie, von der Durchgängigkeit für Sedimente und Organismen.
„Grobes Geschiebe, feines Geschiebe, flache und tiefe Stellen – so etwas findet man sonst in der eingepferchten Agger nicht mehr“, sagt Kröfges. Er zeigt auf Kies- und Schotterinseln: „Das sind Brutmöglichkeiten für Flussregenpfeifer und andere Vögel.“
Planer hätten ihm gesagt, dass eine künstliche Renaturierung mit einem Ergebnis wie an dieser Stelle zwischen fünf und zehn Millionen Euro kosten würde, sagt Meyer. „Hier gibt’s das kostenlos.“ So, wie es jetzt ist, soll es bleiben, fordert er. Schließlich sei die Agger sowieso ein Fluss und kein Staugewässer.
Dass sie mit dieser Forderung Gegenwind produzieren, ahnen Meyer und Kröfges bereits. Nicht zuletzt werden sie erklären müssen, wie sie sich die Entsorgung des mit Schwermetallen belasteten Schlammes vorstellen, der bisher unter dem gestauten Wasser verborgen war.
„Der muss weg“, sagt Kröfges, „da muss man durch. Aber das ist ein einmaliger Aufwand, und dafür gibt es Fördermittel von der EU.“ Auch von Anglern und Anwohnern erwartet Meyer Kritik.
Und dann brauchen die beiden, um Erfolg zu haben, noch Mitstreiter. In einem offenen Brief haben sie NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser aufgefordert, das Land solle die sechs Stau- und Wasserkraftanlagen in Engelskirchen von den jetzigen Betreibern übernehmen und sukzessive zurückbauen.
Kröfges und Meyer verweisen auf einen gerade von Ursula von der Leyen vorgestellten Entwurf einer EU-Biodiversitätsstrategie für 2030. Dort haben sie gelesen, dass in zehn Jahren mindestens 25.000 Flusskilometer wieder in frei fließende Flüsse umgewandelt werden sollen. 2021 werden die entsprechenden Flussabschnitte ermittelt. Meyer: „Da müssen wir laut ,hier’ schreien!“
Jetzt hoffen die beiden BUND-Akteure auf eine breite öffentliche Debatte.