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„Antidepressiva sind wirkungslos“Was eine neue Studie für Betroffene bedeutet

Lesezeit 3 Minuten

Der Psychologe Prof. Dr. Reinhard Maß hat bei einer großangelegten Studie herausgefunden, dass Antidepressiva auf das Behandlungsergebnis keinen erkennbaren Einfluss gehabt hat.

  1. Der Psychologe Prof. Dr. Reinhard Maß aus Marienheide im Oberbergischen Kreis hat bei einer großangelegten Studie herausgefunden, dass Antidepressiva auf das Behandlungsergebnis keinen erkennbaren Einfluss gehabt hat.
  2. Tabletten hingegen wirkten meist wenn, dann nur über den Placebo-Effekt. Was bedeuten die Erkenntnisse seiner Studie für Erkrankte?

Marienheide – Nur wer an die Wirkung von Antidepressiva glaubt, darf von ihnen Linderung erwarten. Doch über den Placebo-Effekt hinaus hätten die Pillen auf eine Depression vermutlich keinen Einfluss.

Das sagt der Psychologe Professor Dr. Reinhard Maß. Die Erkenntnis, die der Leiter der Allgemeinpsychiatrischen Station „Aaron T. Beck“ im Zentrum für seelische Gesundheit in Marienheide bei einer großangelegten Studie gewonnen hat, klingt revolutionär – doch viel wichtiger ist ihm das Hauptergebnis der Untersuchung: „Eine vollstationäre Psychotherapie kann nachhaltig Depressionen lindern.“

Bevor Maß vor 14 Jahren nach Marienheide wechselte, hatte er in der Uniklinik Hamburg-Eppendorf geforscht und seine Ergebnisse in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen vorgelegt. Die jetzt von ihm am Klinikum Oberberg durchgeführte Studie wurde vor kurzem in der angesehenen amerikanischen Fachzeitschrift „Comprehensive Psychiatry“ veröffentlicht.

Depression als Reaktion auf anhaltende Belastung

Auf der Station „Aaron T. Beck“ (benannt nach einem amerikanischen Experten) liegt der Schwerpunkt auf einer intensiven Psychotherapie: Einzelgespräche und Gruppenarbeit zielen darauf ab, die Ursache der Depression zu verstehen, erklärt Maß. Denn er geht von der These aus: Eine Depression ist in der Regel die seelische Reaktion auf anhaltende belastende Lebensbedingungen, wie eine Überforderung bei der Arbeit, ein Konflikt in der Partnerschaft oder ein negatives Selbstbild. Sei der Grund erst mal erkannt, könne dem Patienten gezielt geholfen werden, sein Leben zu verändern – und damit die Depression loszuwerden.

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Maß hatte für seine Studie von 2012 bis 2017 Patienten seiner Station befragt. 574 Männer und Frauen, die dort überwiegend wegen einer Depression behandelt wurden, füllten einen Bogen mit 21 Fragen aus. Sie machten etwa Angaben zum Grad ihrer Traurigkeit und Schuldgefühle, zu Suizidgedanken, Schlafgewohnheiten und zu sexuellem Interesse. Den Bogen füllten die Patienten gleich mehrmals aus, bei ihrer Stationsaufnahme, zur Entlassung und sechs Monate später. Maß: „Die stationäre Behandlung führte im Durchschnitt zu einem starken Rückgang der Depression, der auch ein halbes Jahr nach der Entlassung noch nachweisbar war. Dieser Erfolg kann allein auf die Psychotherapie zurückgeführt werden.“

„Depressionen nicht wie gebrochene Knochen behandeln“

Ob die Patienten während der Behandlung Antidepressiva nahmen oder nicht, habe auf das Ergebnis keinen erkennbaren Einfluss gehabt, sagt Maß – und weiter: „Je mehr man verstanden hat, welche Lebensumstände eine Depression verursacht haben, desto absurder erscheint die Idee, Tabletten könnten helfen.“ Die Wirksamkeit von Antidepressiva werde überschätzt, auch unter Fachleuten.

Die nach wie vor weit verbreitete Annahme, eine Depression werde durch einen Mangel an Serotonin im Zentralnervensystem verursacht, gilt in der Wissenschaft längst als nicht mehr haltbar, sagt Maß: „Depressionen kann man nicht wie gebrochene Knochen behandeln. Sie haben ihre Ursache in den Lebensbedingungen des betroffenen Menschen und können erst verschwinden, wenn sich die Lebensbedingungen ändern. Und dabei hilft keine Pille, sondern Psychotherapie.“

Vor Absetzen von Antidepressiva einen Arzt konsultieren

Trotzdem sei der Glaube an Antidepressiva tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Außerdem empfehlen die aktuellen Behandlungsleitlinien den Einsatz von Antidepressiva. Daher würden diese Medikamente in vielen Bereichen des Zentrums für Seelische Gesundheit Marienheide weiterhin eingesetzt. „Wir verordnen auch auf der Station ,Aaron T. Beck’ Antidepressiva, wenn ein Patient dies wünscht. Wir wollen ihm nicht unseren Willen aufzwingen.“

Wenngleich Maß die Wirksamkeit von Antidepressiva bezweifelt, rät er dringend davon ab, sie einfach abzusetzen. Wer sich für den Verzicht entscheidet, solle unbedingt einen Arzt konsultieren. Denn der Körper habe sich meist an das Medikament gewöhnt, darum sollte es vorsichtig und schrittweise über einen längeren Zeitraum abgesetzt werden. Andernfalls könne es zu Komplikationen kommen.

Wer an einer Depression leidet und Interesse an einer stationären Behandlung hat, die vor allem auf Psychotherapie setzt, erhält einen Beratungstermin unter (0 22 64) 24 280. Soforthilfe bei trüben Gedanken gibt es bei der Telefonseelsorge unter 0800 / 111 0 111.