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Interview

Nur männliche Konkurrenz
Bergneustädterin (19) greift nach dem EM-Titel im Jetski-Freestyle

Lesezeit 5 Minuten
Bild einer jungen Frau vor einem Jetski an einem See

Claire Hartung aus Bergneustadt nimmt am 31.August und 1. September an den Europameisterschaften im Jetski-Freestyle in London teil

Im Interview verrät die 19-Jährige, wie sie sich auf die EM in London vorbereitet und wie sie zu dem ungewöhnlichen Sport kam.

Mit dem Jetski verbinden viele Vollgasfahrten durch azurblaue Wellen, irgendwo im sonnigen Süden. Weit weniger bekannt ist, dass das Manövrieren des flotten Wasserfahrzeugs ein anerkannter Sport ist – und dass die derzeit erfolgreichste Pilotin des Kontinents mitten in Bergneustadt wohnt. Florian Sauer sprach mit Claire Hartung (19), die am ersten September-Wochenende bei den Jetski-Europameisterschaften in London Gas gibt.

Eine junge Frau sitzt auf einem Bootssteg an der Aggertalsperre.

Im Interview an der Aggertalsperre verriet Jetski-Sportlerin Claire Hartung aus Bergneustadt, wie sie zu dem Sport kam.

Frau Hartung, die Vermutung, dass Ihr Vater Sie für den Jetski begeistert hat, liegt ziemlich auf der Hand.

Claire Hartung: (lacht) Das stimmt, mein Papa Marc Sickerling ist schließlich sechs Mal Weltmeister im Jetski Freestyle geworden. Natürlich war ich als Kind ab und zu mit am See und habe später auch schonmal auf seinem Jetski gestanden. Und trotzdem kam ich eigentlich erst durch einen Zufall zu diesem Sport.

Welcher Zufall?

Papas Jetski ist für Anfänger viel zu hochmotorisiert. Aber dann hat uns vor vier Jahren ein Freund günstig ein Modell mit 800-Kubikzentimetern angeboten hat, einen Super-Jet von Yamaha – optimal für die ersten Trainings. Wir haben zugeschlagen und ich hatte meinen eigenen Jetski. Den nötigen Sportbootführerschein habe ich direkt mit 16 gemacht. Inzwischen haben wir die Haube, die Fußtritte und den Lenkerarm gegen Varianten aus Carbon ausgewechselt. Zusammen mit einem Freund konnten wir dann im letzten Jahr unser selbst erstelltes Design auf den Ski lackieren, welcher vorher nur hellgrau war.

Zum Training von Bergneustadt nach Eindhoven

Worum geht es bei einem Jetski-Wettkampf? Wer am schnellsten im Ziel ist?

Meine ersten Wettkämpfe waren tatsächlich Rennen, bei denen ein Parcours mit Bojen umrissen war. Ich bin dann aber ziemlich schnell zum Freestyle gewechselt. Das klingt nach Akrobatik. Ziel ist es, in einer zweiminütigen Kür viele Tricks zu zeigen und von der Jury dafür möglichst viele Punkte zu bekommen. Die Wertungsskala reicht dabei von null bis zehn Punkte, benotet werden Ausführung, Flow, Schwierigkeit, Vielfältigkeit und natürlich die Anzahl der gezeigten Tricks.

Eine junge Frau führt Kunststücke auf einem Jetski vor.

Ihre Kür für die EM in London trainierte Claire Hartung aus Bergneustadt auf einem See nahe Eindhoven.

Wie viele Tricks umfasst denn Ihre aktuelle Kür?

Aktuell sind es 17, wobei die bloße Anzahl nicht immer etwas aussagt. Zusammen mit meinem Vater tüftel ich jedes Jahr eine neue Kür aus – da werden die Tricks dann auch immer komplexer und bauen aufeinander auf.

Und wo trainieren Sie Ihre Kür?

Wir fahren einmal pro Woche an einen Jetski-See in die Nähe von Eindhoven. Das sind jedes Mal rund zweieinhalb Stunden Fahrt, aber es ist sehr schwierig, in Deutschland Gewässer fürs Training zu finden. Auf unseren Talsperren sind zum Beispiel Verbrennungsmotoren verboten. Auf dem Rhein ging es, aber dort ist die Strömung zu stark und es gibt zu viele Schiffe. Wir versuchen deshalb, durch eine lange Trainingssaison viel Pensum zu schaffen. Im Prinzip gehe ich von April bis Ende Oktober ins Wasser, dann allerdings mit dickem Neoprenanzug. Ich bin nämlich schon eine ziemliche Frostbeule (lacht).

Bergneustädterin ist die einzige Frau im Starterfeld

Ihr Ski wiegt immerhin 130 Kilogramm. Wie hoch ist eigentlich die Frauenquote im Jetski-Sport? Meine Konkurrenten sind tatsächlich ausschließlich männliche Fahrer.

Gibt es da nicht blöde Sprüche?

Beim Jetski-Wettkampf gibt es kein hartes Konkurrenzdenken. Das ist wirklich besonders: Jeder drückt dem anderen die Daumen und fiebert mit. Jeder zeigt, was er kann, und am Ende gewinnt der oder die Beste. Es geht vielmehr um das Zusammenkommen mit anderen Jetski-Sportlern. Und da ist es nicht wichtig, dass ich ein Mädchen bin.

Ab dem 31. August starten Sie bei der Europameisterschaft – mit welchem Ziel?

Für mich ist es ja die dritte EM. Vor zwei Jahren bin ich Vize-Europameisterin geworden. Letztes Jahr in Paris gab es dann ein Stechen um den Titel, das ist beim Jetski-Wettkampf wirklich sehr selten. Ich habe knapp verloren – dieses Mal würde ich sehr gerne als Europameisterin zurückkommen.

Eine junge Frau fährt mit ihrem Jetski in der Meeresbrandung vor der französischen Küste vor einer hohen Welle.

Freeride reizt die junge Bergneustädterin ebenfalls. Freeride ist eine weitere Jetski-Sparte und beschreibt das Fahren mit dem Ski in der Meeresbrandung.

Wo genau findet der Wettkampf statt? In London, auf einem stillgelegten Arm des Hafengeländes. Wir werden schon am Freitag anreisen und uns das Gebiet ganz genau angucken. Es geht darum, die Tücken früh zu erkennen.

Bergneustädterin würde die WM in den USA sehr reizen

Welche könnten das sein?

Weil der Wettkampfort ja ein alter Hafen ist, dürfte es dort Kaimauern geben. Das bedeutet, die Wellen laufen nicht aus, wie auf einem See, sondern sie werden zurückgeworfen. Das sind Dinge, die kniffelig sind, auf die man unbedingt achten muss. Außerdem starte ich gegen neue Konkurrenten als in den Vorjahren – da weiß man nie genau, welche Tricks die zeigen werden.

Sie haben schon angesprochen, dass Ihr Vater mehrfach die Weltmeisterschaft gewonnen hat. Würde Sie die WM auch reizen?

Auf jeden Fall! Allerdings wird die WM immer am Lake Havasu ausgetragen, ein Stausee des Colorado Rivers im amerikanischen Arizona. Auch der Ski müsste also über den Atlantik geflogen werden, er gilt allerdings als Gefahrgut – was eine WM-Teilnahme natürlich sehr teuer machen würde. Vielleicht findet sich ja noch ein Sponsor.

Haben Sie sonst noch sportliche Pläne für diesen Sommer?

Bevor die Vorlesungen wieder beginnen, gucke ich mir auf jeden Fall noch einige Freeride-Veranstaltungen in Südeuropa an. Freeride ist eine weitere Jetski-Sparte und beschreibt das Fahren mit dem Ski in der Meeresbrandung, wobei es um das Surfen an der Welle geht und natürlich um wirklich große Sprünge über die Wellen. Einfach traumhaft!


Zur Person: Claire Hartung (19) lebt in Bergneustadt, 2023 bestand sie das Abitur am Wüllenweber-Gymnasium, Sie studiert Psychologie in Siegen. Seit vier Jahren fühlt sie sich auf dem Jetski wohl. Kontakt: clairehartung@icloud.com