Die Kinder aus RommelsdorfEin Kinderbuch begleitet Bergneustädterin durchs Leben
Bergneustadt – Viel erlebt hat Dorothea Wigger in ihrem Leben, und Lesen war schon immer eine ihrer liebsten Beschäftigungen. Ihre Mutter behauptete einst, sogar Kassenzettel und Ortsschilder habe sie mit Interesse studiert. Nicht zu vergleichen mit dem liebsten Werk der heute 80-Jährigen, dem Kinderbuchklassiker „Wir Kinder aus Bullerbü“ von Astrid Lindgren.
„Mein Bullerbü heißt Rommelsdorf bei Nümbrecht“
Einen besonderen Platz in ihrem Herzen haben die Geschichten über die alltäglichen Abenteuer der schwedischen Dorfkinder, weil ihre fünf Enkel das Buch so gern vorgelesen bekommen haben und weil es die Bergneustädterin an die eigene Kindheit erinnert. „Mein Bullerbü heißt Rommelsdorf bei Nümbrecht“, sagt Wigger, die 1946 mit ihrer Mutter aus Ostpreußen flüchtete und dann im Oberbergischen bei einer Familie in Nümbrecht unterkam. „Die Familie machte nicht nur ihre Türe auf, vor allem öffnete sie ihr Herz und teilte alles mit uns.“
Behütet wuchs das Flüchtlingskind fortan auf dem Land auf und erfreute sich darüber, in den Kinder der Familie auch neue Spielkameraden gefunden zu haben. Das Kalb der einzigen Kuh auf dem Hof wurde sogar nach ihr, „Dorchen“, benannt.
Lindgrens Geschichten vermitteln wichtige Werte
Astrid Lindgrens Geschichten von 1947 (ins Deutsche übersetzt 1955) vermitteln wichtige Werte, die Wigger damals am eigenen Leib erlebte: Nachhaltigkeit, Achtsamkeit und wie man seinen Nächsten behandeln sollte. Schon ihren Kindern las sie aus diesem Buch vor.
Ihr Lieblingskapitel darin ist „Inga und ich machen Menschen glücklich“, in dem die kleine Erzählerin Lisa und ihre Freundin feststellen, dass sie gar nicht viel tun müssen, um Menschen (zumindest Kinder) glücklich zu machen – es braucht nur Puppen und Märchenbücher. „Es ist zu schön, zu sehen, wie die Kinder die Wörter aufsaugen.“
Auch ihren Schülern las sie oft Geschichten vor
Die pensionierte Lehrerin für katholische Religion hat ein gutes Gespür für gehaltvolle Kinderbücher und las auch ihren Schülern in der Weihnachtszeit vor. „Am liebsten würde ich kostenlose Großelternberaterin in einem Buchladen werden“, verrät die leidenschaftliche Vorleserin schmunzelnd. Wichtig sei jedoch, die Kinder mit einzubeziehen, ihnen in der Geschichte Wege aufzuzeigen und zu fragen „Was würdest Du jetzt tun?“, um die enthaltenen Lehren in das eigene Leben einzubringen.
Gerade liest Dorothea Wigger weniger Kinderbücher, weil sie niemanden mehr hat, an den sie das Gelesene weitergeben könnte. Den Enkelkindern Eva, Pia, Johanna, Konstantin und Severin gab sie die Leidenschaft fürs Lesen zwar mit auf den Weg, mit 18 bis 25 Jahren sind diese aber längst zu alt für Kinderbücher, sie schenken ihrer Großmutter heute selbst Bücher.
Lieblingslektüre heute: Biografien und Gesellschaftsromane
Hin und wieder schleicht sich Bullerbü trotzdem noch in Wiggers Leben. Nachdem die ehemalige Nümbrechterin Rommelsdorf lange verlassen hatte, traf sie ihre Bullerbü-Freunde Jahre später unverhofft auf einer Beerdigung wieder. Erst erkannten sie sich kaum, dann tauschten die „Kinder aus Rommelsdorf“ aber, trotz des traurigen Anlasses, gemeinsame Erinnerungen aus und freuten sich über das Wiedersehen nach 70 Jahren.
Kontakt zu einer Schwedin aus Vimmerby, dem Geburtsort von Astrid Lindgren, knüpfte Dorothea Wigger bei einem Krankenhausaufenthalt. Besonders die schwedische Natur ließ sich Wigger schildern, da sie diese doch aus den Büchern kannte. Heute liest die fröhliche Großmutter gerne Biografien und Gesellschaftsromane, damit sie auch bei aktuellen Themen mitsprechen kann. Das „Papierklavier“, zum Beispiel, von Elisabeth Steinkellner – „zum Aufregen“.
Nicht die Geschichte über eine Familie mit drei Kindern von verschiedenen Vätern, in der es unter anderem um Diversität und die Herausforderungen der Pubertät geht, echauffiere die gläubige Katholikin, sondern, dass die Bischofskonferenz dem Buch eine Auszeichnung aufgrund dessen verwehrte. „Das regt mich auf, denn die Kirche zeigt sich hier realitätsfern.“Michelle Mink