Ehrenamtlerin für AllesKeine Hausbesuche mehr wegen Corona-Auflagen
Lindlar – An Weihnachten 2017 erinnern sich Irmgard und Evangelos Wonisakos noch ganz genau. Die Nachbarin hatte zum Geburtstagskaffee geladen. Die Wonisakos – zwei Lindlarer Senioren auf der Suche nach etwas Hilfe und Gesellschaft im Alltag – saßen auf der einen Seite der Torte. Rosemarie Schmitz, schon damals Ehrenamtlerin der Lindlarer Annele-Meinerzhagen-Stiftung, auf der anderen.
Drei Jahre sind seitdem vergangen. Drei Jahre, in denen Schmitz zuverlässig montags und mittwochs an der Haustür des Ehepaares mitten im Ortskern klingelt. Jedes Mal wird sie herzlich begrüßt. Aufgaben gibt es immer. Vom Einkauf beim Bäcker über die Terminabsprache mit Ärzten und allerlei Besorgungsfahrten bis zum Papierkram der Krankenkasse.
Die Frau, die immer eine Lösung parat hat
„Es war wie ein Geschenk für uns, dass wir diese Frau kennengelernt haben“, erinnert sich Evangelos Wonisakos, der bald 91 Jahre alt wird. Dabei streckt er den Zeigefinger nach oben, dieses Lob ist ihm wichtig. Seine Frau Irmgard (85) nickt heftig, doch Rosemarie Schmitz winkt ab. Für die Wonisakos ist sie die Person, die einen Führerschein hat. Die den neuesten Klatsch zwischen Scheel und Schmitzhöhe mitbringt und Geschichten aus ihrer eigenen Familie. Die Frau mit der Dreifachsteckdose für den Lichterbaum. Die, die immer eine Lösung parat hat, wenn ein in Behördendeutsch geschriebener Brief eintrudelt, den das Ehepaar nicht versteht.
Als Irmgard in der Wohnung stürzt und sich schwer verletzt, hat Evangelos die Notrufnummer in der Hektik vergessen. An die von Rosemarie Schmitz erinnert er sich selbstverständlich. Sofort setzt die sich in Oberbergscheid ins Auto und düst nach Lindlar. Als es nach überstandener Operation um die wenigen erlaubten Besucher am Krankenbett geht, steht für Irmgard sofort fest, wer zu ihr darf: Ihr Mann und Rosemarie Schmitz. Familie hin, Corona her.
Den Alltag der Senioren organisiert die Ehrenamtlerin
1960 kam Evangelos Wonisakos aus Griechenland nach Deutschland. Zwei Jahre später heiratete er seine Irmgard. Ihr Leben haben beide in Bergisch Gladbach verbracht und zwei Söhne aufgezogen, die heute noch in der Region leben. Den Alltag der Senioren organisiert die Ehrenamtlerin. Irmgard und Evangelos sagen das ohne Vorwurf, Rosemarie Schmitz ohne Stolz. „Unsere Jungs haben im Beruf sehr viel zu tun und kümmern sich ja auch noch um ihre eigenen Kinder“, erklärt Irmgard Wonisakos. „Das größte Problem vieler Senioren ist sicher die Einsamkeit“, ist Rosemarie Schmitz (70) nach 16 Jahren Einsatz im Betreuungsdienst der Meinerzhagen-Stiftung überzeugt. „Das Essen wird oft geliefert, Friseur und Physiotherapeut kommen ins Haus. Aber mit 80 Jahren knüpfst du keine neuen Kontakte mehr oder baust einen Gesprächspartner auf. Was dann nicht da ist, entwickelt sich oft auch nicht mehr.“
Auch die Helfer brauchen Hilfe
Selber mitarbeiten. „Viele unserer Helfer sind schon um die 70 Jahre alt“, berichtet Regina Lunkewitz. Die Annele-Meinerzhagen-Stiftung suche deshalb dringend Ehrenamtler für alle Betreuungsangebote. „Menschenkenntnis und Empathie sind wichtig“, so die Koordinatorin. Inklusive sind zudem regelmäßige Schulungen, zum Beispiel zu den Themen Kommunikation, Umgang mit Demenz, Hygiene und Hauswirtschaft. Wer Interesse hat, erreicht Regina Lunkewitz im neuen Jahr unter Telefon 0 22 66/46 40 40.
Verluste durch Corona. Seit März verliert die Annele-Meinerzhagen-Stiftung 2500 Euro pro Monat, wie Stiftungsvorstand Werner Sülzer jetzt bekannt gab. Die Stiftung verbuche seit dem Frühjahr durch Corona-Schutzauflagen deutlich höhere Kosten, ohne im Gegenzug staatliche Unterstützung zu erhalten. „Im Fernsehen wird viel über Hilfen gesprochen, aber bei uns kommt nichts an“ so Sülzer. Mit der neuen Fensterfront des Senioren-cafés habe man ein großes Projekt verwirklicht, doch nun stehe die Dachisolierung an der Korbstraße an, für die Kosten von
30 000 Euro veranschlagt seien. Von einem kleineren Lindlarer Unternehmer habe die Stiftung jüngst Geld erhalten, doch bedürfe es weiterer Spenden, um die Fehlbeträge auszugleichen, betont Sülzer. „Langfristig werden wir sonst das Stiftungskapital angreifen müssen, was wir unbedingt vermeiden wollen.“
www.annele-meinerzhagen-stiftung.de
Heiligabend werden die Wonisakos allein verbringen, genau wie Silvester. Rosemarie Schmitz hat bereits den Lichterbaum in Position gerückt, daneben drücken kleine Armeen aus Schornsteinfeger-Figuren die Daumen fürs neue Jahr. „Man erfährt eine ungeheure Dankbarkeit von den Menschen – gerade von denen, die es finanziell nicht dicke haben“, nickt die Ehrenamtlerin.
Keine Hausbesuche mehr wegen Corona-Auflagen
In diese Situation platzt die Nachricht aus der Meinerzhagen-Stiftung. Mit sofortiger Wirkung beendet sie vorübergehend sämtliche Betreuungsangebote. Einsatzleiterin Regina Lunkewitz ruft alle 60 Helfer zurück, die regelmäßig um die 120 Senioren in der Gemeinde besuchen. „Die aktuellen Vorgaben zu den Coronatests für unsere Ehrenamtler sind für uns nicht mehr zu stemmen“, so Lunkewitz. Die Entscheidung habe man schweren Herzens getroffen, aber sie sei alternativlos. „Kontaktlose Dinge wie der Einkauf für alte Menschen können weiter erledigt werden, aber die persönliche Begegnung kann es vorerst nicht mehr geben“, so Lunkewitz. Die Besuche würden wieder aufgenommen. Wann, sei aber unklar.
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Rosemarie Schmitz will auf jeden Fall Kontakt zum Ehepaar Wonisakos halten – notfalls über Alternativen ohne persönliches Aufeinandertreffen. Gut möglich, dass die Klingel der Senioren diese Woche still bleibt. Zum ersten Mal seit drei Jahren. Und das in der Weihnachtswoche.