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LeserbriefWarum braucht Oberberg mehr Windkraftwerke? Wir haben nachgefragt

Lesezeit 5 Minuten
Windräder stehen auf einer Anhöhe nahe Berghaim, ein Kraftwerk ist in der Ferne zu sehen.

Windräder nahe Bergheim: Warum sollen auch in Oberberg noch mehr Windkraftanlagen gebaut werden?

Zur Diskussion um geplante Windräder in Engelskirchen schreibt uns ein Leser. Wir baten einen Experten um Antwort.

An mehreren Orten in der Gemeinde Engelskirchen sollen Windkraftwerke gebaut werden, wenn es nach Willen der Entwickler geht. Gerade gegen den geplanten Metabolon-Windpark nahe Bickenbach sprachen sich viele Menschen aus, auch die Gemeinde unterstützt den Antrag nicht. Dazu schrieb uns ein Leser aus Ründeroth.


Leser: „Grünes Dogma soll aufgezwungen werden“

Harald Klinkert schreibt: „Hier soll ein Grünes Dogma von der Regierung der Gemeinde und uns allen aufgezwungen werden! Wieder einmal soll mit Windrädern Strom erzeugt werden, Flatterstrom!

In Deutschland beträgt die elektrische Netzlast im Winter etwa 80 GW (Gigawatt). Zu deren Deckung ist eine Erzeugungsleistung aus Sonne plus Wind von 160 GW bereits gebaut. Warum sollen uns dann noch weitere „Kraftwerke“ aufgezwungen werden?

Braucht man dazu nicht die Umwelt und die Natur zu schonen? Die Mahnung Energie zu sparen (zum Bau der überflüssigen Anlagen) gilt nicht, weil es ja angeordnet ist. Der Gedanke Geld zu sparen findet hier ebenfalls keine Anwendung. Diese Kosten werden anteilig jedem von uns aus der Tasche gezogen!“


Warum werden die Kapazitäten bei erneuerbaren Energien immer weiter ausgebaut?

Die Frage in dem Leserbrief, warum die Kapazitäten bei erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne ausgebaut werden, gaben wir an Dr. Sascha Samadi weiter. Sascha Samadi ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme:

Die maximale Last („Spitzenlast“) in Deutschland beträgt in der Tat etwa 80 GW. Und es stimmt auch, dass die gegenwärtig in Deutschland installierte Erzeugungsleistung aus Wind- und Photovoltaikanlagen mit rund 160 GW deutlich höher liegt.

Das Maximum wird niemals erreicht

Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Last – d. h. der Stromverbrauch – jederzeit ausschließlich durch die bestehenden Wind- und Photovoltaik-Anlagen gedeckt werden kann, denn die Erzeugungsleistung bezieht sich bei Wind- und Photovoltaikanlagen auf die maximal mögliche Erzeugung der Anlagen unter idealen Bedingungen.

Dieses Maximum wird niemals – auch nicht annähernd – bei allen Wind- und Photovoltaikanlagen gleichzeitig erreicht, sondern zu jedem Zeitpunkt des Jahres wird deutlich weniger Strom erzeugt, als es die maximale Erzeugungsleistung der Anlagen in der Summe nahelegt.

Stromüberschuss im Sommer

Denn natürlich scheint nicht das ganze Jahr über die sommerliche Mittagssonne auf alle Photovoltaikanlagen und es weht nicht immer im ganzen Land ein kräftiger Wind.

Es wird zwar in Zukunft immer häufiger in den Sommermonaten in den Mittagsstunden vorkommen, dass die Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen die dann bestehende Stromnachfrage übersteigt. (In diesen Stunden des Jahres werden dann Photovoltaikanlagen „abgeregelt“, sie erzeugen dann also weniger Strom als sie könnten, soweit der Strom nicht exportiert oder z. B. in Batterien oder in Form von Wasserstoff zwischengespeichert werden kann.)

Nachfrage im Winter

In den Morgen- und Abendstunden im Sommer sowie ganztägig in den Wintermonaten wird die tatsächliche Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen aber auch in Zukunft – und absehbar auch gemeinsam mit der Stromerzeugung aus anderen erneuerbaren Energien – unter der Stromnachfrage liegen, so dass der Strom aus zusätzlich installierten Photovoltaikanlagen in diesen Zeiten des Jahres die Stromerzeugung auf Basis fossiler Energieträger (insbesondere Erdgas und derzeit auch noch Kohle) verdrängen und damit zum Klimaschutz beitragen kann.

Ähnlich sieht es bei der Windenergie aus, nur dass Windenergieanlagen in Deutschland im Winterhalbjahr aufgrund des dann stärkeren Windes mehr Strom erzeugen als im Sommerhalbjahr und diese Anlagen somit die Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen saisonal sehr gut ergänzen.

Und auch bei der Windenergie ist es so, dass derzeit nur in wenigen Stunden des Jahres die Stromerzeugung so stark ist, dass sie (zusammen mit dem Strom aus Photovoltaik-Anlagen und anderen erneuerbaren Energie) die Stromnachfrage komplett decken könnte.

CO₂-Emissionen des Stromsystems verringern

Das heißt, auch hier gilt, dass jede neu zugebaute Windenergieanlage in den allermeisten Stunden des Jahres dazu beiträgt, dass der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in Deutschland gesteigert werden kann und damit die CO2-Emissionen des Stromsystems verringert werden können.

Letztlich brauchen wir für das Erreichen des Ziels der Klimaneutralität ein Stromsystem, das komplett auf erneuerbaren Energien beruht. Die gegenwärtig installierten Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in Deutschland ermöglichen über das gesamte Jahr betrachtet einen Anteil erneuerbaren Stroms am Stromverbrauch von rund 50 bis 60 Prozent.

Bei Erneuerbaren wird ein Anteil von 100 Prozent angestrebt

Da ein Erneuerbaren-Anteil von 100 Prozent angestrebt wird und die Stromnachfrage in den nächsten Jahren voraussichtlich steigen wird (unter anderem wegen der aus Gründen des Klimaschutzes wünschenswerten Zunahme von Elektroautos und Wärmepumpen), wird in den nächsten Jahren ein weiterer deutlicher Zubau sowohl von Photovoltaik- als auch von Windenergieanlagen benötigt.

Die Bundesregierung und auch vorliegende Klimaschutzszenarien gehen davon aus, dass wir bis zum Jahr 2040 (gegenüber heute) etwa die zwei bis dreifache Menge an Windenergieleistung an Land und etwa die vier- bis fünffache Menge an Photovoltaik-Leistung benötigen werden.

Die Anzahl der Windenergieanlagen muss sich dafür nicht verdoppeln

Die Anzahl der Windenergieanlagen an Land in Deutschland muss sich dafür bis 2040 übrigens nicht verdoppeln beziehungsweise verdreifachen, sondern kann voraussichtlich ungefähr konstant bleiben, da neu zugebaute Windenergieanlagen deutlich leistungsfähiger sind als diejenigen Anlagen, die vor fünf, zehn oder 20 Jahren errichtet wurden.

Windkraftanlagen und Hochspannungsleitungen sind vor dem Abendhimmel zu sehen.

Neue Windenergieanlagen sind deutlich leistungsfähiger die vor fünf, zehn oder 20 Jahren errichteten.

Vorliegenden Studien zufolge kann der vorgesehene weitere Ausbau der Windenergie bei einer Fokussierung auf Flächen, die aus naturschutzfachlicher Sicht geeignet sind, mit einer Begrenzung der negativen Folgen für den Natur- und Artenschutz einhergehen.

Klimawandel deutlich größere Gefahr für Tiere und Pflanzen

Neuere Windenergieanlagen können zudem durch intelligente Betriebsweisen das Risiko von Kollisionen mit Vögeln und Fledermäusen gegenüber älteren Anlagen deutlich reduzieren.

Klar ist, dass für die Tier- und Pflanzenwelt ein ungebremster Klimawandel eine deutlich größere Gefahr darstellt als der aus Gründen des Klimaschutzes notwendige weitere Ausbau der Windenergie.