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„Sowas kennt man nur aus dem Krimi“Zeugen schildern Ereignisse vor Schüssen in Gummersbach

Lesezeit 5 Minuten
Tatort / Einsatzort nach Schüssen der Polizei auf einen Mann in Gummersbach

Tatort / Einsatzort nach Schüssen der Polizei auf einen Mann in Gummersbach

Es begann mit einem Ladendiebstahl, am Ende schossen Polizisten auf einen 30-Jährigen. Zeugen schildern den dramatischen Tathergang.

Auf der Hindenburgstraße, dem Eingang zur Gummersbacher Fußgängerzone, weht am Dienstagmittag Flatterband. Die Polizei hat weiträumig abgesperrt, Passanten kommen nicht durch, Feuerwehrwagen, Polizeiautos und weiße Sichtschutzplanen versperren den Schaulustigen und Passanten den Weg.

„Ich habe ein Video, wollen Sie es sehen?“, fragt einer von ihnen. Nahezu alle Passanten kennen das circa halbminütige Video schon, sie zeigen es auf dem Handy, haben es von Bekannten über Messenger-Dienste geschickt bekommen oder in anderen sozialen Medien gesehen.

Gummersbach: Polizisten schießen auf bewaffneten Ladendieb

Es zeigt, wie Polizisten mindestens zehn Schüsse auf einen Angreifer abgeben. Eine Polizistin sagt, das Video sei schon im Netz kursiert, bevor die Verstärkung eintraf – obwohl das Präsidium nur circa 500 Meter vom Tatort entfernt liegt.

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Mindestens zehn Schüsse haben Polizisten am Dienstagmittag gegen 12.20 Uhr auf einen bewaffneten Mann in der Gummersbacher Fußgängerzone abgegeben. Kurz zuvor hatte der 30-Jährige offenbar einen der Beamten mit einem Messer im Gesicht verletzt. Der Angreifer befindet sich am Dienstagnachmittag in kritischem Zustand, einen unbeteiligten Passanten traf ebenfalls eine Kugel der Polizisten.

Gummersbach: Räuberischer Diebstahl im Supermarkt ging Angriff mit Messer voraus

Die Beamten wurden zunächst zu einem räuberischen Diebstahl in einem Gummersbacher Supermarkt gerufen, teilt die Polizei mit. Nach Angaben eines Angestellten entwendete der 30-Jährige mehrere Waren. Als ein Mitarbeiter ihn darauf ansprach, nahm er Reißaus. Ein herbeigeeilter Sicherheitsbeamte kam zu spät, um den Verdächtigen festzuhalten; um 12.14 Uhr ging aus dem Supermarkt ein Anruf bei der Polizei ein. Der Tatverdächtige sei ein bekanntes Gesicht im Supermarkt gewesen, sagt der Wachmann dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Manchmal kommt er zwei, drei Mal am Tag.“ Die herbeigerufenen Polizisten nahmen die Verfolgung auf.

Im Zuge der Fahndung entdeckten die Einsatzkräfte den Gesuchten am Bahnhof in Gummersbach. Als die Polizisten ihn kontrollieren wollten, soll der Mann ein Messer gezogen haben und einem der Beamten die Klinge durchs Gesicht gezogen haben. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Justizkreisen erfuhr, musste der Polizist im Krankenhaus genäht werden.

Polizei in Gummersbach versucht, den Angreifer mit einem Stuhl abzuwehren

„Ich bin immer noch ganz durcheinander“, sagt Patricia Pflitsch. „Ich liebe ja Krimis. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich einmal sehe, wie auf einen Mann auf offener Straße geschossen wird.“ Die 52-Jährige arbeitet in einem Imbiss, schräg gegenüber von der Bäckerei, vor der die Schüsse abgegeben wurden. Gegen Mittag habe sie gesehen, wie Passanten panisch die Straße hoch rannten. Da habe eine Kollegin ihr Handy genommen und gefilmt, als Beweismittel, sagt Pflitsch, falls jemand auf der Straße randaliert. Es ist das Video, das Minuten später die große Runde macht.

Sie habe gesehen, wie mehrere Polizisten aus einer Seitenstraße rannten, erzählt Pflitsch, einer habe einen Stuhl in die Hand genommen, als wollte er jemandem den Weg abschneiden. Kurz hinter ihnen sei ein Mann gerannt, schwarze Kleidung, helle Kapuze. Der Polizist habe den Stuhl gehoben, erzählt Pflitsch, und versucht, den Mann abzudrängen. Der Angreifer habe sich einem anderen Polizisten zugewendet. In diesem Moment habe der Mann den Beamten mit einem Messer angegriffen.

Er scheint wegzurennen – und kehrt dann um

Erste Schüsse fallen. Der Angreifer wendet sich ab, scheint erst wegrennen zu wollen. Was Pflitsch dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erzählt, ist so auch im Video zu sehen.

Der mit dem Messer bewaffnete Angreifer rennt aber doch nicht weg. Er dreht sich wieder um – und läuft auf die Polizisten zu. Mehrere von ihnen haben jetzt ihre Schusswaffen gezogen. Es fallen weitere Schüsse in schneller Folge. Wie viele, ist nicht klar auszumachen. Mehrere Kugeln schlagen auch in der Fensterscheibe einer Bäckerei ein. Der 30-jährige Mann bricht zusammen. Die Kölner Polizei teilt später mit, dass in diesen Sekunden auch ein 43-jähriger Passant von einer Kugel der Polizisten in den Oberschenkel getroffen wird, ein Durchschuss, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfährt. Er wurde, wie auch der schwerverletzte Täter, in eines der umliegenden Krankenhäuser gebracht.

Michael Rüb, Filialleiter der benachbarten Targobank, habe sich in einer Telefonkonferenz befunden, als die Schüsse auf der Straße fallen, berichtet er. Er habe erst nicht erkannt, dass es sich um Schüsse handelt. „Ich war zuerst irritiert, weil man in letzter Zeit hin und wieder Kinder mit Feuerwerkskörpern auf den Straßen hört. Als ich also diese Geräusche hörte, dachte ich nicht sofort, dass es sich um eine Schießerei handelt. Sowas kennt man ja dann eher nur aus dem Krimi oder so“, sagt er.

Als ich also diese Geräusche hörte, dachte ich nicht sofort, dass es sich um eine Schießerei handelt. Sowas kennt man ja dann eher nur aus dem Krimi oder so.
Michael Rüb

Wenig später, als sich die Fußgängerzone mit Einsatzkräften füllt, weiß er, dass hier etwas los ist. Innerhalb weniger Minuten ist das Gebiet abgesperrt. Durch das Fenster seiner Filiale sieht er, dass jemand auf dem Boden liegt. „Als ich geguckt habe, konnte ich schon keinen Menschen erkennen. Er war komplett mit einer Decke zugedeckt.“

Eine Schießerei direkt neben der Arbeit. Obwohl Rüb weiterarbeitete, ist er erschüttert. „Eine Viertelstunde später wäre ich in meiner Mittagspause selbst dorthin gelaufen.“

Die Kölner Polizei wertet die Videos aus

Die Bäckerei, vor der die Schüsse gefallen sind, ist jetzt aber geschlossen, ebenso umliegende Läden. Mindestens vier Einschusslöcher klaffen in der Fensterfront, die Polizisten haben rot-weiße Pylonen neben den Patronenhülsen auf dem Boden aufstellt. Ein roter Pavillon soll die Spuren vor dem Regen schützen, auch nach Einbruch der Dunkelheit sind noch Einsatzkräfte vor Ort.

Aus Neutralitätsgründen hat die Polizei Köln die Ermittlungen in dem Fall übernommen. Staatsanwaltschaft und Polizei werten nun die Videos und Zeugenaussagen aus, weitere Auskünfte seien erst ab Mittwoch möglich.