In unserer Serie „Dem NS-Terror auf der Spur“ schauen wir in alte Akten und erzählen aus einem der dunkelsten Kapitel der Geschichte.
Geschichte der Brüder HeinrichGummersbacher Kinobesitzer landeten im Gefängnis und KZ
Hunderte Unschuldige verschwanden 1933 in örtlichen Gefängnissen und Lagern, viele wurden misshandelt und gefoltert. Alte Akten erzählen eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte, in unserer Serie „Dem NS-Terror auf der Spur“.
1910 beginnt die Gummersbacher Kinogeschichte. Im Central-Theater in Nöckelseßmar läuft der erste Film, er heißt „Der Vogeldieb“. Erwachsene zahlen 30 oder 50 Pfennige Eintritt, Kinder 15 Pfennige. Eigentümer des ersten Kinos in der Stadt sind die Heinrichs. Die Familie mit ihren vier Söhnen war ein Jahr zuvor aus Schwerte zugezogen.
In seinen Kindertagen hat das Kintopp einen schlechten Ruf. Gottlieb Adolf Heinrich, das Familienoberhaupt, bewirbt sich um eine Gaststättenlizenz. Zunächst erfolglos, denn er steht im Verdacht, Sozialdemokrat zu sein. Nach seinem Tod 1916 übernehmen seine Witwe und die Söhne das Hotel Thiel an der Kaiserstraße (heute EKZ-Standort) und verlegen dorthin auch das Kino. Das erzählt der Lokalhistoriker Jürgen Woelke in seinen beiden Büchern über „Alt Gummersbach“.
Central-Theater Gummersbach: Die Kinokarte kostet damals 30 Pfennig
Alle vier Brüder kämpfen als deutsche Soldaten und Matrosen im 1. Weltkrieg. Nach 1918 gründet Johann Baptist Heinrich (Spitzname „Champi“) noch weitere Kinos, unter anderem den Sieg-Rheinischen Hof in Dieringhausen und den Saal Wiking in Ründeroth.
In seinen Memoiren, die er Ende 1954 in der wöchentlich erscheinenden Programm-Vorschau des „Central-Theaters“ als Serie veröffentlicht, schildert der Kino- und Gaststättenbesitzer, wie er schon Mitte der 1920er Jahre mehrfach Streit mit dem späteren NS-Gauleiter Robert Ley bekam.
Doch am 23. August 1933 geschieht etwas, dass das Leben der Familie auf den Kopf stellt. Die Nationalsozialisten sind seit Anfang des Jahres an der Macht und haben die demokratische Weimarer Republik in eine Diktatur umgewandelt, wichtige Grundrechte sind abgeschafft.
Johann Baptist Heinrich und sein Bruder Karl, Besitzer einer Gaststätte in der Kaiserstraße 25, haben Ärger mit ihrem Pächter August Schulte. Der will den Aufschlag auf einen Bierpreis nicht mehr zahlen, den die Krombacher Brauerei zur Tilgung einer Hypothek verhängt hatte. Der Versuch, den Streit in Anwesenheit eines Polizisten zu schlichten scheitert. Johann Baptist Heinrich kündigt Schulte fristlos und wirft ihn aus der Gaststätte hinaus.
Doch August Schulte ist Mitglied der NSDAP. Noch am selben Tag marschiert ein Trupp uniformierter NS-Anhänger unter Leitung des Landtagsabgeordneten und Gaupropagandaleiters Toni Winkelnkemper auf und nimmt die Brüder mit auf die Polizeiwache. Auf dem Weg dorthin kommen ihnen mehrere Gummersbacher entgegen. Johann Baptist Heinrich grüßt jeden ironisch mit „Heil Hitler“. Winkelnkemper will ihm das verbieten, mit der Begründung, die Heinrich-Brüder seien „Juden“.
In den Augen der NS-Ideologie gelten die Heinrich-Brüder als „Halbjuden“
Beide sind katholisch getauft, die Mutter Henriette Heinrich, geborene Bärmann, ist jüdischen Glaubens. In den Augen der NS-Ideologie gelten die Brüder somit als „Halbjuden“. Als Champi auf der Rathaustreppe erneut ein „Heil Hitler“ anstimmt, kommt es zu Handgreiflichkeiten. Johann Baptist Heinrich ist seit einem Unfall 1930 in der Gummersbacher Badeanstalt behindert.
Sein Bruder kommt ihm zur Hilfe: „In ihm hatte sich inzwischen auch soviel Wut und Empörung aufgestaut, dass er jetzt seinerseits losschlug und als erstes Winkelnkemper so zurichtete, dass dieser aus Mund und Nase blutete wie ein Schwein. Karl hatte es einfach nicht mit ansehen können, wie man seinen kranken und wehrlosen Bruder misshandelte bzw. misshandeln wollte“ – so anschaulich schilderte „Champi“ gut 20 Jahre später das Geschehen.
SS-Männer verfrachten die Heinrich-Brüder in ein Auto und fahren sie ins Kölner Polizeipräsidium, wo beide verhört wurden. Nach elf Tagen sperrte man sie ins Gerichtsgefängnis am Bonner Wall.
Verhörprotokolle in Akten im Stadt- und Kreisarchiv in Gummersbach
Im Stadt- und Kreisarchiv Gummersbach finden sich Akten, die das Geschehen und die Verhöre protokollieren. Die Brüder Heinrich werden verächtlich gemacht als „arbeitsscheue Menschen (…) in deren Lokal sich fast täglich mehrere Dirnen aufhalten“. Das Lokal sei ein „Sammelplatz für Kommunisten und sonstiges lichtscheues Gesindel“.
In der Akte 957 wird vermerkt, dass die beiden Brüder in „Schutzhaft“ genommen wurden – eine Willkür-Maßnahme, unter der in den ersten Monaten der NS-Herrschaft mehrere hunderttausend Deutsche zu leiden hatte. Das Perfide an der „Schutzhaft“: Sie ist ein Polizeiarrest und wird auf unbestimmte Dauer verhängt, unter Umgehung der Justiz. Was bedeutet, dass der Schutzhäftling keinerlei Rechtsmittel dagegen einlegen kann. Vor allem Funktionäre und Anhänger von KPD und SPD, aber auch Gewerkschaftler werden eingesperrt und nicht selten gefoltert.
In der Akte 957 sind in einer mehrseitigen Liste 180 Namen von Männern und einigen wenigen Frauen aus Gummersbach und Umgebung aufgeführt, die zwischen März und Oktober 1933 als Schutzhäftlinge inhaftiert wurden. Manche kommen schon nach wenigen Tagen wieder frei, andere sitzen viele Wochen oder gar mehrere Monate ein. Schnell sind die Gefängnisse hoffnungslos überbelegt, oft müssen sich drei Mann eine Ein-Mann-Zelle teilen. Einer schläft auf einer Pritsche, die anderen auf Strohsäcken.
Haftgrund: Eine antisemitisch motivierte, bewusst falsche Angabe
Auch die beiden Namen der beiden Heinrich-Brüder sind auf dieser Liste zu finden, als Haftgrund wird fälschlicherweise „führende Rolle in der KPD“ angegeben. Kein Versehen, sondern mit Sicherheit eine antisemitisch motivierte, bewusst falsche Angabe, da Kommunisten in der Regel besonders hart angefasst werden.
Das Stadt- und Kreisarchiv Gummersbach hat eine Dokumentation zur Judenverfolgung während der NS-Zeit herausgegeben, das schon in der dritten, ergänzten Auflage vorliegt. Archivar Manfred Huppertz schildert dort anhand der Akten des Archivs, wie es weiter ging.
Die NS-Behörden stellen das Kino unter Zwangsverwaltung und verpachten es unter dem Namen „Nationaltheater Gummersbach“. Johann Baptist Heinrich wird am 3. Oktober 1933 in die Arbeitsanstalt Brauweiler eingewiesen. Teile der ehemaligen Benediktiner-Abtei Brauweiler dienen als ein frühes Konzentrationslager. Heute ist dort eine Gedenk- und Forschungsstätte des LVR untergebracht. Eine kürzlich neu eröffnete Dauerausstellung erinnert an das Leiden der Häftlinge, zu denen zeitweise auch Konrad Adenauer zählte.
Nach drei Wochen in das Konzentrationslager überführt
Nach drei Wochen in Brauweiler wird „Champi“ in das Konzentrationslager Lichtenburg bei Merseburg überführt und zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. 1937 fordert Landrat Theodor Pichier ihn auf, die Stadt Gummersbach zu verlassen, Champi taucht in den Niederlanden unter.
Noch schlechter ergeht es seinem Bruder Karl. Wegen des Angriffs auf Winkelnkemper verurteilt ihn die 4. Große Strafkammer des Kölner Landgerichts zu 18 Monaten Gefängnis. Aus „rassischen Gründen“ wird er von 1942 bis 1945 erneut inhaftiert.
Nach 1945 müssen die Brüder Heinrich jahrelang kämpfen, bis sie ihr Kino zurückerhalten, wie sich aus den umfangreichen Wiedergutmachungsakten im Stadtarchiv Gummersbach ablesen lässt. In den 1950er Jahren ist Champi dann alleiniger Besitzer des Central-Theaters.
Die Haftstrafen, die das NS-Regime verhängt hatte, bleiben nicht ohne Folgen. Karl Heinrich stirbt 1953 im Alter von 63 Jahren. Sein ein Jahr jüngerer Bruder Johann Baptist Heinrich wird im Januar 1955 in die Provinzial Heil- und Pflegeanstalt in Gütersloh eingewiesen, dort stirbt es ein halbes Jahr später. Die Todesursache lautet auf „hirnorganisches Defektsyndrom“ (dazu zählen zum Beispiel traumatische Erkrankungen), und „hochgradige Abzehrung.“
Die nächste Folge unserer Serie „Dem NS-Terror auf der Spur“ widmet sich der aus Wiedenest stammenden Widerstandskämpferin Mathilde Lauterjung, geborene Reichmann, später verheiratete Ketschau. Wer zu ihr und ihrer Familie Hinweise geben kann, wird gebeten, sich an die Redaktion zu wenden, unter (0 22 61) 81 99-0 oder per E-Mail an redaktion.oberberg@ksta-kr.de.