Serie

Interview
In ganz Europa schätzt man Cannabis-Blättchen aus Oberberg

Lesezeit 5 Minuten
Ein Mann sitzt vor einer Reihe von bunten Schachteln.

Im internationalen Sortiment, das Christian Hinz' Firma produziert, spielen Blättchen für Cannabis-Raucher eine immer wichtigere Rolle.

Am 9. Juni ist Europawahl. Aber was hat das mit uns zu tun? Diese Frage haben wir Oberberger beantworten lassen, die in besonderer Weise betroffen sind.

Welche Hoffnungen und Sorgen verbindet ein Gummersbacher Unternehmer mit Europa? Reiner Thies sprach zum Auftakt unserer Serie mit Christian Hinz, CEO der Firma Gizeh Raucherbedarf.

Wann waren Sie zuletzt im europäischen Ausland?

Christian Hinz: Erst vorgestern habe ich unser Werk im Elsass besucht. Ich hatte dort einen Termin mit dem Betriebsrat, solche Gespräche mache ich lieber in Präsenz als in einer Videokonferenz. Das kommt sieben bis achtmal im Jahr vor. Unser Werk in Österreich besuche ich seltener, seit es keine gute Flugverbindung nach Linz mehr gibt. Dass unsere Standorte so weit auseinander liegen, ist logistisch ungünstig, lässt sich aber kaum ändern.

Die Fachleute, die wir dort beschäftigen, lassen sich nicht verpflanzen. Zudem können wir in dieser Weise den Arbeitskräftemangel, der in den einzelnen Ländern jeweils herrscht, besser ausgleichen. Leider brauche ich zur Verständigung in Frankreich eine Simultandolmetscherin. Es ist ein Riesenproblem, dass immer weniger Elsässer Deutsch sprechen und zugleich immer weniger junge Deutsche Französisch lernen. Mein Sohn war der einzige in seinem Jahrgang am Wiehler Gymnasium, der im Abitur Französisch als Prüfungsfach gewählt hat.

Welchen Nutzen hat die Europäische Union für Sie und Ihre Arbeit?

Der Ukraine-Konflikt hat gezeigt, wie wenig selbstverständlich der Frieden ist, den die EU schon so lange gewährleistet. Das wusste ich aber auch schon vor dem russischen Angriff. Geschichte ist mein großes Hobby. Polen ist für uns ein wichtiges Exportland. Dass wir dort heute ganz normale Geschäftsbeziehungen unterhalten können, ist eigentlich unglaublich und ein Verdienst der europäischen Integration.

Unsere letzte Mitarbeiterversammlung hat zufällig am 30. Januar stattgefunden, dem Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933. Ich habe meinen Leuten gesagt, dass ich von ihnen erwarte, dass sie ihr Kreuz bei der Europawahl bei einer demokratischen Partei machen. Überall in Europa sind radikale Kräfte auf dem Vormarsch, die anderen Parteien schaffen es nicht, ihre Anhänger bei einer scheinbar unwichtigen Wahl zu mobilisieren. Das könnte dazu führen, dass wir nach der Wahl einen Haufen Antieuropäer im Parlament haben. Und das könnte langfristig die Existenz der EU gefährden.

Als Geschäftsmann kann ich mich noch daran erinnern, wie umständlich es war, überall Kurssicherungsgeschäfte machen zu müssen. Der Euro hat alles einfacher und transparenter gemacht. Die Briten haben sich mit dem Brexit keinen Gefallen getan. Das merke ich auch im Privatleben: Meine Tochter reist bei ihrer Abschlussfahrt nach Edinburgh. Dafür mussten wir jetzt noch schnell einen Reisepass beantragen.

Aber gibt Ihnen die EU nicht auch Anlass für Ärger?

Die EU-Kommission verhält sich manchmal übergriffig und entscheidet, wo sie die Sache besser den Ländern überlassen müsste. Zugleich ist sie inkonsequent. Etwa bei der Einwegkunststoff-Richtlinie, die uns wegen unserer Eindrehfilter betrifft. Dafür gibt es auch nach zwei Jahren noch keine konkreten Umsetzungsbestimmungen und 27 ganz unterschiedliche Auslegungen in den Mitgliedsländern. In Frankreich fallen darunter sogar reine Papierfilter. Oder das Lieferkettengesetz: Grundsätzlich eine gute Idee, aber ein Problem im internationalen Wettbewerb, wenn Unternehmer für Dinge verantwortlich gemacht werden, die sich nicht nachprüfen können.

Wie sollte sich die EU verändern? Sollte das Europaparlament mehr Einfluss haben?

Ich wäre dafür, schon weil es demokratisch legitimiert ist. Die Kommission neigt dazu, ohne diese Legitimation die Welt verbessern zu wollen, etwa beim Verbrennerverbot. Es wäre besser, den CO2-Ausstoß vom Markt regeln zu lassen. Vorschläge aus dem Parlament sind oft ausgewogener. Ich bin gespannt, wie die EU auf die komplizierte Cannabis-Teillegalisierung in Deutschland reagiert, die unser Blättchen-Geschäft ja besonders betrifft. In Frankreich und Polen gibt es große Vorbehalte dagegen. Das Beispiel Kanada zeigt aber, dass der Cannabis-Konsum bei der problematischen Gruppe der Unter-21-Jährigen zurückgeht, wenn es den Reiz des Verbotenen verloren hat.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem europäischen Binnenmarkt?

Wir exportieren in 85 Länder der Welt. Etwa 50 Prozent unseres Jahresumsatzes von 200 Millionen Euro erzielen wir auf dem deutschen Markt, weitere 30 Prozent in der übrigen Europäischen Union. Ich werde oft dafür bedauert, dass die Raucherquote in Westeuropa zurückgeht. Dabei muss man allerdings bedenken, dass es weltweit etwa 1,4 Milliarden Raucher gibt, und die Weltbevölkerung wächst. Für uns wird aber in fünf Jahren Cannabis an erster Stelle stehen. Wir erreichen damit größere Bevölkerungskreise, das Papier ist dünner, aufwendiger zu produzieren und damit margenträchtiger.


Gizeh: Oberbergs bekannteste Marke

Christian Hinz (53) ist in Datteln aufgewachsen und lebt in Gummersbach-Hunstig. 2007 kam er als Marketing-Vertriebsleiter zu Gizeh, der Firma, die damals noch sein Vater Winfried als angestellter Geschäftsführer leitete. Dass er ihm in dieser Funktion 2009 nachfolgte, ist ungewöhnlich im Wirtschaftsleben. Hinz nennt sich einen „überzeugten Nichtraucher“, übernahm aber die Führung der Firma aus einer Verbundenheit mit dem Namen Gizeh, die zurück bis zu dem Kiosk führt, in dem seine Großmutter einst im Ruhrgebiet Zigarettenblättchen verkaufte.

Die Firma Gizeh wurde 1920 in Köln gegründet. Nach der Zerstörung des Werks im Krieg wurde die Produktion 1945 mit geretteten Maschinen in der Bergneustädter Gaststätte Neuhaus wieder aufgenommen. In den 1980er Jahren richtete das Unternehmen Produktionsstätten in Österreich und Frankreich ein. 1997 wurde die Raucherbedarfs-Sparte an das niederländische Familienunternehmen Mignot & de Block verkauft und die Gizeh Raucherbedarf GmbH gegründet.

Die unabhängige Firma Gizeh Verpackungen produziert bis heute in Bergneustadt Kunststoffbehälter für Lebensmittel. Gizeh Raucherbedarf zog 2002 um nach Windhagen. Gizeh hat 650 Mitarbeiter, davon arbeiten 184 in Windhagen (einschließlich Außendienst) und 35 im Lager Wiedenest.

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