Interview

Messerattacken in Gummersbach
Wenn psychisch kranke Menschen zu Straftätern werden

Lesezeit 5 Minuten
24.06.2024
Marienheide
Dr. Bodo Unkelbach

Chefarzt Bodo Unkelbach, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie des Zentrums für seelische Gesundheit an der Klinik Marienheide.

Es gibt immer mehr Fälle, in denen psychisch kranke Menschen zu Straftätern werden. Wir sprachen mit Psychiater Bodo Unkelbach über die Hintergründe.

Andreas Arnold sprach über das Thema mit Chefarzt Bodo Unkelbach, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie des Zentrums für seelische Gesundheit an der Klinik Marienheide.

Menschen, die psychisch krank sind, geraten immer öfter in die Schlagzeilen, weil sie zu Straftätern werden. Doch man hat den Eindruck, dass die Medizin bisweilen machtlos ist?

In der Tat werden wir immer öfter gefragt, warum bestimmte Personen draußen frei herumlaufen dürfen, obwohl doch bekannt ist, dass sie erkrankt sind. Dabei wird dann außer Acht gelassen, dass das Thema sehr vielschichtig ist.

Das heißt was?

Der juristische Rahmen für eine Unterbringung eines Menschen bei einer akuten Gefährdung infolge einer seelischen Erkrankung erfolgt nach dem sogenannten PsychKG. Nach diesem Gesetz ist es möglich, Menschen mit einer akuten psychischen Erkrankung gegen deren Willen in einer geschlossenen Klinik unterzubringen, wenn von ihnen eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung ausgeht. Und es ist wichtig, dass es sich um eine akute Gefahr handelt. Eine psychische Erkrankung allein reicht für eine Unterbringung nicht aus.

Also muss man davon ausgehen, dass viele Patienten nach einer akuten Situation auch schnell wieder entlassen werden müssen?

Ganz genau. Denn am Ende geht es ja auch um die Frage, wie man vorhersehen soll, ob jemand straffällig wird. Es gibt Leute, die sich hier bei uns angepasst verhalten und ihre Medikamente nehmen. Sobald sie wieder draußen sind, werden diese abgesetzt und sie werden wieder auffällig.

Das klingt aber so, als bräuchten solche Menschen auch nach einem Klinikaufenthalt eine engmaschige Betreuung.

Völlig richtig, doch hier genau haben wir ein großes Problem, denn die Kapazitäten der ambulanten Anlaufstellen ist in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen und die Nachfrage steigt. Wir haben kein funktionierendes ambulantes Krisensetting. In den letzten 15 Jahren ist die Zahl der niedergelassenen Psychiater immer weniger geworden. Und die Kassenärztliche Vereinigung hat die freien Sitze oft mit Neurologen nachbesetzt. Die aber decken eine gänzlich andere Disziplin in der Medizin ab.

Wie sieht es denn bei der stationären Versorgung psychisch kranker Menschen in der Region aus?

Nachdem wir im Jahr 2017 im Krankenhaus Waldbröl 45 zusätzliche Betten geschaffen haben, hätte man meinen können, dass wir damit erst einmal gut aufgestellt sind, denn hier in Marienheide sind es 70 weitere. Doch die Realität ist eine andere. Die Plätze sind knapp und die Wartelisten lang, wobei man bei vielen Patienten lieber eine kurzfristigere Aufnahme ermöglichen würde. Notfälle werden aber unverändert sofort aufgenommen.

Mit welchen Erkrankungen kommen die Menschen zu Ihnen?

Neben allgemeinen psychischen Erkrankungen, Angstzuständen und Depressionen sind das vor allem Psychosen, die immer mehr zugenommen haben.

Gibt es denn neben Ihrer Klinik und einem niedergelassenen Kollegen keine anderen Möglichkeiten einer Versorgung?

Ein weiteres Angebot ist beispielsweise das ambulant betreute Wohnen. Doch auch hier ist die Nachfrage inzwischen deutlich größer als das Angebot. Und die Menschen, für die so ein Platz in Betracht kommt, müssen sich auf Wartelisten eintragen lassen. Wenn sie aber aus der Klinik entlassen werden, benötigen sie insbesondere für den Neuanfang eine intensive Betreuung.

Woran liegt es nach Ihrer Erfahrung, dass immer mehr Menschen an Psychosen leiden, wie Sie eben gesagt haben?

Ein großes Thema sind Alkohol und Cannabis. Es gilt als bewiesen, dass Cannabis den Ausbruch von Psychosen fördert. Und man kann auch nicht verleugnen, dass dann das Risiko wächst, straffällig zu werden.

Wir wissen schon jetzt von psychotischen Menschen, die im Fall von Drogenkonsum sehr schwere Verläufe dieser Krankheit erleiden.
Chefarzt Bodo Unkelbach

Also dürfte Sie die aktuelle Freigabe von Cannabis nicht glücklich machen?

Man wird in zehn Jahren sehen, was das Ergebnis ist. Doch wir wissen schon jetzt von psychotischen Menschen, die im Fall von Drogenkonsum sehr schwere Verläufe dieser Krankheit erleiden.

Haben Sie Vergleichszahlen von Menschen, die psychotisch sind, aber kein Cannabis oder andere Drogen konsumieren?

Die werden bei uns immer weniger.

Wie gehen Sie damit um, dass die Angehörigen von psychisch Kranken von bisweilen unerträglichen Situationen berichten, die Betroffenen aber keine Probleme sehen?

Auch wenn es bisweilen merkwürdig klingen mag, gibt es in den Augen der Juristen und des Gesetzgebers das Recht auf Krankheit. „Wenn das so ist, dann wollen die Patienten das“, ist eine Antwort, die man häufig zu hören bekommt, wenn keine Gefährdungsaspekte vorliegen. Das ist für uns Ärzte schwer zu verstehen.

Wie lange kann man denn einen psychisch kranken Menschen tatsächlich vor sich schützen und in die Obhut einer geschlossenen Klinik nehmen?

Eine Einweisung nach dem besagten PsychKG war bis vor Jahren noch pauschal für sechs Wochen möglich. Inzwischen ist es so, dass wir für die zuständigen Stellen Tag für Tag dokumentieren müssen, dass der Patient noch gefährlich ist.

Aber unter Medikamenten dürften die Patienten ja recht bald schon wieder friedlich sein.

Absolut und genau darin sehe ich auch die Krux. Die Gefahr nimmt ab, aber die Krankheit ist oft noch nicht ausreichend behandelt. Wenn sich eine Psychose allmählich zurückbildet, ist der Patient nicht mehr gefährlich, hat aber noch keine ausreichende Krankheitseinsicht, um sich aus eigenem Antrieb behandeln zu lassen. Wenn der Patient dann wünscht, entlassen zu werden, müssen wir ihn gehen lassen und nach einiger Zeit geht das Spiel wieder von vorne los.

Was sollte sich ändern?

Es wär wesentlich günstiger, wenn der Behandlungsgedanke bei den Vorschriften des PsychKG viel mehr Raum bekommen würde. Doch die Juristen argumentieren immer, dass der Gesetzgeber fordert, eine Gesellschaft müsse das oftmals sehr herausfordernde Verhalten von psychisch Kranken aushalten. In meinen Augen müssen wir schon sehr viel aushalten.

Was muss erfüllt sein, dass jemand dauerhaft in einer forensischen Klinik untergebracht wird?

Für diesen Fall muss fest stehen, dass von einem Patienten nach einer schwerwiegenden Straftat infolge einer seelischen Erkrankung auch in Zukunft eine erhebliche Gefahr infolge dieser Erkrankung ausgeht. Und wenn jemand in eine solche Einrichtung kommt, dann reden wir auch in der Regel von Jahren der Unterbringung. Vor einer Straftat müssen wir jeden einzelnen Tag begründen, nach einer schweren Straftat ist der Betroffene für Jahre geschlossen untergebracht. Das klafft zu sehr auseinander. Ich persönlich wünsche mir für meine Person, dass ich auch gegen meinen Willen behandelt werde für den Fall, dass ich psychotisch oder manisch erkranken sollte.

Nachtmodus
KStA abonnieren