In Oberberg steht viel zu wenig Personal einer wachsenden Zahl Pflegebedürftiger entgegen.
„Notstand ist längst angekommen“Pflegedienste in Oberberg schlagen Alarm
Sebastian Wirth, Geschäftsführer der „Diakonie vor Ort“, findet deutliche Worte: „Der Pflegenotstand ist in Oberberg angekommen.“ Rund 200 Mitarbeitende dieser Einrichtung versorgen im Oberbergischen Kreis zurzeit ambulant rund 1000 Patientinnen und Patienten – und jeden Monat müsse er neue Anfragen von Pflegebedürftigen ablehnen, bedauert Wirth.
„Wir sind ein christlicher Anbieter und versuchen, so viel wie möglich umzusetzen, aber oft können wir nur jemanden aufnehmen, wenn es in die Tour passt, und das hängt vom Wohnort ab.“ Wer abgelegen wohnt, hat schlechtere Chancen. Natürlich müsse die „Diakonie vor Ort“ auch priorisieren, betont der Geschäftsführer: Die vom Arzt verordnete Behandlungspflege, die von den Krankenkassen bezahlt wird, geht vor. „Das bekommen wir hin. Aber die Grundpflege, für die die Pflegekasse zuständig ist, können wir oft nur dann sofort übernehmen, wenn die Patienten flexibel sind.“
Senioren in Oberberg müssen zeitlich flexibel sein
Heißt etwa: Wenn jemand nicht morgens zu der beliebtesten Zeit zwischen 8 und 9 Uhr geduscht werden möchte, sondern sich auch mit 11 oder mit 6 Uhr abfindet. „Wenn nicht, fallen die Leute hinten runter.“ Das betrifft nicht nur die Diakonie. Uwe Söhnchen aus Ründeroth berichtet, dass sein Pflegedienst zu Beginn des Winters etliche Anfragen ablehnen musste. Ähnlich äußern sich andere Anbieter häuslicher Kranken- und Altenpflege, auch wenn manche es nicht gern zugeben. „Wir bekommen unglaublich viele Anfragen“, schildert Melanie Rosenthal aus Marienheide. „Manche sind dringend. Und die Zahl der Pflegebedürftigen wächst.“ In der vergangenen Woche habe sie einem Ehepaar abgesagt.
„Es gibt einfach zu wenig Pflegefachkräfte“, stellt Diakonie-Mann Wirth fest. „Die Decke ist viel zu kurz.“ So lassen sich die Verantwortlichen allerhand einfallen, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu binden. Bei der „Diakonie vor Ort“ versucht man, Mitarbeitende, die im ambulanten Bereich einspringen, obwohl sie eigentlich frei haben, mit Extra-Zulagen zu locken. „Aber die Jüngeren machen das Spiel nicht mehr mit“, weiß der Geschäftsführer. Melanie Rosenthal versucht deshalb, die Arbeitszeiten besonders familienfreundlich zu gestalten, und Uwe Söhnchen setzt auf großzügige Zeiten pro Patient. „Was ich selbst in der Zeit schaffe, das schaffen auch andere, denn ich bin nicht der Schnellste“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Bei der Caritas in Wipperfürth und Hückeswagen löse man Engpässe – gerade angesichts des hohen Krankenstands während der Grippewelle – mit Hilfe von Zeitarbeitsfirmen, erklärt die stellvertretende Pflegedienstleiterin Süreyya Kurca. Aber es hilft nicht: „Es brennt. Viele Kollegen haben riesengroße Probleme“, weiß Sandra Zeiske, Betreiberin eines ambulanten Pflegedienstes Pflegedienstes in Wiehl-Bielstein. Und um die wenigen Fachkräfte sei eine heftige Konkurrenz entbrannt. Auf allen Kanälen werde Personal gesucht – mit Zeitungsannoncen, in sozialen Netzwerken. Über Mund-zu-Mund-Propaganda werde zudem versucht, Fachkräfte abzuwerben. „Es funktioniert nur über Geld“, verrät derweil die Leitung eines oberbergischen Pflegedienstes, die nicht genannt werden möchte. „Es werden Prämien von 1500 Euro gezahlt, wenn jemand eine neue Mitarbeiterin oder einen neuen Mitarbeiter bringt.“
Auf Lösungen aus der Politik hoffen die Chefinnen und Chefs der Pflegedienste kaum. Auch wenn er es gut findet, dass private Pflegedienste neuerdings ebenso Tariflöhne zahlen müssen, sei davon nichts zu spüren, klagt Söhnchen, und Wirth kritisiert, dass von den Super-Versprechungen bisher nur sehr wenig umgesetzt worden sei und man ohne echte Pflegereform „sehenden Auges in den weiteren Notstand läuft“. Es gebe allerdings auch Versuche, sich und einander selbst zu helfen. In Wiehl arbeiten, so Sandra Zeiske, die Pflegedienste in einem Netzwerk zusammen, tauschen sich aus und vermitteln Patientenanfragen untereinander weiter an Kolleginnen und Kollegen, die Kapazitäten frei haben.
An Lösungen aus der Politik glauben die Oberberger nicht
Uwe Söhnchen setzt sich dafür ein, dass Hauswirtschaftskräfte mehr einfache Tätigkeiten in der Pflege übernehmen. „Waschen und Strümpfe anziehen können auch angelernte Kräfte“, sagt er. Diese allerdings müssten dafür bereits ein Jahr lang in dem Bereich gearbeitet haben, und in der Behandlungspflege übernähmen die Krankenkassen vertragsbedingt diese Kosten bisher nicht.
Bei der „Diakonie vor Ort“ macht man sich stark für die Ausbildung, zurzeit gibt es dort acht Azubis. Süreyya Kurca von der Caritas setzt darauf, in den Schulen junge Leute für den Beruf und für Praktika zu begeistern: „Es wird viel zu viel Negatives berichtet, und alle reden nur von der Härte der Arbeit. Dabei ist es wunderschöner Beruf!“