Rettungskräfte sind manchmal mit furchtbaren Situationen konfrontiert. Die Psychosoziale Notfallversorgung steht in solchen Fällen bereit.
PSNV-TeamWenn Oberbergs Retter selbst Hilfe brauchen
Anfang Oktober sind auf der Westtangente bei zwei Verkehrsunfällen drei junge Menschen auf tragische Weise ums Leben gekommen. Stundenlang waren Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei im Einsatz. Das Leben der Verunglückten konnten sie nicht mehr retten. Geblieben sind dennoch die Eindrücke vom Einsatz um deren Leben.
Nach dem Einsatz unweit von Windhagen wurde das Team des Rettungsdienstes mit Hinblick auf die enorme psychische Belastung aus dem Dienst genommen. Das Angebot an die Mannschaft, in solchen Fällen erst einmal zur Ruhe zu kommen, sei inzwischen die Regel, sagt Dr. Ralf Mühlenhaus, Amtsleiter für Rettungsdienst, Brand- und Bevölkerungsschutz beim Oberbergischen Kreis. Der Fachterminus für diese Versorgung lautet Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV). Dabei geht es darum, Betroffenen bei der Verarbeitung von belastenden Unglücken oder Notfällen Unterstützung anzubieten.
Wie im Oberbergischen die Räder im Fall der Fälle ineinander greifen, das haben Dr. Mühlenhaus und drei seiner Experten im Gespräch mit dieser Zeitung erläutert. Alle vier sind Rettungsdienst gefahren, teilweise gemeinsam, ehe sie studiert und sich spezialisiert haben und nun wieder zusammen arbeiten.
Extern begleitet wird die PSNV von Prof. Dr. Harald Karutz, der an der Medical School Hamburg eine Professur für Psychosoziales Krisenmanagement hat. Die Psychosoziale Notfallversorgung sei seit dem Zugunglück am 3. Juni 1998 in Eschede bundesweit ein Thema. Als ein ICE auf dem Weg nach Hamburg entgleiste, starben damals 101 Menschen.
Viele psychosoziale Erkrankungen im Gesundheitswesen
Viele Jahre, so Mühlenhaus, seien die Mitarbeiter des Rettungsdienstes im Bedarfsfall von der Feuerwehr mit betreut worden, wenn dort ausgebildete Ehrenamtler zur Verfügung standen. „Tatsächlich war es aber lange so, dass die Kolleginnen und Kollegen das nur sehr wenig in Anspruch genommen haben“, sagt der Notfallmediziner. Das habe nicht zum guten Ton gehört, doch irgendwann seien einige Kollegen auffällig geworden. Dabei sei immer klar gewesen, dass man sich melden konnte, wenn man beispielsweise einen Einsatz mit einem verstorbenen Kind oder einen besonders schweren Unfall hatte.
Mühlenhaus Kollege Christopher Jacobs sagt, dass sich die psychosozialen Erkrankungen im Bundesgebiet in den letzten 20 Jahren verdoppelt hätten. „Und das Gesundheitswesen ist hier der traurige Spitzenreiter“, wie der Experte für Arbeitssicherheit weiß.
Der Tod einer Sechsjährigen gilt als Schlüsselerlebnis
Rückblickend gilt ein schwerer Unfall im Dezember 2015 als eine Art Schlüsselerlebnis. Damals wurde eine Sechsjährige auf dem Parkplatz einer Schule von einem Auto überrollt und starb. Damals ging die Mannschaft auf eigenen Wunsch außer Dienst. Lediglich der Notarzt hat seinen Dienst fortgeführt. Mühlenhaus sagt heute, dass die Bereitschaft der Einsatzkräfte, Hilfe anzunehmen, seitdem zusehends zugenommen habe. Mühlenhaus und sein Team sind so gesehen froh, dass die „Zeit der harten Hunde“ im Rettungsdienst vorbei sei. „Auch wenn die Kollegen den Eindruck erwecken wollten, wirklich verarbeitet haben sie die Eindrücke am Einsatzort nicht.“
Doch wie kann man Rettern helfen, die bisweilen furchtbare Bilder gesehen haben? Prävention und Nachbearbeitung stehen im Vordergrund, wie Jörg Ossenbach erläutert. „Wir können das Rad nicht neu erfinden, aber wir versuchen, aus dem bestehende System das Beste zu machen. Sprich die losen Fäden zusammenbinden“, ergänzt Jacobs.
Nach einem schweren Einsatz darf der Dienst beendet werden
So ist es inzwischen zum Standard geworden, dass bereits die Leitstelle bei entsprechenden Einsatzstichworten aktiv wird und die Experten der Psychosozialen Notfallversorgung alarmiert. Die bieten dann den Teams an, nach Ende des Einsatzes erst einmal Feierabend zu machen. Entsprechende Springer, die übernehmen können, sind immer im Dienstplan vorgesehen, wie Christian Kollmannsberger erläutert.
Die Kollegen werden erst nach Hause entlassen, nachdem ihnen ausführlich erläutert wurde, welche Reaktionen sie haben können, erläutert Mühlenhaus. Neben einer schlaflosen Nacht können das Orientierungsprobleme oder Konzentrationsschwäche sein. „Und wenn die Kollegen Tage danach in eine Form der Trauer oder Depression fallen, ist Handlungsbedarf angesagt“, erläutert Mühlenhaus. Was dann zu tun ist, hänge ganz individuell von den Bedürfnissen der Kollegen ab.
Dazu gehört auch das Angebot, die Hilfe eines externen Dienstleisters in Anspruch zu nehmen. Der Besuch dieser psychosozialen Praxis steht inzwischen nicht nur dem Rettungsdienst zur Verfügung, sondern allen Mitarbeitern des Oberbergischen Kreises, wie Mühlenhaus berichtet.
Ob das Angebot inzwischen Wirkung zeigt, lässt sich in deren Augen nur subjektiv beurteilen. Mühlenhaus sagt ganz klar, dass Prävention und Nachbearbeitung die Einsatzkräfte am Ende besser rauskommen ließen. Was das Erlebte aus ihnen macht, könne man aber vielleicht erst in Jahren erkennen. Ein nächster Schritt wird sein, dass der Kreis an seiner Gesundheitsakademie Agewis künftig Kräfte ausbilden wird, die im Nachgang zu Unfällen wie auf der Westtangente den Rettern Hilfestellung geben sollen.