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Serie

Geschichten aus der Geschichte
Wie Oberberg nach dem Krieg Fahrt aufnahm

Lesezeit 10 Minuten
Ein Polizist schreibt auf der Motorhaube einer großen Limousine ein Strafmandat.

Falschparker in der Innenstadt im Jahr 1950: Mangelnder Parkraum war damals schon ein Thema.

Ende August erscheint der 15. Band der „Beiträge zur Oberbergischen Geschichte“. Es ist ein Sonderband zum 100. Jubiläum der Oberbergischen Abteilung des Bergischen Geschichtsvereins. Wir stellen einige besonders interessante Beiträge in Auszügen vor.

„Und wenn dann die Textil-Vertreter kamen mit ihren Straßenkreuzern – das war wie vom anderen Stern!“, begeisterte sich noch Jahrzehnte später der damals achtjährige Siegfried Kutzop, der in Gummersbach gegenüber der Spinnerei Krawinkel & Schnabel wohnte (heute ist hier das Gumbala). „Wir Kinder standen neben dem Auto und gingen nicht weg, bevor nicht der Mann zurückgekommen und wieder weggefahren war. Einer kam sogar in einem hellblauen Studebaker! Phantastisch!“

Seit seiner Erfindung hat das Automobil fasziniert, es fasziniert ja noch heute. Aber im grauen Nachkriegsalltag – wo nur die wenigsten ein Auto besaßen, und dann auch nur schon zigmal reparierte Vorkriegsmodelle, wo es noch kaum wieder eine deutsche Pkw-Produktion gab – da war so ein amerikanischer Straßenkreuzer von ganz besonderer Faszination. Und wohl auf keinem anderen Gebiet lässt sich Ausgangspunkt und Aufschwung der Nachkriegszeit so augenfällig beobachten wie beim Thema Auto.

Briten beschlagnahmten in Oberberg viele Autos

Mitte 1945 waren im Oberbergischen Kreis gerade einmal 250 Pkw registriert, nur unwesentlich mehr Lkw und Motorräder. Zum Ende des Jahres allerdings hatten sich deren Zahlen ungefähr verdoppelt, die der Pkws sogar verdreifacht; wahrscheinlich war unter den Neuanmeldungen so manches liegengebliebene Militärfahrzeug, öfter aber noch ein während des Krieges vor der Wehrmacht versteckter Privat-Pkw. Doch dauerte in vielen Fällen die Freude nicht allzu lange, denn die Besatzungsmacht, d.h. seit Juni 1945 die Briten, hatte ein forderndes Auge auf den Fahrzeugbestand.

„Für die Engländer hat mein Vater“, so erinnerte sich die 1922 geborene Marianne Schmidt-Wagner (VW-Wagner), „eine ganze Reihe von Wagen abholen müssen. Er bekam den Besitzer genannt und holte dann das Fahrzeug ab. Das war ihm immer sehr furchtbar, denn das waren doch oft ehemalige Kunden von ihm. Für den englischen Kommandanten hier hat mein Vater gleich 1945 einen Wagen beschlagnahmen müssen, einen wunderschönen dunkelbraun-gelben Horch. Den bekam der englische Kreisresident Taylor hier in Gummersbach.“

Gummersbacher Straßenverkehrsamt bekam Amtshilfe von der Polizei

Auch der 1951 verfasste Verwaltungsbericht des Oberbergischen Kreises urteilt rückblickend: „Äußerst unangenehm waren die laufend von der Militärregierung angeordneten Beschlagnahmungen von Kraftfahrzeugen, insbesondere von Personenwagen.“ Werner Knabe, der nach seiner Heimkehr aus dem Krieg im Juni 1945 eine Anstellung im Straßenverkehrsamt des Kreises erhalten hatte, erinnert sich, „wie gleich in meiner ersten Zeit der Befehl von der Militärregierung kam: ,Wir brauchen zehn Mercedes!' Da wurden dann die Karteikarten durchgesehen: ,Ah, Werner Spielhoff in Mühlensessmar!' – Mein Vorgesetzter, Josef Reichelt, musste dann den Mercedes vom Spielhoff rausholen, unter Mitwirkung der Polizei. Das hat der Spielhoff dem Josef Reichelt nie verziehen.“

Und selbst wenn das private Auto nicht beschlagnahmt worden war, bedurfte es noch einer besonderen Fahrerlaubnis, die nicht so einfach zu bekommen war. So meldete die Rundschau im Oktober 1946 „eine erneute von der Militärregierung angeordnete 20-prozentige Kürzung von Kraftfahrzeugen.“ Hintergrund für diese Anordnung war nicht zuletzt der Mangel an Treibstoff: „Wir mussten, um des Zudrangs Herr zu werden“, erinnerte sich Werner Knabe, „die äußere Türklinke unserer Amtsstube abnehmen, damit wir – das war noch vor der Währungsreform – den Ansturm regeln konnten. Die Leute wollten ja fahren können, brauchten dafür Benzinscheine! Da wurde kräftig gefeilscht!“

Zwei Säcke Holz für die Fahrt von Gummersbach nach Köln

Wegen der enormen Knappheit an Benzin und Diesel mussten viele Lastwagen – wie schon zu Kriegszeiten – mit Holzvergaser fahren; d. h. sie hatten auf der Ladefläche eine Art Ofen, in dem wie in einem Köhlermeiler Holz schwelte. Das entstehende Gas wurde vom Motor angesaugt und trieb ihn an. Für eine Lkw-Fahrt von Gummersbach nach Köln brauchte man etwa zwei Säcke Holz.

Auch bei den Lkw: Nur Vorkriegsmodelle. „Bis 1939 waren wir nur mit Pferd und Wagen und mit einer alten Zugmaschine unterwegs“, schilderte Karl-Heinz Sattler die damalige Situation der elterlichen Spedition. „1939 bekamen wir dann unseren ersten Lkw, einen roten Magirus. Der wurde dann aber direkt mit Kriegsbeginn eingezogen, zusammen mit unserem Fahrer. Da standen wir dann wieder da: Ohne Wagen! Und Pferde waren auch keine mehr da! Nur noch die alte Zugmaschine; die war aber unglaublich robust und hat uns bis in die Nachkriegszeit treue Dienste geleistet.“

Das war also die allgemeine Situation: Altersschwache Fahrzeuge, kaum Treibstoff. Und die öffentlichen Verkehrsmittel waren ebenfalls noch in einem desolaten Zustand: Der Eisenbahnverkehr so überlastet und die Züge so vollgepfropft, dass die Leute in ihrer Not auf den Trittbrettern, auf den Dächern, selbst zwischen den Kupplungen mitfuhren.

Ähnlich war es mit der Gummersbacher Straßenbahn. Sie war oft so voll, dass sie z.B. nicht immer den Berg von Nöckelseßmar hoch schaffte. „Man möge doch dem Zugpersonal“, hieß es in der Zeitung, „den Dienst erleichtern und diese Teilstrecke ausschließlich Versehrten und alten Leuten vorbehalten.“

Zahl der Autos ging in Oberberg zunächst zurück

Unter diesen Umständen war ein Fahrrad Gold wert, war geradezu unentbehrlich für die notwendigen Hamsterfahrten über Land, insbesondere in den ländlicheren Süden des Kreises oder gar noch weiter weg. Auch als Transportmittel war es nützlich, wenn man einen Sack Kartoffeln oder Kohlen ergattert hatte. Im Winter bei Schnee musste es ein Schlitten tun.

Auch in den nächsten Jahren besserte sich die Situation nicht. Im Gegenteil: Alles, was Treibstoff brauchte, wurde einer strengen Überprüfung unterzogen, ob es gesamtwirtschaftlich nützlich und vertretbar sei. So sank die Zahl der im Oberbergischen Kreis zugelassenen Pkw von rund 750 im Dezember 1945 auf rund 650 am 31. März 1946 und noch einmal auf rund 500 ein Jahr später, um dann am 31. März 1948 einen weiteren Tiefstand von knapp 450 Pkw zu erreichen.

Nach der Währungsreform im Juni 1948 entfielen zwar die meisten Bewirtschaftungsbestimmungen, nicht aber für Benzin! Dennoch begannen die Zulassungszahlen stetig zu steigen.

Offensichtlich nicht nur im Oberbergischen, denn das Alliierte Kontrollamt verhängte für das erste Vierteljahr 1949 eine fast zehnprozentige Kürzung der Benzinzuteilung und drohte – in schönstem Amtsdeutsch – weitere Kürzungen an, „wenn die deutsche Verwaltung nicht die Beseitigung der Missstände im Gebrauch von Straßenverkehrsmitteln und für eine Behebung der Verschwendung von Benzin und Öl sorgen könne“.

Parkplatzmangel in Gummersbach

Dennoch hatte sich bis Ende des Jahres 1949 die Zahl der Pkw auf 978 mehr als verdoppelt. Schon wurde in Gummersbach der Ruf nach Parkplatz laut: „Wo sollen die Autofahrer bleiben, die einkaufen oder eine Tasse Kaffee trinken wollen?“, heißt es in einem Leserbrief im Frühjahr 1949. Der Auto-Boom ist nicht zu stoppen. In der zweiten Jahreshälfte geht es Schlag auf Schlag: Der Tüv tritt auf den Plan und prüft in sechs Monaten 2000 Fahrzeuge. Anzeigen der Kfz-Branche mehren sich in auffälliger Weise; typisch ist die halbseitige Sammelanzeige vom 6. August 1949 : „Wir starten! Der leistungsfähige Oberbergische Kraftfahrzeughandel ruft!“

Autokolonnen der verschiedensten Marken fahren werbend durchs Land: Im Juli 1950 z.B. die „Ford- Karawane“, kurz darauf der „Opel-Tross“, auch die heute nicht mehr existierende Marke „Gutbrod“ und natürlich Volkswagen – die erste Autofabrik, die nach dem Krieg wieder die Pkw-Produktion aufgenommen und im Oberbergischen mit dem Verkauf begonnen hatte. Marianne Schmidt-Wagner, die spätere Seniorchefin der ersten oberbergischen VW-Vertretung, erinnert sich: „Im Oktober 1948 bekam mein Vater [Egidius Wagner] die Vertretung. Die Textilbetriebe kamen ja sehr schnell wieder in Gang, und die waren die ersten, die sich einen VW kauften. Die ersten Modelle waren alle grau; das war die Normalfarbe. Später kam der Exportwagen, der war in Schwarz, hatte verchromte Stoßstangen und hinten ein größeres Fenster. Eine ganze Reihe dieser Wagen fuhr mit Chauffeur, z. B. Krawinkel/Vollmerhausen, Krawinkel/Bergneustadt, auch Hermann Baldus/Friedrichsthal.“

Schmidt-Wagner weiß noch: „Das erste Kabriolett, dunkelgrau und hellgrau abgesetzt, bekam der Arzt Dr. Schellhas; das war, glaube ich, 1951 oder '52. Auch Walter Wenzel, Diplom-Ingenieur bei Steinmüller und zuständig für Skandinavien, hatte ganz früh ein Kabriolett, ebenso Rolf Schnabel von E. W. Sondermann [große Spinnerei in Mühlenseßmar], ein grünes. “

Mitte 1954 hatte sich die Zahl der Pkw gegenüber 1948 auf 3889 vervierfacht. Fünf Jahre später noch einmal auf 8330 mehr als verdoppelt. Die Zahl der Motorräder war anfangs noch auffälliger angestiegen: ab 1948 fast kontinuierlich von knapp 1000 bis auf rund 9000 im Sommer 1952, danach ging ihre Zahl zurück. Die der Pkw hingegen stieg weiterhin schier unaufhörlich.

Ab etwa 1950 verbesserte sich auch zunehmend die Treibstoffversorgung. Zahlreiche Tankstellen entstanden: Bis 1957 stieg ihre Zahl im Oberbergischen Kreis auf 25, bis 1960 gar auf 70. Der Benzinpreis lag Anfang 1949 bei 1,31 DM; er fiel dann im Oktober auf 0,98 DM – das klingt nach wenig, war aber angesichts der damaligen Gehälter kein billiges Vergnügen, zumal die Motoren auch einen höheren Verbrauch hatten.


Tankstellenboom in Oberberg

Man muss heute fast lächeln, liest man die damaligen Hymnen bei jeder Eröffnung einer neuen Tankstelle. Zur „Großtankstelle“ avanciert da jede Einrichtung mit mehr als nur einer Zapfsäule: „Neue Esso-Großtankanlage“ (Schirp/Rebbelroth, 10.7.1951), „Zwei Großtankstellen in Waldbröl eröffnet“ (1.8.1951); „Neue moderne BP-Tankdienststelle“ (VW-Wagner in Niederseßmar, 12.10.1951). Über die „Großtankstelle mit Imbissstube“ in Niederseßmar heißt es: „Es stehen zwei Zapfsäulen zur Verfügung, und für die Wagenpflege ist ein geräumiger Waschplatz mit Hebebühne und geschlossenem Waschraum vorhanden. In Kürze soll auch eine moderne Auto-Shampoo-Waschanlage in Betrieb kommen. Was der neuen Tankstelle das besondere Gepräge und eine freundliche Note gibt, ist die Einrichtung einer Imbiss-Stube, wo die Kraftfahrer- Kundschaft die Wartezeit angenehm verbringen kann.“


Viele Tote auf Oberbergs Straßen

Die schlechten Straßenverhältnisse waren ein Grund für die auffällig zunehmende Zahl der Verkehrsunfälle. Weitere Ursachen waren sicher die fehlenden Fahrbahnmarkierungen und das Fehlen von Ampeln an Einbiegungen und Kreuzungen. Auch die damalige Technik der Autos hat sowohl zur Unfallhäufigkeit als auch zur Unfallschwere beigetragen.

Gar zu oft war aber auch Leichtsinn im Spiel: z. B. die verbreitete Methode vieler Fahrradfahrer, sich durch einen kurzen Spurt an die Seite eines Lkws zu setzen, dann ein beherzter Griff, und schon konnte man sich eine Weile mitziehen lassen (wobei zuweilen der Lkw-Fahrer durch gewagte Fahrmanöver den unwillkommenen Mitfahrer abzuschütteln suchte). Und dass übermäßig viele Kinder unter den Verkehrsopfern zu beklagen waren, hatte u. a. den Grund, dass viel mehr als heute die Straße auch Spielplatz war. Denn angesichts der Wohnungsnot herrschte zu Hause drangvolle Enge, zumal es in der kalten Jahreszeit eigentlich nur in der Küche warm war. Kurzum, auf den im Vergleich zu heute nahezu autoleeren Straßen scheinen, wenn man den Zeitungsmeldungen folgt, geradezu abenteuerliche Zustände geherrscht zu haben.

Zwei schwer beschädigte Autos stehen an einem Baum.

Schwere Unfälle gab es immer wieder: hier ein Totalschaden ausgerechnet am Autohaus Schirp in Gummersbach-Rebbelroth.

Bereits 1946 war deshalb zu einer „Verkehrserziehungswoche“ aufgerufen worden – im Regierungsbezirk Köln waren nämlich – ohne die Großstädte Köln und Bonn – allein von April bis September 566 Verkehrsunfälle registriert worden mit insgesamt 65 Toten und 434 Verletzten, davon 142 schwer. Immer wieder gab es Zeitungsartikel zum Thema „Verkehrsunfälle reißen nicht ab“. So titelte die Rundschau am 14. November 1951: „Oktober brachte neuen Verkehrsunfall-Rekord“. 770 Unfälle mit 19 Toten! Dabei war in den Vormonaten die Zahl der Getöteten sogar teilweise noch höher (wenn auch die Zahl der Unfälle etwas niedriger). Vergleicht man die Zahlen mit heute, so ist dies eine in etwa siebenfach höhere Zahl an Verkehrstoten, obwohl es heute einen mindestens 100 Mal größeren Pkw-Bestand gibt.

Die Unfallzahlen stiegen in ganz Deutschland schier unaufhaltsam bis zum traurigen Höhepunkt 1970, wo 21 332 Verkehrstote auf Deutschlands Straßen zu beklagen waren; seitdem sind sie kontinuierlich zurückgegangen (auf 2562 im Jahr 2021), obwohl im Vergleich zu damals die Bundesrepublik größer und die Zahl der Kraftfahrzeuge in geradezu unglaublicher Weise angewachsen ist.