Heiß geliebte KinderbahnSeit 36 Jahren fährt Jürgen Kalina den Neye-Express
Wipperfürth – Kupplung, erster Gang und Vollgas. Kurz heult der Motor auf, dann knattert die Lokomotive gemütlich über die Nikolausstraße. Der Neye-Express fährt. Und fährt und fährt. Mit Beginn der warmen Jahreszeit ist das Wipperfürther Kult-Vehikel von Jürgen Kalina gerade in seine 36. Saison gestartet.
Im April 1981 herrscht ein regelrechter Menschenauflauf auf der Neye. Sämtliche Nachbarn verfolgen die Jungfernfahrt. Vor allem die Kinder schließen die ruckelnde „Emma“ nebst den Anhängern schnell ins Herz. „Das Fest unseres Siedlervereins stand vor der Tür – und wir wollten dem Nachwuchs was besonderes bieten“, erinnert sich Kalina.
18 Monate zuvor hört der gelernte Automechaniker von einer Lok in Marienheide, zusammengebastelt aus dem Motor eines Rollers und einem Lloyd-Getriebe. Er fährt in die Nachbargemeinde – und findet einen Haufen Schrott vor. Der Eigentümer hat den einst stolzen Minizug zuvor an auf der Hei stationierte US-Soldaten verliehen. Die treiben es in den Waggons so wild, dass sie den kompletten Zug auf die Seite legten. Zwar zahlt die Army eine Entschädigung – die Motivation zur Reparatur fehlte den Marienheidern allerdings.
Kalina und seine Mitstreiter bringen die Reste von Triebwagen und Anhänger in die Hansestadt. Anderthalb Jahre lang tüftelt die Nachbarschaft an dem Zug, der bald die ersten Fahrgäste durch die Stadt chauffiert. Trotzdem hakt das Altertümchen an allen Ecken. „Wir sind bis nach Hamburg gefahren, um Ersatzteile zu bekommen“, sagt Kalina. Aber ohne neue Schrauben und Lager ist der Express zum Stillstand verdonnert.
1992 sattelt Jürgen Kalina um. „Emma“ wird seither von einem Traktor aus den Weinbergen der Pfalz angetrieben. 30 Pferdestärken, Baujahr 1965. Auf der Motorhaube befestigen Kalina und Nachbar Hans-Werner Müller ein altes Ölfass, das den imposanten Dampfkessel der Lok darstellt. Manometer werden eingebaut, die Anhänger erhalten neue Plüschsitze und Gardinen, Malermeister Wolfgang Hörter verpasst „Emma“ den rot-schwarzen Anstrich.
Im August 1993 steuert Jürgen Kalina die neue Lok zum ersten Mal durch seine Heimatsiedlung. Trotz seiner Größe von fast zwei Metern sitzt Kalina im Cockpit äußerst bequem. An heißen Tagen sorgt ein Ventilator für Abkühlung. Das Gespann wird inzwischen mit Druckluft gebremst. Gleich neben den Pressluftflaschen lagern die Süßigkeiten, die Kalina bis heute an jeden seiner kleinen Fahrgäste verteilt.
Süßigkeiten
für die Fahrgäste
Kinder sind ihm überhaupt die liebsten Fahrgäste. Junggesellenabschiede hat er ein paar Mal transportiert und dabei Angst um sein Gespann bekommen. Das Schicksal der alten Marienheider Lokomotive will Kalina seiner „Emma“ ersparen.
Als seine Tochter Susanne vor Jahren heiratet, hat sie einen Wunsch: Papa soll das Paar mit dem Neye-Express vor der Kirche abholen.
„Wir haben versucht, ihr das auszureden“, blicken Jürgen Kalina und seine Frau Brunhilde zurück. Im weißen Kleid in eine Dampflok – das passe doch nicht. Heimlich brachte Kalina seinen Zug am Vorabend der Hochzeit dann doch nach Egen und versteckte ihn im dortigen Feuerwehrhaus, gleich vor dem Einsatzfahrzeug.
Am nächsten Mittag, der Pfarrer hatte gerade die Frage aller Fragen gestellt, dröhnte plötzlich die Feuerwehrsirene über die Dächer von Egen. Ein Probealarm, doch Kalina glaubt an einen Einsatz. „Ich bin fast durchgedreht. Die Lok stand doch vor dem Feuerwehrwagen, die hätten nicht ausrücken können. Aber ich konnte als Brautvater doch nicht aus der Kirche stürmen“, lacht der 71-Jährige heute.
Kürzlich hat Kalina das Gespann generalüberholt. Eine frische Batterie und ein paar Filter waren nötig. Der erste Auftrag wartet bereits: Für einen Radevormwalder Kindergeburtstag soll er die Gäste einsammeln. „Das Leuchten in den Augen der Kleinen ist immer wieder motivierend“, verrät Kalina. In seinem Gartenhaus hat er hunderte Bilder aufgehängt, die ihm seine Fahrgäste gemalt haben.
In Wipperfürth wird er spätestens am ersten Juli-Wochenende wieder unterwegs sein. Für das große Stadtjubiläum ist der Neye-Express fest gebucht. Weil Jürgen Kalina und seine „Emma“ einfach zur Hansestadt dazugehören.
www.neye-express.de