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Interview mit Arbeitsagentur-Chef„Wir schaffen den nächsten technologischen Schritt“

Lesezeit 6 Minuten

Mit der Zeit gehen müsse auch die Agentur für Arbeit, meint der Vorsitzender der Geschäftsführung Marcus Weichert.

  1. Marcus Weichert die Arbeitsagentur Bergisch Gladbach mit rund 360 Beschäftigten und ist auch für Oberberg und Leverkusen zuständig.
  2. Im Interview plädiert er angesichts der notwendigen Digitalisierung dafür, Menschen für die Tätigkeiten von morgen zu qualifizieren.
  3. „Und zwar eben nicht nur den Nachwuchs, sondern auch die Menschen im Alter zwischen 50 und 55 Jahren.”
  4. Außerdem müsse die Politik das gesamte System der staatlichen Transferleistungen auf den Prüfstand stellen.

Gummersbach – In unserer Reihe „Über Wirtschaft reden“ spricht Frank Klemmer mit Marcus Weichert, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Bergisch Gladbach, über die Zukunft der Arbeitssuche.

Als Chef der Agentur für Arbeit sind Sie nicht nur für Oberberg, sondern auch für den Rheinisch-Bergischen Kreis und Leverkusen zuständig. Mal ehrlich: Wie oft sind Sie in Gummersbach?

Mindestens einmal die Woche bin ich in Gummersbach, mindestens zweimal im Oberbergischen unterwegs. (schmunzelt) Ich muss meine Liebe gleichmäßig verteilen. Aber im Ernst: Wir sind die einzige Agentur im Land, deren Geschäftsbereich drei verschiedene Gebietskörperschaften – den Oberbergischen Kreis, den Rheinisch-Bergischen sowie die Stadt Leverkusen – umfasst. Das ist schon eine Herausforderung.

Macht ein so großes Arbeitsgebiet denn wirklich Sinn? Die aktuelle Wirtschaftslage zeigt doch, wie unterschiedlich die Situation in diesen drei Gebieten sein kann.

Ich muss zugeben: Mit gut 900 Quadratkilometern ist alleine Oberberg so groß wie meine erste Heimat Berlin - unser Gesamt-Einzugsgebiet beträgt sogar gut 1400 Quadratkilometer. Andererseits leben hier aber auch gerade einmal so viele Menschen wie in Berlin in einem Bezirk. Natürlich macht es eigentlich Sinn, sich beim Zuschnitt an einer Gebietskörperschaften auszurichten. Und natürlich gibt es Unterschiede gerade mit Blick auf den Wirtschaftsstandort. Dennoch glaube ich, dass wir unseren Job gut machen und den regionalen Belangen in unseren Bereichen gerecht werden.

Nehmen wir das Oberbergische: Alles deutet darauf hin, dass die aktuelle Krise hier schneller ankommt, als in anderen Regionen. Wie ernst sehen Sie die Lage – gerade mit Blick auf den Arbeitsmarkt?

Zunächst einmal muss man ganz nüchtern feststellen, dass nach den langen Jahren des Wachstums jetzt am Markt auch ein gewisser Grad an Sättigung eingetreten ist. Ich persönlich glaube sogar, dass die Rezession schon längst da wäre, wenn nach 2015 nicht so viele Flüchtlinge ins Land gekommen wären: Das war ein spontanes Bevölkerungswachstum, das auch zu einer größeren Nachfrage geführt hat – nicht nur nach Wohnraum. Das hat vieles kaschiert.

Und jetzt geht es dann doch bergab?

Ich glaube nicht, dass das von Dauer ist. Wir sind eine Exportnation, und ich bin überzeugt, dass wir auch den nächsten technologischen Sprung schaffen werden. Das haben wir auch in der Vergangenheit erlebt: Jobs, die es einfach nicht mehr gibt, weil die technische Entwicklung sie überflüssig gemacht hat. Egal, ob Sie den Heizer auf der Lok nehmen oder zum Beispiel die unzähligen Videotheken, die es früher gab und die heute fast alle von Streaming-Diensten im Internet wie Netflix oder Amazon Prime abgelöst worden sind. Und trotzdem entstehen gleichzeitig neue Jobs und am Ende hat es immer mehr Beschäftigung gegeben.

Was macht Sie so optimistisch, dass das auch jetzt wieder funktionieren wird?

Natürlich wird es Menschen geben, die den Anschluss verlieren. Wir können keine Jobs retten, die es in Zukunft nicht mehr geben wird, aber wir können einen Mehrwert schaffen. Und der ist dann wieder mit mehr Beschäftigung verbunden. Nehmen wir Bereiche wie die Robotik: Da kehren inzwischen Unternehmen nach Deutschland zurück, weil sie hier günstiger produzieren können als in China.

Apropos billiger: Können die Menschen von diesen neuen Jobs dann auch leben?

Stimmt, diese Frage gehört dazu. Wir sehen heute, dass die Hartz-IV-Reformen ein gigantisches Umverteilungsprojekt waren: Es hat mehr Menschen in Beschäftigung gebracht, aber zum Teil für deutlich weniger Geld. Dazu gehören aber auch andere Fragen der Entlohnung. Zum Beispiel: Möchte ich in einer Gesellschaft leben, in der die Pflege von Vermögen besser bezahlt wird als die Pflege älterer Menschen? Und letztlich hatte Hartz IV auch ein unangenehmes Nebenprodukt: Es wurden Innovationen abgewürgt.

Wieso das?

Weil die Arbeit dadurch zum Teil so viel billiger geworden ist, dass der Einsatz von Menschen günstiger war als die Weiterentwicklung von Maschinen.

Damit sind wir bei einem anderen Stichwort: Digitalisierung. Wie groß ist der Rückstand für Deutschland und was heißt das wiederum für den Arbeitsmarkt?

Der Rückstand ist da. Die Golf-Staaten oder Länder in Südostasien wie Singapur oder Südkorea sind da viel weiter. In Deutschland sind wir nach wie vor immer noch damit beschäftigt, die analoge Welt zu optimieren, dabei müssten wir jetzt völlig neu denken. Das ist eine Revolution. Und sie fällt uns und unserer Wirtschaft auch deshalb so schwer, weil wir so weit entwickelt sind. Wir sind Experten der analogen Welt. Auch deshalb haben es andere Länder einfacher, uns da voraus zu sein: Sie entwickeln sich direkt digital. Dennoch bleibt uns nichts anderes übrig: Wir müssen uns dieser Herausforderung des Umbaus stellen. Aber es ist eben auch eine Chance, gerade angesichts der aktuellen Klimadebatte.

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Wie kommen Sie von der Digitalisierung zum Klima?

Weil sich manche Fragen einfach ganz anders stellen werden. Zum Beispiel beim Thema Flächennutzungsplan: Da geht es dann eben nicht mehr allein darum, wo die Fabrik hinkommt, die knallt und stinkt, weil es die vielleicht so gar nicht mehr gibt. Dafür geht es dann um Platz für Branchen, die nicht mal mehr ein klassisches Gewerbegebiet brauchen, weil sie viel stärker als heute mit Home Office verknüpft sind.

Was ist Ihre Aufgabe in diesem Spiel? Wie kann die Agentur dafür sorgen, dass die Menschen bei diesem Sprung nach vorne nicht verloren gehen?

Wir müssen sie fit machen und qualifizieren für die Tätigkeiten von morgen. Und zwar eben nicht nur den Nachwuchs, sondern auch die Menschen im Alter zwischen 50 und 55 Jahren. Und wir müssen Hilfe zur Selbsthilfe besser organisieren. Wenn es mehr Beschäftigung gibt, die aber nicht zwingend genauso gut bezahlt wird wie bisher, dann heißt das auch weniger Rente am Ende eines Arbeitslebens. Das heißt, das jeder Einzelne stärker in der Selbstverantwortung ist, für das Alter vorzusorgen. Dazu gehört letztlich auch das gesamte System der staatlichen Transferleistungen auf den Prüfstand. Das ist dann aber nicht nur eine Aufgabe der Arbeitsagenturen, sondern vor allem für die Politik.

Das Gespräch führte Frank Klemmer

Zur Person

Marcus Weichert ist 44 Jahre alt und kommt aus Berlin. Nach dem Abitur machte er zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Danach wechselte er ins Versicherungswesen, später zu einer Unternehmensberatung. 2005 zog es ihn nach Erlangen zu einem Start-up im Bereich der Biotechnologie. Mit dem Verkauf des Unternehmens begann er in der Branche von Private Equity zu arbeiten. Dass ist der englische Begriff für Beteiligungskapital. Private Equity-Gesellschaften investieren in Unternehmen und profitieren vom Gewinn. Bis 2013 hat Weichert überwiegend in Asien und in den Golfstaaten gearbeitet. 2014 wechselte er in die Zentrale der Agentur für Arbeit nach Nürnberg. Im April 2015 übernahm er die Leitung der Arbeitsagentur Hagen übernommen, seit April 2018 leitet er die Arbeitsagentur Bergisch Gladbach mit rund 360 Beschäftigten. (kmm)