Interview mit Vfl-Mannschaftsarzt„Kopftreffer werden oft unterschätzt“
Gummersbach – Nach einem Schlag ins Gesicht muss VfL-Handballer Alexander Hermann nicht nur an der Nase operiert werden, sondern fällt nach der Kopfverletzung lange aus. Torhüter Max Mohs vom HC Elbflorenz muss nach mehreren Kopftreffern mit einem Schädelhirntrauma sowie Gesichtsprellungen zum zweiten Mal länger pausieren. Das sind nur zwei Fälle aus der laufenden Saison in der Zweiten Handball-Bundesliga. Wie geht man als Mannschaftsarzt mit solchen Kopftreffern um?
Jochen Viebahn: Bei Alex Hermann war es ja nicht nur der Schlag an den Kopf, es kamen noch multiple Frakturen hinzu, die von einem HNO-Spezialisten operiert wurde. In regelmäßigen Abständen wird bei ihm nun nicht nur kontrolliert, ob die Brüche verheilt sind, sondern auch auf seine neurologischen Fähigkeiten geschaut. Da die Fälle zunehmen, gibt es für uns Ärzte Anweisungen, wie wir uns vor Ort verhalten sollen.
Was fällt darunter?
Das sind eigentlich die gleichen Aufgaben, die ein Notarzt bei einem Patienten absolviert. Dazu gehört neben einer neurologischen Untersuchung, beispielsweise wie die Pupillen auf Licht reagieren, auch eine Überprüfung der kognitiven Fähigkeiten. Hierzu zählen unter anderem das Abfragen nach der Tageszeit, kleine Rechenaufgaben und ein Gedächtnistest.
Welche Symptome gibt es bei Sportlern nach einem schweren Kopftreffer?
Alexander Hermann ist nicht der erste VfL-Handballer, der nach einem Kopftreffer ausfällt. Drago Vukovic war eine Woche im Krankenhaus. Er wusste gar nicht mehr, wo er war. Fredrik Larsson saß in Dormagen auf der Bank und fragte den Trainer, wo er sei. So ging es auch Adrian Wagner. Das Gehirn hat einen Schutzmechanismus, braucht aber auch seine Zeit, um sich zu erholen. Nach einem Kopftreffer kann sich die Schwellung im Hirn nicht nach außen ausdehnen, deshalb müssen die Patienten ganz eng überwacht werden. Im Sport wird oft unterschätzt, dass ein Spieler nach einem Kopftreffer zwar bei Bewusstsein sein kann, aber trotzdem schwer verletzt ist.
Welche Test stehen später an, um zu kontrollieren, wie sich das Gehirn erholt hat?
Mit einem sogenannten Scat-Test werden beispielsweise über leichte Rechenaufgaben die kognitiven Fähigkeiten des Sportlers überprüft. Am besten wäre es, die Sportler vor der Saison alle einem solchen Test zu unterziehen, um dann im Ernstfall zu wissen, welche Auswirkungen das Schädel-Hirn-Trauma hat. Im Eishockey und im Fußball gibt es solche Vorgaben bereits, beim Deutschen Handball-Bund (DHB) aber nicht.
Welche Auswirkungen können solche Kopftreffer haben?
Sehr weitreichende wie beispielsweise der Fall der Handball-Torhüterin Pauline Radke zeigt, die nach zwei Wochen zwar die eigentliche Gehirnerschütterung überstanden hatte, anschließend aber lange an dem postkommotionellen Syndrom litt. Sie war psychisch sehr labil und konnte ihren Alltag kaum noch bewältigen. Nur ganz langsam trat eine Besserung ein.
Gibt es im Sport mittlerweile mehr Bewusstsein für die Folgen solcher Kopftreffer? Häufig wird der Sportler ja als besonders hart gefeiert, wenn er anschließend wieder auf dem Feld oder dem Platz steht.
Insgesamt ist das Thema viele Jahre sehr stiefmütterlich behandelt worden und es gibt noch nicht lange ein Bewusstsein für diese Art der Verletzung und ihre Folgeschäden. Dabei gibt es in Deutschland pro Jahr rund 44 000 Gehirnerschütterungen im Sport, und ich glaube, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist. Die überwiegende Zahl findet sich im Amateursport. Man weiß auch nicht, warum sich das Gehirn bei einem erholt und bei dem anderen nicht. Es ist nicht gesagt, dass es immer ein schwerer Kopftreffer sein muss, der zu Ausfällen führt, es können auch viele kleine sein.
Haben Sie eine Erklärung, warum vor allem im Profisport die schweren Kopfverletzungen zunehmen?
Das liegt vor allem an der immer besser ausgebildeten Athletik. Davon betroffen sind im Handball vor allem die Torhüter, die den Ball mit einer immer höheren Geschwindigkeit aus sieben oder acht Meter Entfernung auf den Körper aber eben auch auf den Kopf bekommen. Das ist für den Torwart brutal.
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Zurück zu VfL-Handballer Alexander Hermann, der sich Ende Februar im Spiel gegen den TuS Fürstenfeldbruck mehrere Fraktionen des Nasenbeins, eine leichte Fraktur des Stirnbein und eine schwere Gehirnerschütterung zugezogen hat. Wird der Rückraumspieler in dieser Saison noch in den Aufstiegskampf eingreifen können?
Das wird sich zeigen. Er hat bereits mit dem Training ohne Körperkontakt begonnen, kann Fahrradfahren, Laufen und auch Werfen. Erst müssen die Knochen verheilt sein. Anschließend wird wieder der Neurologe hinzugezogen, um seine kognitiven Fähigkeiten zu überprüfen. Eine Verletzung, wie die von Alex Hermann, braucht Zeit.