Freiwillige aus Oberberg haben in Sachsen-Anhalt eine historische Halle gerettet, die künftig in Lindlar stehen soll.
Zollinger-BauWarum diese Oberberger eine Halle in Sachsen-Anhalt abbauen
Mehr als 1000 Holzlatten haben die Freiwilligen aus Oberberg in den vergangenen Wochen in Sachsen-Anhalt einzeln abgebaut. Stück für Stück trugen sie die 17 mal 35 Meter große Halle binnen drei Wochen ab. Am Donnerstag ist der letzte Arbeitstag für die Helfer, bevor sie sich auf die rund 450 Kilometer lange Heimreise von Oschersleben zurück ins Oberbergische machen.
28 Helfer, vor allem aus Lindlar, waren daran beteiligt, ein Stück deutscher Baugeschichte für das Freilichtmuseum des Landschaftsverbands zu retten. Die Halle, die mutmaßlich im Jahr 1931 von den Süßwarenfabrikanten Schmidt und Söhne errichtet wurde, sollte abgerissen werden.
Der Bau steht auf dem Firmengelände der Bodeta Süßwarenfabrik und deren Eigentümer hatten versucht, einen Abnehmer für die bemerkenswerte Konstruktion zu finden. Durch Zufall erfuhr der Lindlarer Museumschef Michael Kamp von den Abrissplänen und holte sich Hilfe beim Förderverein des Museums. Der Verein unterstützt das Museum auch tatkräftig.
Die Lindlarer griffen gerne zu, denn die Halle ist eine Rarität und die Konstruktionsweise hat eine enge Verbindung ins Rheinland: Das passte ins Konzept des Museums. Bewahrenswert ist die Halle, weil sie eine Zollinger-Konstruktion ist.
Architekt Friedrich Zollinger meldete die Konstruktion zum Patent an
Der Architekt Friedrich Zollinger hatte das Bauprinzip 1921 zum Patent angemeldet. Mit einfachen Holzlatten und einem ausgeklügelten System konnten freitragende Dachkonstruktionen schnell verwirklicht werden. „Mit bis zu 30 Prozent Materialersparnis“, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Christa Joist vom Förderverein.
Das passte gut in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, wo Geld und Stahl knapp waren. „In Köln wurden die ersten Messehallen nach dem Prinzip errichtet“, berichtet Joist. Das Lindlarer Museum forscht schon seit vielen Jahren in Sachen nachhaltigen Bauweisen und speziell der seriellen Holzkonstruktionen.
Forsthaus Broichen steht bereits im Museum
Das Forsthaus Broichen steht schon im Museum und ist ein Beispiel für die ultraschnelle Fertigbauweise anno dazumal. Dass der aufwendige Abbau so schnell in Angriff genommen werden konnte, ist dem Förderverein des Museums zu verdanken.
Geschäftsführer Werner Hütt hatte die Mitglieder aktiviert. „Die Resonanz war überwältigend“, sagt Hütt, der selbst mit vor Ort war. Der Verein plante den Arbeitseinsatz generalstabsmäßig durch, inklusive Unterbringung, Verpflegung und Arbeitsschutz.
Hilfe von Architektin aus Wuppertal
Professionelle Unterstützung kam von Architektin Silvia Hähle aus Wuppertal. Hähle hat bereits Erfahrung mit dieser Bauweise und begleitete das Abtragen über drei Wochen vor Ort. Neben der Dachkonstruktion sollen auch zwei Wände nach Lindlar gebracht werden, die noch im Originalzustand sind.
Christa Joist half ebenfalls auf der Baustelle, forschte aber auch nach lokalen Dokumenten zu der Halle und hofft noch, mit Hilfe der dortigen Regionalzeitung alte Fotos oder Dokumente zu finden, um weitere Informationen über die wechselvolle Geschichte der Halle in Erfahrung zu bringen. „Anfangs war sie eine Reithalle“, berichtet Joist.
Die hätte die Familie der Süßwarenfabrikanten für die Reitsportbegeisterten der Region gebaut. In der Nachkriegszeit verstaatlichte die DDR das Objekt und gab es der paramilitärischen „Gesellschaft für Sport und Technik“, bevor es dem einen oder anderen volkseigenen Betrieb als Lager diente, schließlich gelangte es wieder in den Besitz der Süßwarenhersteller.
Kommende Woche sollen die sorgsam verstauten Holzlatten, Bolzen und Wandteile per Spedition von Oschersleben nach Lindlar gebracht werden. In Lindlar werden die Einzelteile zunächst auf dem Bauhof des Freilichtmuseums eingelagert. Einzelteile werden restauriert, fehlende Teile ersetzt.
In Lindlar soll die Halle Platz für Sonderausstellungen schaffen
Für den Wiederaufbau hat der Förderverein bereits einen Plan. Die rund 600 Quadratmeter große Halle soll künftig Platz für Sonderausstellungen schaffen. Standort wird eine der Wiesen am Nordtor des Museums, berichtet Werner Hütt, Geschäftsführer des Fördervereins.
Dazu müssten allerdings erst noch die planungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Die Finanzierung des Wiederaufbaus der Halle ist jedenfalls durch Spendenzusagen bereits gesichert, berichtet der Förderverein.
Statik nur mit dem Computer zu berechnen
Die Zollingerhalle hat ihren Namen nach der patentierten Bauweise ihrer Dachkonstruktion. Der Merseburger Architekt und Bauingenieur Friedrich Zollinger (1880-1945) erfand die Methode, mit der sich aus vielen kleinen Holz-Lamellen und Bolzen tragfähige Dachstühle bauen lassen. 1921 patentiert, spart die Methode zwischen 30 und 40 Prozent Baumaterial.
Bruchprobe: Kulturwissenschaftlerin Christa Joist vom Förderverein des Freilichtmuseums ist bei ihren Nachforschungen auf den interessanten Fakt gestoßen, dass sich die Statik einer Zollinger-Konstruktion erst in heutiger Zeit mithilfe von Computern verlässlich berechnen lässt. „1921 musste Zollinger das empirisch nachweisen“, berichtet Joist. Das heißt: Ein Dach wurde aufgebaut und so lange mit Sandsäcken beschwert, bis die Konstruktion nachgab. (lb)