„Vorglühen“Ex-Morsbacher schreibt gemeinsam mit Jan Müller von Tocotronic einen Roman
Der Klappentext lässt aufhorchen: „Gerade aus der oberbergischen Provinz nach Hamburg gezogen, findet sich Albert Bremer mitten im Irrsinn einer Nacht auf St. Pauli wieder“, heißt es über das Buch „Vorglühen“. Und weiter: „Er trinkt Großmutters Aprikosengeist und Unmengen von Bier, trifft die tollste Frau und die skurrilsten Typen, die er je gesehen hat. Und im Laufe weniger Stunden findet er Freunde, ein WG-Zimmer und eine Band.“
Die Autoren sind Jan Müller und Rasmus Engler. Müller (Jahrgang 1973) ist Bassist der Hamburger Band Tocotronic, Engler (Jahrgang 1979) ist Musiker in verschiedenen Bands (Herrenmagazin, Ludger, Gary), zusammen spielen Müller und Engler in Bands wie Das Bierbeben und Dirty Dishes. Engler lebt seit 1998 in Hamburg, aufgewachsen ist er aber in Morsbach-Katzenbach.
Rockadel in Fransenlederjacken
Der Roman spielt 1994 in Hamburg – an dem Ort und zu der Zeit also, als Tocotronic und andere Hamburger Bands kurz vor dem großen Durchbruch stehen. Ein Schlüsselroman, betont Engler, ist das Buch aber nicht. „Prominente Figuren aus der Zeit um 1994 tauchen nicht auf, weder verschlüsselt noch unverschlüsselt.“ Das oberbergische „Wehl“ hingegen ist schnell als „Wiehl“ identifiziert – die Stadt kommt in dem Coming-of-Age-Roman als Gegenpol zum hippen Hamburg mit seinen coolen Kiez-Kaschemmen eher schlecht weg.
Stattdessen ist von oberbergischer Tristesse die Rede, gar von der Lebensfeindlichkeit Wehls, von den „Fransenlederjacken des Wehler Rockadels“. Wehl wird „in der kulturellen Wüste des oberbergischen Landes“ verortet, und über die Stadt heißt es, sie „bot nichts, was junge Leute interessierte“. Warum denn ausgerechnet auf Wiehl rumhacken?
Damenjackett statt Iro
„Uns ging es gar nicht um eine Parallele zu Wiehl, sondern um einen Namen“, erklärt Engler. „Das Dorf, aus dem Albert Bremer kommt, sollte ursprünglich Wümbrecht heißen. In Nümbrecht wohnen Verwandte von Jan. Das war uns dann aber zu klamaukig. Der Ort Wehl an sich ist natürlich ausgedacht – oder, wie man so schön sagt, ein Amalgam aus verschiedensten oberbergischen Käffern.“
Was der junge Morsbacher in Katzenbach für Musik gehört hat? „Als Jugendlicher war ich selbstverständlich, wie es sich für Gymnasiasten-Dorfpunker gehört, sehr großer Tocotronic-Fan“, außerdem war er von diversen Punkbands angetan, „ich habe zum Beispiel die ganze Jens-Rachuth-Schule gehört.“
Punk war sehr spießig
Wobei der junge Rasmus Engler wohl anders aussah, als man sich einen 90er-Jahre-Dorfpunk vorstellen würde. Irokesenschnitt, Lederjacke? Fehlanzeige. „Wir haben das anders gehandhabt“, erklärt Engler, „ich hatte lange blonde Haare, ’ne Nickelbrille und ein Damenjackett, wenn ich auf Punkkonzerte gegangen bin. Die anderen hatten Nadelstreifenanzüge an.“ Damit habe man die Punks auf Konzerten ähnlich verärgert wie die Leute auf dem Dorf – „wobei die Leute auf dem Dorf eigentlich immer toleranter waren als die Punks. Unsere Intention war, die Punks zu ärgern, weil wir schnell festgestellt haben, dass Punk damals sehr spießig war.“
Buch und Lesung
Rasmus Engler, Jan Müller: Vorglühen, Ullstein Verlag, 379 Seiten, 21,99 Euro .
Eine Lesung mit den Autoren findet am Freitag, 16. Dezember, in der Kulturkirche in Köln-Nippes statt.
Allein auf weiter Flur war Engler mit seiner Punk-Attitüde freilich nicht. „In Korseifen und in Ortseifen gab es auch noch welche, das waren Freunde von mir, und wir hatten auch recht früh ’ne Band.“ Die hieß „Kurt Später“ und existierte etwa zeitgleich mit der Morsbacher Punkband „Die Philosophen“.
Zurück nach Wiehl: Zur Ehrenrettung der Stadt muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass dort um 1995 immer wieder hochinteressante Bands aufgetreten sind: „Alle im Schrank“ aus Bonn zum Beispiel, oder die oberbergischen Lokalmatadore „Tagestrip“ mit Aydo Abay als Sänger, der später mit Bands wie Blackmail oder Ken recht bekannt wurde und den Rasmus Engler tatsächlich aus Waldbröl vom Schulhof kannte.
Das könnte Sie auch interessieren:
Am Ende des Romans äußert sich Hauptfigur Albert übrigens doch noch versöhnlich über das Oberbergische: „In manchen Momenten fand er seine Arroganz selbst beschämend“, heißt es einmal. Und dann weckt „die oberbergische Tonlage“ der Stimme seiner Mutter am Telefon „eine Vertrautheit, die er nicht erwartet hatte“ – na bitte.