Nach 44 JahrenDietmar Groß verabschiedet sich von Behinderten-Werkstätten Oberberg
Dietmar Groß arbeitete mehr als vier Jahrzehnte bei den Behinderten-Werkstätten Oberberg. Frank Klemmer sprach mit ihm darüber, wie sich der Umgang mit und die Arbeit von Menschen mit Behinderung verändert hat.
Wie sind Sie damals zu den Werkstätten gekommen?
Ich hatte gerade den Kriegsdienst verweigert. Das war damals 1973 gar nicht so einfach, da eine sogenannte „Gewissensprüfung“ beim Kreiswehrersatzamt zu absolvieren war. Nach der Einberufung wurde ich von der Stadt Wiehl im Wildpark an der Tropfsteinhöhle eingeteilt. Nach geraumer Zeit dachte ich mir: Um Wildschweine zu füttern, hast Du nicht verweigert. Ein Schulfreund war damals der erste Zivi überhaupt bei den BWO. Er hat mir samstags beim Dorffest in Morkepütz davon erzählt, dass in der Werkstatt dringend Zivildienstleistende gesucht werden. Montags habe ich mich beworben, 14 Tage später habe ich dann in der Werkstatt angefangen.
Wie sind die BWO das geworden, was sie heute sind?
Die Idee ging zurück auf die Initiative von Eltern, die in den 1960er Jahren, als es noch keine Schulpflicht für Kinder mit Behinderung gab, erst einmal dafür gesorgt haben, dass ihre Kinder etwas lernen konnten. Sie gründeten den „Verein zur Förderung und Betreuung behinderter Kinder Oberbergischer Kreis“, und so entstand zuerst unter Trägerschaft des Vereins eine Tagesförderstätte in Derschlag. Als die Schulpflicht für behinderte Kinder dann Ende der 1960er Jahre kam, hat der Oberbergische Kreis als Schulträger die Helen-Keller- Schule in Oberbantenberg gegründet und die schulische Förderung übernommen. Und dann, als die Kinder erwachsen wurden, hat sich der Verein 1972 darum gekümmert, dass sie auch eine Beschäftigung finden, und gründete die BWO Behinderten-Werkstätten Oberberg GmbH. Später kam dann auch die Frage des Wohnens hinzu – und damit die „Haus für Menschen mit Behinderung Wiehl GmbH“ mit heute sieben Häusern in Oberbantenberg, Wiehl, Bielstein, Nümbrecht und Waldbröl.
Was war damals anders?
Man wusste gar nicht, wie viele Menschen mit Behinderung es gibt. Es gab ja keine Meldepflicht. Außerdem waren der Krieg und das Euthanasie-Programm der Nazis noch nicht so lange her. Da hatten die Eltern immer noch Angst, ihre Kinder einfach so in eine öffentliche Einrichtung zu schicken. Die meisten behinderten Menschen haben keine schulische Förderung erhalten. Heute denken die Eltern ganz anders und nehmen schon sehr früh Hilfsangebote und Frühförderung in Anspruch – wie wir sie auch mit dem Haus früher Hilfen in Oberbantenberg anbieten.
Wie hat sich die BWO selbst verändert?
Begonnen hat alles in der alten Schule in Wiehl-Faulmert, wo ich selbst, der ich drei Kilometer entfernt in Gassenhagen aufgewachsen bin, in den ersten Jahren noch zur Volksschule gegangen bin. 1975 kam der erste Erweiterungsbau in Faulmert hinzu, 1985 der Standort in Morsbach-Lichtenberg, der seitdem zwei Mal erweitert wurde. Und 2006 dann der in Wiehl-Bomig, wo wir seit ein paar Jahren etwa 20 000 Quadratmeter Fläche haben und seit Januar auch die Verwaltung der BWO. Vor 44 Jahren, als ich anfing, waren es 35 Mitarbeiter, heute sind bei uns 250 hauptamtliche Fachkräfte beschäftigt und 760 Menschen mit Behinderung, die von 132 Buslinien aus dem gesamten Oberbergischen zur Arbeit gebracht werden. Früher war es eine kleine beschützende Werkstatt, heute ist es ein großer komplexer Betrieb. Wir haben einen Umsatz von vier Millionen Euro im Jahr. Unterstützt werden wir durch Pflegesätze verschiedener Kostenträger, wie zum Beispiel dem Landschaftsverband Rheinland.
Damit ist die Arbeit von Menschen mit Behinderung auch ein Wirtschaftsfaktor. Haben Sie nie das Gefühl gehabt, dass das auch ausgebeutet werden kann?
Dieses Gefühl hatte ich nie. Es ging uns vielmehr von Anfang an darum, dass unsere Mitarbeiter nicht einfach nur Papierkörbe oder Vogelhäuschen basteln. Stattdessen wollten wir immer ein Partner für die Industrie sein. Wir arbeiten inzwischen mit allen größeren Firmen im Oberbergischen zusammen, insgesamt mit mehr als 100 Unternehmen. Da geht es dann zum Beispiel um Tätigkeiten wie Kabelkonfektionierung, Schalterbau oder Lötarbeiten an Platinen. Auch im Dienstleistungssektor haben wir wichtige Aufgaben, wie zum Beispiel seit 38 Jahren die Pflege des Kurparks in Nümbrecht. Es ist für das Selbstvertrauen eines Menschen wichtig, zu sehen, welchen Wert die eigene Arbeit hat.
Letztlich machen Sie also seit Jahrzehnten nichts anderes als das, was heute Inklusion heißt.
Ja, es war immer schon unser Bestreben, unsere Mitarbeiter fit für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu machen. Schon vor 28 Jahren haben wir jemanden an die Sparkasse vermittelt, der dort Botengänge übernommen und Kontoauszüge sortiert hat – da gab es das Wort Inklusion so noch gar nicht. Und wir schaffen das auch jetzt regelmäßig – in guten Jahren wie 2017 vermitteln wir auch mal vier Personen. Wir haben da auch eine Zielvereinbarung mit unserem Hauptkostenträger, dem Landschaftsverband Rheinland, die ständig kontrolliert wird.
Stichwort Inklusion: Ziel ist es, Menschen mit Behinderung überall am Leben der Gesellschaft teilnehmen zu lassen – auch in der Schule, auch bei der Arbeit. Macht das die BWO irgendwann überflüssig?
Ich denke nicht, denn wir kümmern uns ja auch um Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen. Bei diesem Personenkreis funktioniert Inklusion im allgemeinen Arbeitsmarkt nicht. Man muss im Einzelfall prüfen, ob die jeweiligen Maßnahmen erfolgversprechend sind.
Gilt das auch für die Schulen?
Förderschulen sind notwendig, das zeigen auch gerade die ersten Erfahrungen mit der Inklusion an den Regelschulen. Es ist schön, wenn das funktioniert, aber dann müssen die Schulen auch über das notwendige Personal sowie behindertengerechte Räumlichkeiten und Hilfsmittel verfügen. Wir haben jetzt schon die ersten Inklusionsgeschädigten Kinder, die es an den Regelschulen nicht geschafft haben. Und das ist ein Schaden, der zurückbleibt: Es ist eben etwas anderes, ob ein Kind in diesem Alter von Anfang an trotz seiner Behinderung auch Erfolgserlebnisse sammelt oder ob es auch noch mit der Erfahrung umgehen muss, gescheitert zu sein.
Sich um andere Menschen zu kümmern und das zum Beruf zu machen, ist heute nicht gerade beliebt. Warum würden Sie einem jungen Menschen trotzdem raten, mit behinderten Menschen zu arbeiten?
Die Arbeit mit behinderten Menschen gibt eine tiefe innerliche Befriedigung. Ich bin bis heute sehr gerne in den Werkstätten. Unsere Mitarbeiter mit Behinderung habe eine Ausstrahlung, die einen selbst unheimlich motiviert. Sie sind ehrlich und offen. Man entwickelt mit der Zeit eine ganz besondere Beziehung zu ihnen.
Wie geht es für Sie persönlich weiter? Was machen Sie, wenn Ihr Nachfolger Jens Kämper anruft und um Hilfe bittet?
Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Natürlich freue ich mich darauf, mehr Zeit für die Familie zu haben. Meine Frau und ich reisen gerne, ich treibe eigentlich gerne Sport – da ist in den vergangenen Jahren einiges zu kurz gekommen. Aber ich habe auch andere Aufgaben, die bleiben, zum Beispiel im Ehrenamt im Vorstand des Heimatvereins Bielstein. Und ich habe zwar ganz klar gesagt, dass ich aus dem operativen Geschäft raus bin. Aber Jens Kämper weiß auch, dass er mich jederzeit anrufen kann – wenn meine Meinung gefragt ist, ich wohne ja nur fünf Minuten von hier entfernt . . .
Die BWO und ihr Geschäftsführer
Die BWO, die Behinderten-Werkstätten Oberberg, sind eine gemeinnützige GmbH, Hauptgesellschafter ist der „Verein zur Förderung und Betreuung behin- derter Kinder“. Der Verein mit Sitz in Wiehl setzt sich seit 1963 für die differenzierte Förderung von Maßnahmen und Einrichtungen ein, die eine wirksame Hilfe für Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung aller Altersstufen bieten.
Der Verein betreibt im Oberbergischen das „Haus früher Hilfen“, ein Interdisziplinäres Frühförder- und integriertes Familienberatungszentrum in Oberbantenberg. Zudem ist er nicht nur Hauptgesellschafter der BWO mit den drei Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Faulmert, Lichtenberg und Bomig. Genauso ist es bei der Haus für Menschen mit Behinderung Wiehl GmbH (HBW), die sieben stationäre Wohneinrichtungen im Oberbergischen sowie differenzierte Angebote an Wohnplätzen im „Betreuten Wohnen“ anbietet.
Dietmar Groß ist 64 Jahre alt, wuchs in Wiehl-Gassenhagen auf und lebt heute in Bielstein. Jetzt verlässt er die BWO und die HBW, bei denen er Geschäftsführer war. Seinen Job bei der BWO übernimmt Jens Kämper, bereits bisher mit Groß und auch weiterhin Geschäftsführer bei der HBW. Kämper (Bild) ist eine interne Lösung: Der 50-jährige Diplom-Sozialarbeiter ist bereits seit dem Jahr 1999 für BWO und HBW tätig. Als Hauptaufgabe sieht er zunächst die Umsetzung des neuen Bundesteilhabegesetzes im Unternehmen. „Vor allem im Wohnbereich war es bisher einfacher, weil wir einen Pflegesatz abrechnen konnten.“ In Zukunft sei eine Abstimmung mit verschiedenen Kostenträgern notwendig.