Nach Anschlag in Halle350 Schüler der Waldbröler Gesamtschule setzen Zeichen
Waldbröl – „Im Wachs bitte das Licht aus, nur in der Flamme an!“ Energisch, kurz und knapp sind die Anweisungen, die Lehrerin Nina Heinrichs den Kindern und Jugendlichen auf dem Hof der Waldbröler Gesamtschule da zuruft, immer wieder hebt sie ein Megafon zum Mund. „Und wer nicht weiß ist, tritt in die Mitte.“
Minuten später haben etwa 350 Schüler ihren Platz gefunden, sie formen eine fast 18 Meter lange Kerze. Und die jungen Leute in der Flamme lassen die Lampen an den Mobiltelefonen leuchten: Nach dem Anschlag in Halle am vergangenen Mittwoch wollen sie ein Zeichen setzen gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung und für Solidarität, Hoffnung und Toleranz. Weil der Anschlag an Jom Kippur, dem Versöhnungsfest und dem höchsten jüdischen Feiertag, geschah, tragen die meisten der Gesamtschüler weiße Oberbekleidung. „Weiß zu tragen, das ist Brauch an diesem Tag“, erklärt Nina Heinrichs.
Hintergrund
Den Titel „Schule ohne Rassismus“ vergibt der heute in Berlin ansässige Trägerverein Aktion Courage seit dem Jahr 1995. In Nordrhein-Westfalen besitzen inzwischen 916 Schulen die entsprechende Urkunde. Davon sind 17 im Oberbergischen angesiedelt. (höh)
Seit 2007 führt die Schule den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Heinrichs leitet die Arbeitsgemeinschaft, die diesen Gedanken hütet. Sie hat 40 Mitglieder. „Allen war eigentlich sofort klar, dass wir nach Halle etwas tun wollen“, blickt Heinrichs zurück. „Denn wir möchten unserer Überzeugung Ausdruck verleihen, dass in einer demokratischen Gesellschaft kein Platz für Ausgrenzung und Gewalt ist.“
Die 17-Jährigen Nazlican Kartal und Lisa Gelhausen sind seit der fünften Klasse in der AG, zuletzt haben sie und ihre Mitstreiter den Schriftzug „Nie wieder Krieg!“ an der Friedensmauer in Waldbröl aufgefrischt und in Gummersbach an einer Menschenkette mitgewirkt. Eben noch haben sie über Klausuren gebrütet, danach sind sie sofort zur Menschen-Kerze geeilt.
Nach Besuch in Gedenkstätte vom Anschlag erfahren
„Uns hat diese Idee sofort gefallen“, verrät Nazlican. Und Lisa beschreibt, warum sie solche Aktionen für wichtig hält: „Wir gehen heute viel zu kalt mit solchen Themen um und müssen wieder mehr Sensibilität dafür aufbauen.“ Zudem finde sie es furchtbar, dass viele ihrer Mitschüler nicht mal von der Tat in Halle gewusst hätten. „Auch das hat mich erschüttert.“
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Aber nicht nur in der Marktstadt werden die Schüler aktiv. Schulleiterin Kirsten Wallbaum-Buchholz befand sich am Mittwoch mit Kollegen und Schülern in Tschechien auf der Gedenkstättenfahrt, die jede zehnte Jahrgangsstufe unternimmt, als die 54-köpfige Gruppe vom Anschlag erfuhr. „Da hatten wir gerade die KZ-Gedenkstätte Theresienstadt und den jüdischen Friedhof in Prag besucht“, erzählt die Pädagogin, nach Waldbröl zurückgekehrt. Noch in Prag haben die Schüler der Klasse 10c regiert: Im Kreis stellten sie sich auf, ließen die Handylampen aufleuchten.
Erinnerung an Lessings Drama „Nathan der Weise“
So wollen sie an die Parabel der drei Ringe in Lessings Drama „Nathan der Weise“ erinnern, die als Symbol der Toleranz verstanden wird. „An diesem Tag ist für die Schüler leider Realität geworden, was sie vorher nur aus der Theorie des Schulunterrichts kannten“, sagt Wallbaum-Buchholz, die an jenem Tag längst mit ihrer Schule in Kontakt gestanden hat und wusste, dass bereits Pläne für ein lebendiges Zeichen laufen. Dieses erreicht auch die Politik: Für die Fraktion der CDU im Waldbröler Stadtrat ist Ratsherr Eberhard Weber auf das Schulgelände gekommen und sieht zu, wie die Kerze Gestalt annimmt. „Eine tolle Aktion“, lobt er.