Prof. Michael Schwertel aus Nümbrecht ist KI-Pionier. Er glaubt: Künstlich Intelligenz ermöglicht schon bald das Verstehen von Walgesängen.
Rasanter FortschrittNümbrechter KI-Experte Schwertel: „Bald reden wir mit Tieren“
Bei der Vergabe der diesjährigen Grimme-Preise hat auch ein Oberberger ein Wörtchen mitgeredet: Prof. Michael Schwertel aus Nümbrecht war in diesem Jahr Mitglied der Fernsehpreis-Jury in der Kategorie Kinder und Jugend.
Von 2007 bis 2023 gehörte er bereits der Jury und der Nominierungskommission für den Grimme-Online-Award an, doch ob der in diesem Jahr überhaupt verliehen wird, ist noch offen: Das Grimme-Institut ist bekanntlich finanziell in eine Schieflage geraten. „Das wäre natürlich gerade in einem Jahr mit so vielen Wahlen und mit Künstlicher Intelligenz, die auch Fake News produzieren kann, sehr traurig“, sagt Schwertel. „Wir finden immer wieder so tolle Perlen, die preiswürdig sind, die mit viel Herzblut gemacht werden, aber vielleicht gar nicht finanziert sind.“
Zwischen Kreativität und Fortschritt
Der Nümbrechter kann in beiden Jurys mitreden, als Trickfilmproduzent, Professor für Medienmanagement und Pionier im Bereich der Künstlichen Intelligenz agiert er schon seit Jahren genau an der Schnittstelle von Kreativität und technologischem Fortschritt.
„Neue Geschichten vom Pumuckl“, in diesem Jahr für den Grimme-Preis nominiert, ist ein aktuelles Beispiel dafür, wie sich beides verbinden lässt: Die Stimme des 2005 verstorbenen Schauspielers Hans Clarin, der in den 1980er Jahren den Kobold sprach, kehrt in den neuen Abenteuern zurück, eine Künstliche Intelligenz macht's möglich. „Die Fähigkeit, traditionelle Inhalte mit neuen Technologien zu beleben, wie im Falle von Pumuckls Stimme, zeigt die spannenden Möglichkeiten“, sagt Schwertel.
Dass die technologische Entwicklung schon früh Geschwindigkeit aufgenommen hat, ist dem gebürtigen Augsburger und Wahl-Nümbrechter zeitig klar geworden. Seit 2011 unterrichtet er an der CBS Business School in Köln. „Da gab es zum Beispiel das Fach ,Trends in der Digitalisierung'“, erinnert er sich.
„Den Kurs habe ich konzipiert und versucht, vorherzusagen, was es da in fünf oder zehn Jahren geben wird. Und als ich den Kurs im folgenden Jahr gegeben habe, war all das schon eingetreten.“ Ähnliche Erfahrungen machte er in San Francisco. „Da war ich vor acht Jahren und habe mir eine Tour geben lassen von Facebook, Apple, Google, Pixar, und hab mir das alles angeguckt und festgestellt: Oh, da sind wir in Deutschland aber relativ weit hinten. Da ging das alles schon Richtung KI.“
Die Veröffentlichung von ChatGPT im Herbst 2022, so Schwertel, war eigentlich nur noch ein Event für die Öffentlichkeit, aber die Funktionen gab's schon fünf, sechs Jahre vorher. „Jeder Mensch benutzt am Tag rund 50 verschiedene KIs, ohne dass er's merkt.“ Die Routenplanung mit dem Smartphone, zum Beispiel. Oder die Funktion, dass das iPhone aus allen gespeicherten Fotos auf Kommando all die Bilder mit Essen drauf finden kann.
Momentan ist Schwertel entsprechend gefragt als KI-Fachmann, wird für Tagungen und Vorträge gebucht. Zum Beispiel von großen deutschen Unternehmen und Fernsehproduktionsfirmen – die Schwertel direkt als Berater ins Boot geholt haben und sich berechtigte Hoffnungen machen können, dadurch die Ausgaben zu senken. Schwertel: „Wenn ich weiß, wie ich im Schnittprogramm eine KI einsetze, dann kann ich heutzutage 80 Prozent der Arbeitszeit sparen.“
Das Thema KI treibt die Leute in vielen Bereichen um. „Meine Vorträge stoßen auf großes Interesse und sind sehr gefragt.“ Grundsätzlich sieht er seine Aufgabe momentan ein bisschen darin, rauszuzoomen und klar zu machen: „Das ist jetzt wirklich ein Brett, das da auf uns zukommt und das ist keine Sache, um die ich mich auch in zwei Jahren noch kümmern kann. Ich muss jetzt handeln.“
KI – das Hype-Thema der Stunde? Schwertel widerspricht: „Nein, ein Hype-Thema ist es nicht. KI ist eher ein Schritt in der Menschheitsgeschichte, den wir jetzt mitbekommen. Die Sumerer haben vor 6000 Jahren die Keilschrift entwickelt und damit dem Menschen die Möglichkeit gegeben, Informationen festzuhalten. Und KI ermöglicht es uns heute, alle Informationen der Welt zu bergen. Ich kann keine ganze Bibliothek durchlesen und mir alle Informationen merken. Mit einer KI hätte ich aber die Möglichkeit, all diese Informationen zu nutzen.“
Mit einem griffigen Beispiel skizziert der Experte die Probleme, vor die uns KI stellt: „Es ist ein bisschen so, als hätte Johannes Gutenberg den Buchdruck erfunden, und fünf Tage später wäre das Internet erfunden worden, die meisten Menschen sind noch gar nicht alphabetisiert, müssen sich aber plötzlich um Cookies und um Viren kümmern.“
Prof. Michael Schwertel zur rasanten Entwicklung von KI:
In einem Vortrag erwähnte Schwertel, dass man mit einer Sprach-KI inzwischen sehr effektiv Stimmen imitieren kann, „man braucht dafür nur eine sehr kurze Sprachprobe, und dann kann man diese Stimme kopieren und einen Deep Fake machen“. Wenn bisher eine SMS kam mit dem Text: „Papa, ich hatte einen Unfall, bitte schick mir 1500 Euro“, die ja fast jeder schon mal bekommen hat, dann kann man das jetzt mit der Stimme machen. Das hört sich so an, als ob der Sohn wirklich anruft und nach Geld fragt.
„Das habe ich so als Theorie angenommen, und da stand eine Frau auf und sagte: Genau das ist mir letztens passiert, angeblich hat mich mein Mann angerufen und er brauchte sofort 5000 Euro.“ Das bedeute, „dass es von heute auf morgen eine ganz andere Art von Betrug gibt, und dass wir keinem Sound und keinem Bild mehr trauen dürfen.“
Open AI hat das KI-Modell Sora vorgestellt. Man skizziert eine Szenerie in einem Satz, und Sora erstellt dazu einen fotorealistischen Film. Auf YouTube gibt es etliche Beispiele. „Viele Leute haben gesagt, dass so etwas in dieser Form vielleicht in zwei Jahren möglich sein wird“, sagt Prof. Michael Schwertel, „und jetzt ist es schon rausgekommen“. Das heiße aber auch: „Was also in fünf oder zehn Jahren möglich sein wird, das ist sehr schwer zu sagen.“
Elon Musk hat kürzlich berichtet, dass es seinem Biochip-Startup Neuralink gelungen sei, einen Chip in das Gehirn eines Menschen einzusetzen, und dass die Person die Operation überstanden habe. „Man hat auch übers MRT herausgefunden, wie man Gedanken lesen kann“, sagt Schwertel. „Chat GPT kann auch Sprachen interpretieren, die es nicht gelernt hat, weil die KI das Sprachmuster versteht.
Die Gedanken der Meerschweinchen
Und wenn es jetzt Gehirnwellenmuster hat, dann ist das auch nur eine Art von Muster, das zu erkennen ist. Wenn man das abgleicht, beispielsweise mit einem Podcast, den man einem Probanden zu hören gibt, dann kann man auch die Gedanken mitlesen, die der hat. Oder man kann mittlerweile eine klassische Partitur vorspielen und der Mensch erinnert sich später, im Kopf spielt diese Partitur, man hört die Streicher und die Bläser in superguter Qualität. “
Und in zwei oder drei Jahren, sagt Michael Schwertel voraus, werde man wahrscheinlich mit Tieren reden, etwa die Gesänge von Walen interpretieren können. Und das sei dann nicht einfach der neue Hype, sondern die neue menschliche Realität. „Wir werden dann wahrscheinlich auch anders mit Tieren umgehen, wenn wir mit ihnen reden können.“ Also könnte man erfahren, was Meerschweinchen denken? „Ja“, glaubt Prof. Michael Schwertel, „aber man muss sich natürlich auch fragen, ob es in der ganzen Info-Flut sein muss, dass ich auch noch den Gedanken von jedem Meerschweinchen mitgeteilt bekomme.“