- Die Zahl der Frauen, die im Laufe ihres Lebens Opfer sexueller Gewalt werden, ist hoch.
- Durch die anonyme Spurensicherung im Oberbergischen erhalten die Betroffenen Zeit, das Erlebte zu verarbeiten.
- Wie genau die sogenannte „ASS“ funktioniert, erfahren Sie im nachfolgenden Artikel.
Oberberg – Jede siebte Frau wird im Laufe ihres Lebens Opfer sexueller Gewalt. Erschreckend oft kommen die Täter aus dem eigenen Umfeld, sind Onkel, Vater, Großvater oder Ehemann. 2018 waren es 150 strafrechtliche verfolgte Fälle in Oberberg, sogenannte Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Darunter fallen neben Vergewaltigung auch sexuelle Nötigung, sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, exhibitionistische Handlungen und Verbreitung von Kinderpornografie. In jedem sechsten Fall handelt es sich um Vergewaltigungen. Das entspricht 25 Opfern.
Hohe Dunkelziffer
„Die Dunkelziffer ist weitaus höher“, weiß Sabine Steller, die Gleichstellungsbeauftragte der Kreisverwaltung. „Die Überwindung, den eigenen Mann, Vater oder Onkel anzuzeigen ist immer noch hoch.“
Seit über einem Jahr gibt es auch in Oberberg die Möglichkeit der anonymen Spurensicherung (ASS) am Kreiskrankenhaus in Gummersbach und an der Helios Klinik in Wipperfürth. Dabei werden die Spuren von Blut, Sperma und Hautpartikeln von Fachärzten gesichert, ein speziell konzipierter Koffer steht dafür in der Notaufnahme bereit. Der Zustand der Frau wird minutiös dokumentiert. Verletzungen, Hämatome, Würgemale, Spuren von Fesseln auf der Haut – alles wird festgehalten. Der Koffer verlässt dann mit einem speziellen Transport die Klinik und wird im Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln für zehn Jahre gelagert. Es gibt lediglich eine anonyme Chiffrenummer auf dem Koffer. Keine Namen.
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Mit der ASS will Steller den betroffenen Frauen Zeit verschaffen, Zeit zum Durchatmen, Zeit das Trauma zu verarbeiten, wenn das überhaupt möglich ist. „Wir möchten den Opfern nach der erfahrenen Ohnmacht helfen, ein Stück Selbstbestimmung entgegenzusetzen.“
Den Betroffenen Zeit verschaffen
Vergewaltigung ist ein Offizialdelikt: Sobald ein Polizist davon erfährt, muss er strafrechtliche Schritte einleiten. Bei der anonymen Spurensicherung ist das nicht der Fall. Sie sichert Beweise, ohne dass Ermittlungen eingeleitet werden. Auch die Krankenkassen bekommen keinerlei Hinweise auf die Tat. Die betroffenen Frauen allein entscheiden, ob und wann sie Strafanzeige erstatten.
Zwar gibt es im „Netzwerk Oberberg gegen Gewalt no!“ viele erfahrene Anlaufstellen für Gewaltopfer, jedoch ist eine Spurensicherung oft nicht mehr möglich, wenn das Opfer sich erst Tage nach der Tat beraten lässt und Anzeige erstatten möchte.
Kontakte
Hier können sich Opfer sexueller Übergiffe in der jeweiligen Notaufnahme melden, um eine Anonyme Spurensicherung (ASS) durchführen zu lassen:
Klinikum Oberberg
Wilhelm-Breckow-Allee 20
51645 Gummersbach
Telefon: (0 22 61) 17-0
Helios Klinik Wipperfürth
Alte Kölner Straße 9
51688 Wipperfürth
Telefon: (0 22 67) 8889-0
Weitere Informationen unter www.obk.de/ass oder unter der Nummer des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ unter 08000/116 116. (nis)
Die Kosten trägt der Kreis
Eine Vergewaltigung ist immer ein medizinischer Notfall. Auch ein Grund, weshalb Steller bereits seit 2014 intensiv an der Umsetzung der ASS Oberberg gearbeitet hat. „Besonders die anonyme Abrechnung stellte uns dabei vor eine große Aufgabe. Zum Glück haben wir aber einen Weg gefunden. Der Kreis trägt die Kosten der ASS.“ Dennoch geht es (noch) nicht komplett ohne die Krankenkasse. Mit ihr rechne man aber lediglich die Notfall-Pauschale ab, erklärt Yvonne Laufer, Gynäkologin am Klinikum Oberberg.
Bislang gab es in Oberberg noch keine Frau, die das Angebot der ASS in Anspruch genommen hat. Also gibt es auch noch keine Routine bei solch schwerwiegenden Fällen. „Wir sind jedoch im intensiven Austausch mit Kliniken in größeren Städten wie Bonn oder Frankfurt, bei denen die ASS bereits zur traurigen Routine geworden ist“, erklärt Steller.
Jedes Detail wird dokumentiert
Der Ablauf ist genau festgelegt: Betroffene Frauen melden sich in der Notaufnahme mit dem Hinweis, dass sie dringend einen Gynäkologen oder Frauenarzt sprechen müssen oder dass sie eine anonyme Spurensicherung wünschen.
Zu Beginn der Untersuchung wird ein ausführliches Gespräch geführt. Jedes noch so kleine Detail des Verbrechens wird dokumentiert, handschriftlich auf einer Art Anamnesebogen. Es wird auch im Nachgang nichts davon digitalisiert. „Diese Akte wandert an einen sicheren Ort, der nur für einen ausgewählten Kreis zugänglich ist“, versichert Dr. Clemens Bartz, leitender Oberarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe.
Im Anschluss erklärt der behandelnde Arzt den Ablauf der Untersuchung, bei der immer noch ein zweiter Mediziner anwesend ist. Sind alle Spuren gesichert, wird der Koffer zehn Jahre lang in Köln eingelagert.
Anzeige jederzeit möglich
Das Verbrechen anzuzeigen, ist nun jederzeit möglich, generell gibt es jedoch auch hier eine Verjährungsfrist. Diese richtet sich immer nach der zu erwartenden Höchststrafe. Die liegt für Vergewaltigungen generell bei 15 Jahren, jedoch wird jeder Fall neu bewertet. Die Mindeststrafe liegt bei zwei Jahren. Würde die Freiheitsstrafe also zum Beispiel voraussichtlich bei fünf Jahren liegen, so gilt dies auch für die Verjährungsfrist.