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100 Jahre Fußball in OberbergAuch nach der Gründung des ORV gab es Kritik

Lesezeit 6 Minuten

Internationale Begegnung: 1923 spielten im Engelskirchener Leppetal englische Besatzungssoldaten gegen Einheimische.

Oberberg – Der Erste Weltkrieg konnte den Vormarsch des Fußballs in Deutschland nicht aufhalten. Sogar an der Front und in den Gefangenenlagern wurde unverdrossen weitergekickt. Schon im ersten Nachkriegsjahr 1919 formierten sich die Fußballvereine dann wieder. Die vor dem Krieg üblichen Vereinsnamen mit ihrem ideologischen Hintergrund (wie Teutonia, Adler, Germania) wurden meist nicht mehr weitergeführt. Das galt auch für das Oberbergische.

Die neuen Clubs hatten ein Interesse an regelmäßigen Wettspielen zu festen Terminen mit der Aussicht auf den Gewinn eines Meistertitels. Diese Begegnungen sollten die vor dem Krieg durchgeführten Freundschaftsspiele ersetzen. Erforderlich war eine Organisationsstruktur auf übergeordneter Ebene, ein regulärer Verband. Den ersten Schritt dazu unternahmen vor 100 Jahren, im April 1920, der Spiel- und Sportverein 08 Bergneustadt, der Sport- und Spielverein Gummersbach, der Fußballclub Engelskirchen, der Fußballclub Hansa Vollmerhausen, der Turn- und Sportverein Ründeroth sowie der Ballspielverein „Stern“ Drabenderhöhe.

Oberbergischer Rasensportverband

Diese schlossen sich zum Oberbergischen Rasensportverband (ORV) zusammen. In den folgenden Jahren bemühte sich der ORV mit außerordentlichem Erfolg um die Anmeldung von weiteren oberbergischen Fußballvereinen zum organisierten Spielbetrieb. Die oberbergischen Fußballvereine gehörten dann zum Bergisch-Märkischen Gau und wurden dort in die entsprechenden Leistungsklassen eingeteilt.

ORV schloss sich dem Westdeutschen Fußballverband an

Die Leitung des ORV übernahm Alfred Solbach aus Gummersbach, als Geschäftsführer wurde Alfred Freischlade aus Bergneustadt gewählt. Der ORV schloss sich dem Westdeutschen Fußballverband an, um organisierte Wettspiele mit Meisterschaft austragen zu können. Voraussetzung war, dass die Vereine über einen festen Mitgliederstamm verfügten, die aus England übernommenen Spielregeln anerkannten sowie eine Vereinsorganisation vorwiesen, die die Bedingungen für einen geordneten Spielbetrieb mit Schiedsrichtern gewährleistete.

In den Jahren 1921 und 1922 traten der Verein für Rasenspiele Friedrichsthal, der FC Hunsheim, der Fußballclub Adler Mühlenseßmar (fusionierte später mit dem SSV Gummersbach), die Rasensportvereinigung Frömmersbach-Bernberg, der Ballspielverein Bielstein, der Spiel- und Sportverein 1920 Wiehl, Borussia Derschlag und weitere Vereine bei.

Leidenschaft auch neben dem Platz

Alle organisatorischen Bemühungen änderten nichts an der Leidenschaftlichkeit, die schon damals den Fußball prägen konnte – auch neben dem Platz, wie ein Reporter in der Bergischen Wacht am 23. Dezember 1920 anmerkt: „Was ich am Sonntag bei dem Spiel Drabenderhöhe-Engelskirchen zu sehen bekam, war schon nicht mehr Sport zu nennen“, kritisiert der Reporter namens Molitor.

„Daß Dinge, wie sie die Zuschauer da fertigbrachten, dem Sport keine neuen Anhänger gewinnen, bedarf wohl keiner Frage.“ Abhilfe brächte nur ein Platzverbot. Aber das scheint schon damals schwierig gewesen zu sein. Abhilfe sieht der Reporter darum in der Verständigung mit dem Fan. „Ich kann ja verstehen, wenn einem fanatischen Vereinsanhänger bei einem so aufregenden Spiel es gleichsam in den Nerven zuckt, daß er sich irgendwie Luft machen muß.“ Dennoch sei es unverständlich, dass bei jedem noch so kleinen Angriff die Zuschauermenge in ein infernalisches Geheul und Geschrei ausbreche.

Zielperson war schon damals der Schiedsrichter

Zielperson der Fanatiker war schon damals, 1920, der Schiedsrichter: „Dann scheinen eine ganze Reihe Zuschauer anzunehmen, der Schiedsrichter sei für sie so eine Art Freiwild, dem jeder, wenn er ,unserer Mannschaft’ eine Strafe diktieren muß, allerhand angenehme Schmeicheleien an den Kopf werfen müsse.“ Wer sich den Regeln nicht unterwerfen will, dem empfahl Molitor, dem Spiel fernzubleiben. „Auf dem Rasen muß sich jeder ins Ganze einfügen, denn nur so können wir für den Verein einerseits und uns alle andererseits etwas Ordentliches erreichen.“

Typisch für die 1920er Jahre war, dass es meist an Vereinsheimen fehlt. Die Umkleide fand in Kneipen statt, deren Wirte den Fußball unterstützen. Für Engelskirchen sah das so aus: Die gegnerische Mannschaft kam mit der Eisenbahn und zog sich, wie die Engelskirchener Spieler, in der Bahnhofsgaststätte um. Dann marschierten die Teams über die Leppestraße zum Spielort, also dorthin, wo auch heute das Leppestadion liegt. Das war ein Fußmarsch von etwa 15 Minuten Länge, der den Sportlern aber wenig ausmachte. Zu dieser Zeit waren in Oberberg Fußwege zur Arbeit von einer Stunde und mehr nicht selten.

Der Lehrer Konrad Koch importierte das Spiel.

Auf dem Platz an der Leppestraße spielten die Engelskirchener 1923 auch gegen die englischen Besatzer, also eine Mannschaft aus dem Mutterland des Fußballs, wie Fotos aus dem Nachlass von Edmund Schiefeling zeigen. Die Soldaten hatten dort eigene Trainingszeiten, nämlich an jedem Donnerstagabend.

Doch auch in Engelskirchen traf der noch immer neue Sport weiterhin auf Vorbehalte. Ein Leserbriefschreiber nahm ein Fest im Dezember 1920 zum Anlass für eine Abrechnung mit den Fußballfans: „An einem wunderschönen, klaren Abend gehe ich langsam durch unser schönes, bergisches Land meinem Wohnort zu, mich von Herzen des stillfriedlichen Abends und der goldenen Sternenpracht freuend.“ Aber die Idylle sollte nicht lange dauern: „Da wird auf einmal jäh der Friede gestört. Zwei Wagen knarren über die Landstraße, und die jungen Leute darin singen überlaut und überfröhlich irgendein Lied.“

Da der in seinen Betrachtungen so jäh gestörte Wanderer trotzdem noch „Ball heil!“ aufschnappte, vermutet er, dass die Jugendlichen vom Besuch des Fußballspiels in Engelskirchen zurückkehrten. Der Wanderer stellt die Frage: „Wie stehst du, wie Eltern, Erzieher, Freunde der Jugend und all die, denen der Jugend Wohl am Herzen liegt oder anvertraut ist, zum Fußballspiel?“ Er beklagt „übergroße und einseitige Anspannung von Muskeln, insbesondere der Herz- und Nerventätigkeit“, im Spiel selbst Rohheit und rücksichtslose Durchsetzung gegenüber dem Gegenspieler.

Genauso abzulehnen waren für ihn die durch das Fußballspiel hervorgerufenen Einstellungen der Jugendlichen. Er zitiert besorgte Eltern: „Unser Junge ist wie versessen auf das Spiel. Die Schularbeiten sind ihm zur Nebensache geworden.“ Durch die vielen sportlichen Veranstaltungen werde der junge Mann dem Elternhause entzogen und sei „dem Beispiel und Einflusse der leichtsinnigen, geldverschwendenden Kameraden ausgesetzt. Und zu den Reisen braucht man heutzutage Geld.“ Schließlich gebe es „die Gefahr der Gleichgültigkeit in religiösen Dingen, wovon manche Eltern ein Klagelied singen“.

Eine Antwort in Form eines Leserbriefes ließ nicht auf sich warten. Der Vorsitzende des Engelskirchener Spiel- und Sportvereins wies die Vorwürfe zurück. Die Einwände gegen das Fußballspiel seien an den Haaren herbeigezogen, besonders, dass die Religion gefährdet sei. Eine ärztliche Expertise durch Hofrat Dr. Uhl betreffend die Wirkungen des Fußballs kommt zu einem Ergebnis, das der Vereinsvorsitzende triumphierend zitiert: „Die Fähigkeit des raschen Entschlusses wird in hervorragender Weise geübt.

Anwandlungen von Feigheit, Wehleidigkeit und Zimperlichkeit müssen unterdrückt werden. Das Selbstbewusstsein, Energie und Willenskraft werden ganz bedeutend gesteigert. Dazu kommt noch, daß dieses Spiel ein gewisses Training erfordert und darum von Alkoholgenuß, Kneipen und Rauchen abhält.“ Dem würden auch heute noch die meisten Trainer zustimmen.